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''Studiengebühren kann sich Deutschland nicht leisten''

Die Berliner Hochschulen sind, wie eigentlich die gesamte Stadt, klamm. Das nutzt der regierende SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit zu einem bundespolitischen Appell. Er verlangt in Widerspruch zu SPD-Bundesministerin Bulmahn, Studiengebühren, auch fürs Erststudium. Warum das unsinnig ist, erklärt der Jura-Professor Bernhard Nagel von der Universität Kassel.

    DLF: Ob Hochschulrektoren oder Hochschulpolitiker, die Lust auf Studiengebühren wird offensichtlich immer ungezügelter. Gegen diesen Trend sagt der Kasseler Professor für Wirtschaftsrecht Bernhard Nagel "Studiengebühren kann sich Deutschland nicht leisten." Warum denn nicht, Herr Professor Nagel ?

    Nagel: Zunächst einmal, weil Studiengebühren eine abschreckende Wirkung auf solche Studierende haben, die sich nur schwer finanziell über Wasser halten, die das Studium neben dem Beruf betreiben und die aus sozial weniger begüterten Familien kommen. Zweitens aber auch, weil die Studiengebühren dann nichts für die Hochschulen bringen, wenn die Finanzminister das Geld, das durch Studiengebühren eingenommen würde, sofort wieder abziehen. Schließlich noch eine dritte Überlegung: Studiengebühren lenken von der Aufgabe ab, dass die Hochschulen effizienter organisiert und betrieben werden müssen.

    DLF: Sie sagen das ja nicht aus einem Gefühl heraus. Sie haben die sozialen Auswirkungen von Studiengebühren weltweit analysiert, mit welchem Ergebnis ?

    Nagel: Das Ergebnis ist sehr differenziert: Erstens sind Studiengebühren nur ein Teil der Studierkosten. Einen Hauptteil machen die Lebenshaltungskosten und die sogenannten Opportunitätskosten aus, das heißt, die Kosten, die anfallen, weil die Studierenden zum Beispiel im Beruf alternative Tätigkeiten nicht einnehmen können. Insofern muss man das Problem sehr differenziert betrachten. Das zweite Ergebnis ist vielleicht nicht überraschend: In jedem Land ist die Situation anders. In den USA werden Studiengebühren hingenommen. In Österreich sind Studiengebühren nicht hingenommen worden, jedenfalls in einem Umfang nicht hingenommen worden, wie ich das gar nicht erwartet hatte.

    DLF: Sie haben gesagt: Wichtig für die Akzeptanz von Studiengebühren ist auch, dass die Einnahmen wirklich den Hochschulen zu Gute kommen, ist das realistisch in einem System wie Deutschland es hat ?

    Nagel: Ich würde sagen, eher nein. Die Erfahrungen aus Österreich sind negativ. Dort wurden die Einnahmen aus den Studiengebühren in den allgemeinen Haushalt eingestellt, was natürlich nicht zur Begeisterung der Entscheidungsträger an den Hochschulen beitrug.

    DLF: Wie könnte man denn dieses Problem lösen?

    Nagel: Das könnte man so lösen, wie es in Schottland erfolgt ist: Die Schotten, die ja in Gelddingen eine gewisse Geschicklichkeit an den Tag legen, haben sich in einer Situation, in der in England bereits Studiengebühren eingeführt worden waren, für Schottland ein anderes Konzept zurechtgelegt und auch durchgesetzt: Sie verlangen von Schotten keine Studiengebühren, sondern stattdessen nach dem Examen 2.050 Pfund an den Graduate Fund of Scotland - oder so ähnlich -, also an einen Fonds, der dieses Geld wieder dem Bildungs- und Hochschulbereich zur Verfügung stellt. Es wird sogar noch eine Versicherungslösung eingebaut: Man zahlt erst von einer bestimmten Einkommenshöhe ab - derzeit 10.000 Pfund, also etwa 15.000 Euro im Jahr - überhaupt diese Studiengebühren, so dass also diejenigen, die im Anschluss an ihr Studium kein Geld verdienen, nicht befürchten müssen, von ihrem Schuldenberg erdrückt zu werden.

    DLF: Das ist also etwas wie nachgelagerte Gebühren.

    Nagel: Ja.

    DLF: Unabhängig davon: Die Hochschulen sind chronisch unterfinanziert. Welche Möglichkeiten gibt es denn, diese Unterfinanzierung zu lösen?

    Nagel: Auf der einen Seite brauchen sie mehr Geld, auf der anderen Seite müssen sie effizienter wirtschaften. Weil sie nach der konkreten Situation in Deutschland fragen - ich glaube auch, dass hier für die deutschen Hochschulen noch sehr viel Luft ist, ihre Effizienz zu verbessern.

    DLF: Ein Vorstoß wie heute wieder von Klaus Wowereit, dem regierenden Bürgermeister von Berlin, der Studiengebühren für ein Erststudium verlangt, entgegen den Vorschriften im Hochschulrahmengesetz- was halten Sie von dem?

    Nagel: Bei Herrn Wowereit ist es so, dass man sagen muss: Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. In einer so desaströsen finanziellen Situation kann man eigentlich überhaupt keinen Rat mehr geben. Auf der anderen Seite ist es in der Tat richtig, dass im Hochschulrahmengesetz ein abgeschwächtes Verbot von Studiengebühren enthalten ist und dass Herr Wowereit eine solche Einführung von Studiengebühren rechtmäßig gar nicht vornehmen kann.

    DLF: Professor Bernhard Nagel, Universität Kassel, und die Gründe, die gegen Studiengebühren sprechen.