Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer
"Politisch einer der wenigen gangbaren Wege"

In Baden-Württemberg wurde beschlossen, dass Studierende aus Nicht-EU-Ländern künftig für ihr Studium in dem Bundesland bezahlen müssen. Bildungsökonom Dieter Dohmen hält die Maßnahme für konsequent. Die Gebühren seien "ein mögliches Mittel, um der Unterfinanzierung der Unis zumindest ansatzweise Herr zu werden", sagte er im DLF.

Dieter Dohmen im Gespräch mit Kate Maleike | 03.05.2017
    Studenten an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen verfolgen eine Vorlesung im Fach Maschinenbau.
    In Baden-Württemberg wird auch das Zuhören in Vorlesungen für Studierende aus Nicht-EU-Ländern bald etwas kosten. (picture-alliance / dpa / Oliver Berg)
    Wer nicht aus der EU stammt und in Baden-Württemberg studieren will, der muss also künftig Gebühren fürs Studium zahlen, und die Landesregierung begründet das mit ökonomischen Sachzwängen. Fragen wir also auch den Bildungsökonomen. Dr. Dieter Dohmen ist Leiter des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin, guten Tag, Herr Dohmen!
    Dieter Dohmen: Guten Tag, Frau Maleike!
    Maleike: Was sagen Sie denn als Bildungsökonom zu der Entscheidung heute in Baden-Württemberg?
    Dohmen: Nun, die Entscheidung war ja nun seit einigen Monaten zu erwarten und ist insofern konsequent. Wenn ich richtig informiert bin, stand die Ministerin vor der Wahl, entweder Geld einzusparen oder Studiengebühren einzuführen. Sie hat sich dann für diese Zielgruppe entschieden, weil das im Moment politisch sicherlich einer der wenigen gangbaren Wege ist.
    Maleike: Diese Zielgruppe ist aber eine, die wir in Deutschland dringend brauchen. Also, hochqualifizierte Fachkräfte zum Beispiel – das wissen wir – kommen auch über die Hochschulen. Hat das dann nicht eine abschreckende Wirkung genau für diese Gruppe?
    "Zahl der ausländischen Studierenden in Deutschland in den letzten Jahren erheblich gewachsen"
    Dohmen: Das lässt sich im Einzelfall sicherlich nicht ausschließen. Gleichwohl muss man konstatieren, dass die Zahl der ausländischen Studierenden in Deutschland in den letzten Jahren erheblich gewachsen ist und auch zum Wachstum der Studienanfängerzahlen beigetragen hat. Und zum anderen ist es in vielen anderen Ländern einerseits üblich, überhaupt Studiengebühren zu zahlen, also unabhängig davon, ob man dort aufgewachsen ist oder aus einem anderen Land kommt. Und insbesondere die Gruppe der ausländischen Studierenden wird gerne und in den allermeisten Ländern herangezogen, wenn es um Studiengebühren geht.
    Maleike: Etwa 300.000 Studierende aus dem Ausland sind zurzeit an deutschen Hochschulen, das sagen die neusten Statistiken. Wir wissen aber auch aus Studien, dass es durchaus positive finanzielle Effekte auf das Gastland gibt, weil es eben so viele sind. Und es gibt eine Studie von Prognos, die vor drei Jahren glaube ich herausgefunden hat, dass sich die Kosten, die die Hochschulen für die ausländischen Studierenden einsetzen, auch nach einigen Jahren sofort amortisieren. Also, warum dann diese Finanznotbremse?
    Dohmen: Weil die deutschen Hochschulen einfach trotz aller Bemühungen von Bund und Ländern in den letzten Jahren – die Ausgaben sind massiv in die Höhe gegangen im Vergleich zu vorher – immer noch. Also, weil die Hochschulen immer noch unzureichend finanziert sind und wir zum Beispiel einen Bauschub seit Jahren von etlichen Milliarden Euro vor uns her schieben. Die Professorenzahlen oder die Relation Studierende zu Prof ist gestiegen. Also, darüber hinaus, die Hochschulen sind nach wie vor nicht ausfinanziert oder nicht auskömmlich finanziert, zudem kommt ein immer größerer Teil über Wettbewerbsmittel, sei es Förderanträge oder Ähnliches. Also, insofern stehen die Wissenschaftsminister eigentlich in allen Ländern vor der Frage: Was tun? Entweder Qualität verbessern oder zumindest aufrechterhalten, dazu braucht es zusätzliche Finanzmittel; oder aber die Qualität sich schleichend verschlechtern lassen. Insofern ist es sozusagen Teufel oder Beelzebub und Studiengebühren sind sicherlich ein mögliches Mittel, um der Unterfinanzierung zumindest ansatzweise Herr zu werden.
    "Akademiker haben einen erheblichen Vorteil gegenüber allen anderen Qualifikationsgruppen"
    Maleike: Aber reicht das denn im Volumen?
