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Studieren ohne Abitur - offenbar unattraktiv

Kaum jemand nutzt das Angebot, ohne Abitur zu studieren: Nur ein Prozent aller Studierenden sind beispielsweise in Niedersachsen Quereinsteiger. Für das Programm "Offene Hochschule" gibt das Bundesland rund 800.000 Euro jährlich aus, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Jetzt soll eine Beratungsstelle mehr Menschen ohne Abitur an die Unis locken.

Von Torben Hildebrandt | 15.10.2013
    Der Mann an der Gegensprechanlage ist Philipp Schaumann. Er arbeitet in der Servicestelle "Offene Hochschule" – hier gibt es Tipps für diejenigen, die ohne Abitur studieren wollen. Schaumann berät Tischler oder Techniker, Krankenschwestern oder Köche auf dem Weg an die Uni oder FH. Seit April gibt es die Beratungsstelle, pro Woche kommen etwa 20 Interessierte - es könnten mehr sein, sagt Philipp Schaumann:

    "Das ist ein Angebotsproblem, aber auch Nachfrageproblem. Das Angebot würde besser werden, wenn mehr Leute nachfragen würden. Und wir verstehen uns so, dass ein Teil unserer Arbeit Öffentlichkeitsarbeit ist – für unsere Beratungsstelle aber auch für die Möglichkeiten. Damit mehr Menschen sich mit dem Gedanken befassen, noch mal zu studieren."

    Auch Timo Wussow hat sich beraten lassen. Nach dem Realschulabschluss, einer Ausbildung zum IT-Systemelektroniker und drei Jahren im Job hat er sich für ein Studium entschieden – um nicht im Ausbildungsbetrieb zu versauern, wie er selbst sagt. Der 26-Jährige nutzt die Servicestelle auch jetzt noch. Termin bei Berater Philipp Schaumann:

    ""Ja Herr Wussow, sie haben berichtet, dass sich leichte Probleme haben, wie können wir ihnen weiterhelfen? Ich hab da noch ein paar Fragen zur Finanzierung…"

    Timo Wussow studiert an der FH das Fach Technische Redaktion - Bedienungsanleitungen, Handbücher, Zeichnungen – das ist seine Welt. Die ersten Monate als Student waren hart: Im Hörsaal fühlte sich Wussow als Exot, ihm fehlte die Oberstufen-Mathematik, kam mit dem Stoff nicht hinterher – er musste sich durchbeißen. Inzwischen fühlt er sich wohl – und um seine berufliche Zukunft macht er sich auch keine Sorgen mehr:

    "Bei den bisherigen Studiengängen war es so, dass die Firmen an die FH kamen und den Studenten Jobangebote vor die Nase gehalten haben. Hier, habt ihr nicht Lust bei uns zu arbeiten? Weil es in dem Bereich einen riesigen Bedarf und viele freie Stellen gibt."

    Ohne Abitur ist der Hochschulzugang oft mühsam. Auch deshalb, weil nicht alle Uni-Mitarbeiter davon wissen - obwohl das Gesetz diese Möglichkeit in Niedersachsen ausdrücklich vorsieht, sagt Leiterin der Beratungsstelle, Monika Hartmann Bischoff:

    "Es kommt immer wieder die Situation vor, dass jemand mit der Ausbildung beim Immatrikulationsamt auftaucht und dass das für die Kollegen vor Ort neu ist und dann kann es zu Fehlinformationen kommen. Dann gehen wir dem halt nach, wir versuchen die Hochschule zu motivieren, den Einzelfall zu überprüfen und dann gibt es plötzlich doch einen Zugang."

    In ganz Niedersachsen studieren derzeit nur 2400 Menschen ohne Abitur – das heißt: nur 1 Prozent aller Studenten. Zum Teil liegt das auch daran, sagt Monika Hartmann-Bischoff, dass Quereinsteiger in überlaufenen Studiengängen nicht immer mit offenen Armen empfangen werden:

    "Das finden wir nicht so schön. Wir versuchen trotzdem, die Lehrenden dafür zu begeistern, sich mit dieser Zielgruppe auseinanderzusetzen. Weil wir sehen, dass in der Zusammenarbeit von Abiturienten mit Menschen, die aus dem Beruf kommen, in den Veranstaltungen viel entstehen kann, was sonst nicht vorhanden wäre."

    Auch die Krankenschwester Brigitte Kossok hat mit dem Gedanken gespielt – und sich wieder davon verabschiedet. Die 42-Jährige wollte sich im sozialen Bereich weiterbilden, um als Beraterin zu arbeiten – zum Beispiel, um Menschen zu begleiten, die nach langer Krankheit den Wiedereinstieg in den Job schaffen wollen. Der Traum vom Studium zerplatzte für Brigitte Kossok schnell – denn Studieren und nebenbei in der Klinik arbeiten, so ein Angebot gibt es in Niedersachsen nicht:

    "Also ein berufsbegleitendes Studium wäre für mich das Richtige, wenn es hier in der Nähe wäre. Hannover oder Hildesheim. Alles was weiter weg ist, ist schwierig. Und was überhaupt nicht geht, ist, soziale Arbeit online als Fernstudium zu studieren – da geht’s um Menschen, das widerspricht sich."

    Ein weiteres Problem ist das Geld. Brigitte Kossok hätte einen Studienkredit aufnehmen und ihren Lebensstandard runter schrauben müssen. Keine Urlaubsreisen mehr, stattdessen Büffeln im WG-Zimmer.

    "Ja gut, ich bin jetzt ungebunden, hab keine Kinder oder Familie – aber ich muss ehrlich sagen, mit 42 tu ich mich da schwer."

    Zu wenig finanzielle Unterstützung für die Bewerber, kaum berufsbegleitende Studiengänge. Auch wenn die Zahlen noch eine andere Sprache sprechen – in der Beratungsstelle glauben Monika Hartmann Bischoff und ihre Kollegen fest daran, dass ihre Arbeit nicht umsonst ist:

    "Auch für Hochschulen wird sich das auszahlen, wenn sich in zwei bis zehn Jahren die Studierendenzahlen anders darstellen als jetzt. Also von daher ist das eine Investition in die Zukunft."