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Studieren im Ausnahmezustand

"Der Streik ist vorbei - es lebe der Protest!" Auch in Weimar ist die vorlesungsfreie Zeit zu Ende - aber nach den vergangenen Monaten stellt sich die Frage, ob der Streik neu beginnt. Darüber sollte eine Vollversammlung am Mittwoch entscheiden, die jedoch aufgrund mangelnder Beteiligung um zwei Wochen verschoben wurde. Nach dem Osterurlaub hofft man auf mehr Zuspruch. Unterdessen findet eine Vorlesungsreihe statt, die sich "'Studieren im Ausnahmezustand" nennt.

Von Ulrike Greim |
    Ein kühler aber sonniger Tag in der Weimarer Innenstadt. Mitglieder des Studierendenkonvents der Bauhaus-Uni Weimar trinken Kaffe in einer Studentenkneipe am Markt. Es wehen keine großen Streik-Transparente mehr, Aktionen sind erst einmal nicht geplant. Doch Normalität, so sagt es Maria Dantz, sei das noch lange nicht. Nur eben vorerst kein Streik.

    Wir studieren allerdings im Ausnahmezustand, was bedeutet: es gibt zum Beispiel die Vorlesungsreihe, es wird immer noch thematisiert, es wird immer noch auf das Problem aufmerksam gemacht, und natürlich kann im Falle eines Falles - wenn zum Beispiel ansteht, dass Studiengebühren erhoben werden sollen - sofort wieder gestreikt werden.

    Denn der Streik Ende letzten und Anfang dieses Jahres war gut, sagen die Studierenden. Lustgewinn war dabei, aber nicht nur. Jens Wernicke:

    Es wurden zwei Dinge erreicht. Zum einen: bei uns an der Uni hört man uns zu. Das ist ja ne Grundvoraussetzung. Und zum anderen: dass wir jetzt mehr Engagement auf Seiten der Studierenden haben. Also am Anfang waren es die üblichen Hochschulgremien, da traf man sich und sprach darüber, was man als nächstes macht, inzwischen gibt's auch Leute, die Lust haben, das zu machen. das ist ein existenzieller Unterschied.

    Streik sei also Bewusstseinsarbeit. Studierende hätten viel über sich selbst gelernt, über Strukturen, über Politik und über die Notwendigkeit, all das medial zu vermitteln. So solle es auch bleiben. Denn nach wie vor steht der Thüringer Hochschulpakt zwischen Landesregierung und den Hochschulen, der besagt: Gleichbleibende Finanzierung bis 2006 und damit Planungssicherheit. Jens Wernicke zur Kehrseite:

    Da wird tatsächlich 10 bis 15 Prozent im Jahr gekürzt, weil wir immer mehr Studierende haben, und der Hochschulpakt lediglich garantiert, dass die Gelder gleich bleiben. Das bringt aber nichts, wenn man mehr Gehälter zahlen muss - drei bis vier Prozent im Jahr an Gehaltserhöhungen - wenn die Studierenden mehr werden, und wenn es noch eine Inflation von zwei Prozent gibt. Das sind real 10 bis 15 Prozent Kürzungen pro Jahr. Und da können Sie mal zusammen rechnen, was das nach fünf Jahren macht - das ist die halbe Uni, die weg ist.

    Schon jetzt, so sagt es Architekturstudentin Maria Dantz, müsse man Schlange stehen, um ein Modell mit dem Professor zu besprechen. Lehrstühle fielen weg, damit fehlten wichtige inhaltliche Bereiche. Das könne so nicht sein. Doch wie kam es zu der Situation, in der die Unis jetzt sind, was würden tatsächlich Studiengebühren bringen, welche Alternativen gibt es. Diese und viele andere Fragen - auch im Blick auf die globalen Herausforderungen der deutschen Hochschullandschaft - werden in einer Ringvorlesung thematisiert, die Jens Wernicke organisiert hat. Heute Abend beginnt sie, und erster Gast ist Hans Heinz Holz, Philosophieprofessor, bekennender Marxist.

    Natürlich geht es nicht, dass die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland auf Kosten der gesamten Nation, also ausschließlich aus dem gegenwärtigen Steueraufkommen heraus befriedigt wird, sondern da muss dann eben auch mal die Frage gestellt werden, ob die Milliardengewinne der Industrie nicht für diese Zwecke vom Staat auch einmal in Anspruch genommen werden.

    Sein Plädoyer heißt: Bildungsinvestition ist lebensnotwenig. Er meint dabei eine umfassende Bildung im Humboldtschen Sinn. Kurzfristiges Effizienzdenken bringe nichts. Die Ringvorlesung läuft von heute an jeden Donnerstag bis Mitte Juli. Und das bedeutet dann "Studieren im Ausnahmezustand", sagen die Initiatoren, es sei denn, die Vollversammlung beschließt etwas anderes.

    Info zum Thema:

    Die Ringvorlesung findet ab 15.04. immer donnerstags im Sommersemester 2004 statt