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Studieren ohne Abi schwer gemacht

Wer sich auf die Zugangsprüfung an der TU Dresden vorbereitet, der hat die Hoffnung, ohne Abitur einen Studienplatz zu ergattern. Voraussetzung sind Prüfungen, die sich am Abiturniveau des gymnasialen Grundkurses orientieren. Doch gerade bei den Prüfungen im Fach Biologie fällt auf, dass die Fragen deutlich schwerer sind und oft Studieninhalte voraussetzen. Zufall, Absicht oder gar bewusste Manipulation?

Von Hanno Grieß |
    Heike Steglich und Beate Ballay sind Physiotherapeutinnen. Seit zehn Jahren haben sie im Job Erfahrung gesammelt und wollen jetzt nachholen, was früher aus persönlichen Gründen nicht möglich war. Das Studium der Medizin. Neben der Arbeit und der Kindererziehung bereiteten sich die beiden auf die Zugangsprüfung an der TU Dresden vor. Das geforderte Abiturniveau des gymnasialen Biologie-Grundkurses müsste doch zu schaffen sein, so ihre Erwartung, aber dann kam das böse Erwachen in der Prüfung:

    "Haben uns Abibedingungen von der Uni gewünscht, mit Niveau-Abi, weil man sich auch so vorbereitet hat. Es waren aber viele sehr spezifische Fragestellungen, auch aus dem Leistungskurs, und Sachen, die im Abi nicht kommen, sondern erst in der Hochschule vermittelt werden."

    Das bestätigt auch der zuständige Fachberater für Biologie vom Regionalschulamt, Volker Suchantke. Er konzipiert Biologie-Prüfungen für das sächsische Abitur. Und er lässt kein gutes Haar an der Zugangsprüfung der TU Dresden:

    "War ja ausgemacht, das das auf dem Grundkursniveau basieren sollte, und wenn ich mir zwei Bereiche anschaue, das ist der Botanik-Teil und der Zoologie-Teil, dann sind da Sachverhalte drin, die nicht im Grundkurs-Abitur enthalten sind. Das heißt, diese Fragen können die Schüler entsprechend nicht beantworten. Ich vermute mal, derjenige Autor hat sich nicht ordentlich informiert, was ist eigentlich dran und auf welchem Niveau."

    Ein Wissenschaftler, der für die TU die Fragen entwickelt hat, beteuert, sich sehr wohl über Form und Inhalt der Abiturfragen informiert zu haben. Die Prüfung müsse aber nicht zwingend mit dem Abitur deckungsgleich sein, meint der Biologe:

    "Das ist unser Freiraum. wir können die Fragen letztlich so stellen, wie wir sie für richtig halten, wir sind nur gebunden an den Inhalt der Fragen, wir können nicht etwas fragen, was jemand mit dem Grundkurs Biologie nicht wissen kann."

    Fakt ist: In den Zugangsprüfungen, die Heike Steglich und Beate Ballay vorgelegt wurden, sind definitiv Inhalte enthalten, die mit dem sächsischen Abitur nichts zu tun haben. Die Frage ist also: Wie gelangen sie dort hinein? Antwort eins: Das sächsische Hochschulgesetz erwähnt das Abiturniveau nur als generellen Anhaltspunkt, eine genauere Festlegung des Erlaubten findet sich nicht. Daher sind solche Prüfungen rechtlich schwer zu beanstanden. Antwort Zwei: Niemand kontrolliert offenbar den Inhalt der Fragen. Die Folge ist, so mancher Prüfer entwickelt eine sehr eigene Vorstellung, wie viel Abiturstoff in seinen Fragen vorkommt. Dem an der TU Dresden für Botanik zuständigen Prüfer Johannes Siemens jedenfalls ist das Abitur-Niveau bei weitem nicht genug:

    "So dass es schon so ein Versuch ist, zu ermitteln, was die Leute später im Studium leisten würden. Das sind teilweise auch Transferfragen, die man ableiten kann. Man soll zwar mehr oder weniger das Abiturwissen abfragen, gleichzeitig soll man aber schauen, ob Anzeichen da sind, dass erfolgreich in dem entsprechenden Fach ein Studium absolviert werden kann."

    Und so fragt Johannes Siemens auch Inhalte ab, die erst im Studium vorkommen. Dazu kommt: Sein Fach Botanik spielt in der Schule praktisch keine Rolle, Siemens nimmt sich aber die Freiheit, dreimal so viele Fragen zu stellen wie seine Kollegen beispielsweise für die Genetik. Das Ergebnis: Selbst der schon zitierter Biologe, sagt, er könne manche Fragen nicht beantworten. Aber die Aufgaben waren nicht die einzigen negativen Erfahrungen für die beiden Studienbewerberinnen. So sollen beispielsweise die Prüfungen laut Prüfungsordnung maximal vier Stunden dauern und in mehreren Wochen abgelegt werden. Faktisch dauern an der TU Dresden aber alle Prüfungen vier Stunden und finden an aufeinander folgenden Tagen statt. Die frustrierte Schlussfolgerung:

    "Uns wurde auch gesagt, dass wenn Leute ohne Abitur über diesen Weg an die Uni kommen, dass man dann das Abitur aushebeln würde, also uns wurde unterschwellig schon vermittelt, dass es nicht sehr gewollt ist, dass Leute über die Zugangsprüfung an die Uni kommen."

    Ob die TU Dresden Bewerber ohne Abitur tatsächlich mit einer Strategie abschrecken will, dazu wollte sich die verantwortliche Mitarbeiterin im Prüfungsamt nicht äußern. Wie es scheint, hat das ganze Verfahren aber genau diese Wirkung. Heike Steglich und Beate Ballay jedenfalls haben die Prüfungen zwar bestanden und bewerben sich gerade für die Medizin. Ihr Notendurchschnitt von 2,5 und 3,3 dürfte es ihnen aber schwer machen, einen Studienplatz zu bekommen.
    Anmerkung der Redaktion: Wir haben zwei Aussagen auf Wunsch des Gesprächspartners anonymisiert.