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Studiengebühren
"Tatsächlicher Einfluss viel geringer, als man glaubt"

In der "Süddeutschen Zeitung" hat die Hochschulrektorenkonferenz die Renaissance der Studiengebühren ausgerufen. Tatsächlich aber bringe die Campus-Maut den Hochschulen viel geringere finanzielle Vorteile als allgemein angenommen, sagte Dieter Dohmen, Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie, im Deutschlandfunk.

Dieter Dohmen im Gespräch mit Benedikt Schulz | 17.10.2014
    Eine junge Frau schreibt die Wörter 'Studiengebühren' und 'BAföG' an ein Flipchart.
    Dieter Dohmen: "Die Sozialversicherungen sind überhaupt nicht an der Hochschulfinanzierung beteiligt, sind aber de facto mit der größte Profiteur." (dpa/picture alliance/Jens Kalaene)
    Benedikt Schulz: Totgesagte leben anscheinend länger. Gerade hat man gedacht, die Studiengebühren hätten ihr kurzes Intermezzo beendet, und jetzt ruft die Hochschulrektorenkonferenz mittels der "Süddeutschen Zeitung" schon wieder die Renaissance der Campus-Maut aus. Weil die Hochschulen jetzt schon völlig unzureichend ausgestattet seien. Und der Chef der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, der sagt, Studiengebühren können sinnvoll die staatliche Finanzierung ergänzen. Und wie gut diese Idee ist, darüber sprechen wir gleich. Nach 2005 sind die Gebühren ja in insgesamt sieben Bundesländern erst eingeführt worden und dann nach und nach wieder abgeschafft worden. Jetzt, zum Wintersemester, hat Niedersachsen als letztes Bundesland nachgezogen und ist ab jetzt ebenfalls gebührenfrei. Sollte man meinen. Stimmt aber nicht so ganz.
    - Einspielung Beitrag von Christoph Niekamp-
    Und mitgehört hat Dieter Dohmen, Bildungsökonom und Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie. Ich grüße Sie!
    Dieter Dohmen: Guten Tag, Herr Schulz!
    Schulz: Wir haben Sie gerade noch im Beitrag gehört, ein Studium kostet Geld, viel Geld, und die Hochschulen klagen oft und laut, dass sie das Geld nicht haben, um die steigende Zahl der Studierenden zu bewältigen, und sicherlich auch nicht ganz zu Unrecht. Aber Studiengebühren, dieser alte Hut, ist das jetzt die Lösung?
    Dohmen: Dass die Forderung nach Studiengebühren kommt, überrascht nicht wirklich. Man kann sich schon fragen, warum die Länder sie bedingt ohne Not abgeschafft haben. Natürlich haben sie sich in die Zwangslage gebracht. Wenn man sich aber die Entwicklung anguckt, die sich bei den privaten Einnahmen der Hochschulen gezeigt hat im Kontext der Einführung von Studiengebühren, dann muss man auch sagen: Die Entwicklung ist so gut wie marginal, es macht gerade mal einen Prozentpunkt an der Hochschulfinanzierung insgesamt aus. Das heißt, die Einnahmen aus Studiengebühren stiegen von 3,5 auf 4,5 Prozent und insofern sind die Erwartungen völlig überhöht.
    Schulz: Und woher kommt jetzt diese Diskussion, dass die Hochschulunterfinanzierung jetzt durch Studiengebühren gelöst werden soll?
    Dohmen: Weil die Hochschulen in ihrer Not, was nachvollziehbar ist, nach jedem Strohhalm greifen. Und wenn man etwas oberflächlich rechnet, dann kommt man natürlich auf ordentliche Beträge, einfach 2,6 Millionen Studierende mal 1.000 Euro sind 2,6 Milliarden Euro und damit fast zehn Prozent der laufenden Hochschuleinnahmen. Allerdings gibt es auch andere Gebühren, die bisher eingeführt worden sind, die dann zum Teil ersetzt werden. Und insofern ist der tatsächliche Einfluss viel geringer, als man glaubt.
    Schulz: Nun haben die Länder – das hat ja eine Studie gezeigt, die Ihr Institut durchgeführt hat – in den vergangenen zehn Jahren ihre Ausgaben pro Studierendem gesenkt, und das, obwohl die Mittel vom Bund teilweise sogar gestiegen sind. Jetzt kommen im nächsten Jahr sogar noch die frei werdenden BAföG-Mittel dazu. Wie kann es denn sein, dass jetzt wieder die Studierenden zur Kasse gebeten werden sollen?
