Freitag, 17. Mai 2024

Archiv


Studieren ohne Abitur

In Niedersachsen soll mit dem Modellprojekt "Offene Hochschule" Berufstätigen der Weg ins Studium erleichtert werden. Denn bislang ist die Resonanz bei Handwerksmeistern, Technikern und anderen Facharbeitern ohne Abitur eher gering.

Von Susanne Schrammar | 07.01.2010
    "Das sind Leute, die haben andere Lebenswirklichkeiten, die haben Familie, die sind vielleicht eher darauf angewiesen, am Wochenende an den Hochschulen Präsensphasen zu durchlaufen, die darauf angewiesen sind, internetgestützte Plattformen für sich in Anspruch zu nehmen, das muss organisiert sein."

    Allein eine Berechtigung zum Studieren, weiß Lutz Stratmann, Niedersachsens Wissenschaftsminister, reicht nicht aus, um mehr Handwerksmeister, Techniker und andere Facharbeiter ohne Abitur an die Unis zu bringen. Deshalb hat er vor zwei Jahren das Pilotprojekt "Offene Hochschule" in Gang gebracht: An den Universitäten in Oldenburg, Hannover, Braunschweig und Lüneburg sollen bis 2013 Bedingungen geschaffen werden, damit es den sogenannten unkonventionellen Studierenden leichter fällt, ihren Bachelor oder Master zu machen. Federführend in Niedersachsen ist dabei die Leuphana Universität in Lüneburg. Projektleiterin Sabine Remdisch:

    "Der Meister ist kompetent, hat eine gute Ausbildung und darf ja jetzt studieren, aber wir haben trotzdem wenig Meister, kaum Meister, die studieren wollen oder studieren. Und da ist die Frage, wie kann man Angebote stricken, die einem Meister das attraktiv erscheinen lassen?"

    Ein erstes Ergebnis: Spezielle Begleitprojekte, die die Studierenden ohne Abitur systematisch an die Welt der Wissenschaft heranführen. Gemeinsam mit dem Niedersächsischen Bund für freie Erwachsenenbildung arbeitet das Lüneburger Team an einem Mentorenprogramm.

    "Dass man erläutert, wie kann ich meinen Stundenplan zusammenstellen, was heißt 'wissenschaftliches Arbeiten', wie mache ich eine Literaturrecherche, eine Einführung in die Bibliotheksarbeit und solche Dinge. Die Idee ist eine kontinuierliche Lernbegleitung für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen herzustellen, weil natürlich auch mit der ersten Prüfung dann möglicherweise die ein oder andere Frage auch verbunden ist und dann eine Unterstützung auch braucht."

    Wesentlich schwieriger gestaltet sich da das Problem der Durchlässigkeit, sprich: Können bereits vorhandene Qualifikationen wie Lehre, betriebliche Weiterbildungskurse oder Berufserfahrung auf das Studium angerechnet werden? Weder im Land Niedersachsen noch im Bundesgebiet gibt es dafür bislang einheitliche Regelungen. Reichen Kreditpoints, die für bestimmte Abschlüsse vergeben werden? Sind Inhaltsbeschreibungen von Weiterbildungen aussagekräftig genug? Oder sollten vielleicht besser Eingangsprüfungen durchgeführt werden?

    "Also, ich denke, das ist eine der zentralen Baustellen auf dem Weg zur offenen Hochschule, dass man sich überlegt, welche Arten, welche Formate von Weiterbildung gibt es, mit welchen Methoden können diese vergleichbar gemacht werden, sodass man gegenseitige Anrechenbarkeit ermöglichen kann. Da sind wir jetzt im Rahmen unseres Projektes dran, da Wege zu finden, wie ich eben eine Kompetenzmessung durchführen kann."

    Ein weiterer Stolperstein für das Projekt "Offene Hochschule" – wie können kleine Unternehmen dazu gebracht werden, ihren Mitarbeitern ein Studium zur Weiterbildung zu ermöglichen? Während größere Arbeitgeber ihre Beschäftigen häufig dazu ermutigten, sich fortzubilden und dafür auch Rahmenbedingungen im Betrieb schaffen, falle dies Mittelständlern nicht so leicht, hat Sabine Remdisch erfahren.

    "Wir haben viele Gespräche geführt mit den klein- und mittelständischen Unternehmern und sie sagen: Ja, sind die Auftragsbücher voll, dann haben wir keine Zeit für Weiterbildung und sind die Auftragsbücher leer, haben wir kein Geld für die Weiterbildung."

    Stichwort Geld – auch die finanziellen Rahmenbedingungen für Studierende ohne Abitur sind ein weiteres Problem, das im Modellprojekt an der Lüneburger Universität geprüft werden soll. Bisher gibt es BAföG nur bis zum vollendeten 35. Lebensjahr, möglicherweise wird dies im Zuge der nächsten BAföG-Reform geändert. Niedersachsens Wissenschaftsminister Stratmann denkt zudem über spezielle Kredit- oder Stipendienprogramme nach, die es Meistern, Technikern oder auch Erzieherinnen ermöglichen, parallel zum Beruf einem Studium nachzugehen. Auch wenn andere Bundesländer bislang inhaltlich noch nicht so weit sind bei der "Offene Hochschule", zeigt sich der niedersächsische Minister zuversichtlich, dass die Probleme ausgeräumt werden können, auch wenn es noch ein bisschen dauern kann.

    "Ich bin mir ziemlich sicher, dass spätestens im Jahr 2020 das Thema "Offene Hochschule, lebenslanges Lernen, Fort- und Weiterbildung" an den Hochschulen was völlig Selbstverständliches sein wird und man sich gar nicht vorstellen kann, dass es auch mal ganz andere Zeiten gegeben hat."