    Dohmen: Nein, gar keine Frage. Also, wir können darüber streiten, ob wir pro Jahr fünf oder zehn Milliarden mehr brauchen für die Hochschulen, wir müssen ja auch das Thema Digitalisierung, das zwar einerseits Möglichkeiten schafft, andererseits aber auch auf Dauer einiges an Geld kosten wird, hinzunehmen. Das heißt, die Hochschulen brauchen deutlich mehr Mittel. Und Studiengebühren, selbst wenn man in den alten Größenordnungen denken würde von 500 Euro pro Semester, dann sind wir Pi mal Daumen bei zwei oder zweieinhalb Milliarden, je nachdem, welche Befreiungstatbestände es gibt. Reicht hinten und vorne nicht aus, das heißt, wir müssen darüber hinaus streng genommen nachdenken, wie die Hochschulen finanziell besser aufzustellen sind.
    Maleike: Was gibt es da als Empfehlung aus der Bildungsökonomie?
    Dohmen: Na, die Bildungsökonomie ist ja immer gerne mit dem Thema Studiengebühren zu Gange, wobei ich nach wie vor kein Freund von Studiengebühren in der vorliegenden Form bin. Gleichwohl muss man konstatieren: Akademiker haben einen erheblichen Vorteil gegenüber allen anderen Qualifikationsgruppen, egal ob beruflich qualifiziert oder auch unqualifiziert. Das heißt, es rechnet sich, zu studieren, auch langfristig. Ja, es gibt immer noch ein paar Arbeitslose, aber die Arbeitslosenquoten der Akademiker sind so niedrig, dass sie fast schon zu vernachlässigen sind. Das heißt, ein Studium lohnt sich, und insofern ist es in meinen Augen durchaus konsequent, wenn sich die Akademiker nachher, wenn sie denn gutes Geld verdienen, indirekt an den Kosten beteiligen. Die Idee, die wir seit Jahren vertreten, ist die eines Akademikerbeitrags. Das bedeutet: Ich zahle über eine gewisse Zeit – und dann kann man darüber streiten, ob vier oder fünf oder sechs Jahre – einen kleinen zusätzlichen Beitrag in die öffentlichen Haushalte, wobei sichergestellt werden muss, dass diese Mittel tatsächlich den Hochschulen zugutekommen und nicht in den allgemeinen Haushaltstopf einfließen.
    Maleike: Aber vielleicht noch mal zurück zur Entscheidung jetzt in Baden-Württemberg: Ist das aus Ihrer Sicht eine gerechte Entscheidung?
    Dohmen: Na ja, gerecht wäre, wenn man es streng sieht, die Einführung von Studiengebühren für alle Studierenden einzuführen.
    Maleike: Das ist ja das, was befürchtet wird, dass das quasi jetzt ein Einfallstor für mehr werden könnte.
    Dohmen: Na ja, man muss nüchtern konstatieren: Die Politik hat sich keinen Gefallen damit getan, sukzessive die in den vergangenen zehn Jahren eingeführten Studiengebühren auch wieder abzuschaffen. Das sagen die allermeisten Bildungspolitiker auch. Und insofern wird es irgendwann über kurz oder lang nach meiner Einschätzung wieder dazu kommen, dass Studiengebühren eingeführt werden. Die Frage ist eher: Wo werden sie eingeführt? Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das Masterstudium eine Möglichkeit wäre zu sagen: Hier, wir haben quasi ein Grundstudium – also den Bachelorabschluss – für alle kostenfrei, wer mehr möchte, soll entsprechend zahlen. Das halte ich nicht für ausgeschlossen.
    Nächste Vorschläge zu den Studiengebühren: "2020 sind sie da"
    Maleike: Gucken wir noch ganz zum Schluss kurz in die Glaskugel: Wann werden die nächsten Vorschläge zu den Studiengebühren aus den Bundesländern auf den Tisch kommen?
    Dohmen: Wenn ich mit meiner Prognose richtig liegen sollte – sprich: 2020 sind sie in größerem Umfang da –, dann wird das spätestens wahrscheinlich ab 2018, allerallerspätestens 2019 der Fall sein. Und wir müssen im Hinterkopf haben: Ab 2019 gilt auch die Schuldenbremse und viele Länder sind heute dabei, die Mittel für die Hochschulen nicht in dem Maße zu erhöhen, wie es nötig ist, einige müssen kürzen. Und wenn die Schuldenbremse gilt, wird es zwangsläufig den Bildungsbereich treffen.
    Maleike: Baden-Württemberg wird ab kommendem Wintersemester Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer einführen. Wie diese Entscheidung bildungsökonomisch einzuschätzen ist, dazu war das Dr. Dieter Dohmen vom Forschungsinstitut FiBS. Vielen Dank, Herr Dohm!
    Dohmen: Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.