    "Der größte Profiteur ist der Bund"
    Dohmen: Die Frage ist schon grundlegend: Ist es gerecht, dass andere Personen das Hochschulstudium für die zukünftig besser Verdienenden – das sind die Akademiker nach wie vor meistens, auch wenn es einige durchaus nicht unbeachtliche Ausnahmen gibt ... Also, die Gerechtigkeitsfrage steht im Raum. Und es ist durchaus nicht ungerecht zu sagen, die Akademiker sollten hinterher einen Teil der Studienkosten zurückzahlen, wenn sie denn viel verdienen. Gleichzeitig muss man aber auch konstatieren, dass die öffentliche Hand insgesamt 25 Prozent Rendite sozusagen für ihre Hochschulinvestitionen einfährt. Das Problem ist aber, dadurch, dass die Länder die Hochschulen finanzieren, sind sie eigentlich diejenigen, die am wenigsten profitieren. Der größte Profiteur ist der Bund und das sind die Sozialversicherungen. Der Bund hat seinen Anteil an der Hochschulfinanzierung in den letzten Jahren erhöht, aber unterproportional, er müsste viel mehr finanzieren, im Prinzip etwa 50 Prozent. Das andere ist, die Sozialversicherungen sind überhaupt nicht an der Hochschulfinanzierung beteiligt, sind aber de facto mit der größte Profiteur.
    Schulz: Das Argument der Kritiker ist ja, dass Personen aus bildungsfernen Schichten aber durch Gebühren vom Studium abgehalten werden. Wie sehen Sie das?
    Dohmen: Ich sage mal, die empirische Befundlage ist tatsächlich etwas widersprüchlich. Es gibt Studien, die kommen zu dem Ergebnis, dass gerade Kinder oder junge Menschen aus einkommensschwächeren Familien abgeschreckt werden. In der Größenordnung ist der Effekt aber wahrscheinlich so klein, dass er in der großen Masse untergeht und dadurch verdeckt wird, dass viele junge Menschen gar keinen Studienplatz zwischenzeitlich bekommen haben und die Nachfrage dadurch auch gigantisch geworden ist. Also insofern, wenn man Studiengebühren wieder einführen sollte, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Die eine Möglichkeit ist, höhere Gebühren im Master-Bereich zu nehmen, oder aber man muss deutlich bessere Stipendiensysteme einführen, als das bisher der Fall war, oder tatsächlich über nachgelagerte Studiengebühren reden, was bedeutet, dass man sich nicht verschuldet, sondern, wie wir das vor einigen Jahren vorgeschlagen haben, einen bestimmten Anteil am Einkommen, zum Beispiel fünf oder sechs Prozent des Einkommens über eine gewisse Zeit lang zahlt. Was heißen würde: Wer bei McKinsey 5.000, 6.000, 7.000, 8.000 Euro verdient, zahlt deutlich mehr als jemand, der als Sozialarbeiterin vielleicht mit 2.500 Euro nach Hause geht.
    Schulz: Schauen wir mal in die Zukunft, jetzt nach dem jahrelangen Gezank um die Studiengebühren, erst sind sie eingeführt worden, jetzt sind sie Stück für Stück wieder abgeschafft worden: Wie realistisch ist es Ihrer Meinung nach, dass sie jetzt wieder eingeführt werden?
    "Die Länder sind der größte Finanzier"
    Dohmen: Also, unabhängig von der aktuellen Diskussion beschäftige ich mich seit einiger Zeit mit der Frage, und ich halte es durchaus für sehr wahrscheinlich, dass sie über kurz oder lang kommen werden. Sofern es nicht grundlegende Neustrukturierungen der Hochschulfinanzierung gibt. Die Länder sind der größte Finanzier, haben aber fast am wenigsten davon. Gucken Sie nach Ostdeutschland, dort würden viele junge Menschen ausgebildet, die dann nach Bayern und Baden-Württemberg gehen und dort ihre Steuern zahlen. Das heißt, die Länder in Ostdeutschland, denen es eh wirtschaftlich nicht berauschend geht, zahlen dann quasi die Investitionen für die bayerischen oder baden-Württemberger Akademiker, die dort dann ihre Steuern zahlen. Insofern kann ich Herrn Haseloff schon durchaus verstehen, wenn er sagt, das ist ungerecht und wir können das nicht leisten.
    Schulz: Sagt Dieter Dohmen. Er ist Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie. Vielen Dank!
    Dohmen: Vielen Dank auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.