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Studieren ohne Gehör
Für Gehörlose oder Hörgeschädigte stellt ein Studium eine ganz besondere Herausforderung dar. In einem Modellstudiengang zur Ausbildung gehörloser Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen untersuchte die Fachhochschule Potsdam Möglichkeiten, die Studien-Hürden für Gehörlose zu senken. Mitverantwortlich war Professor Margret Henke: "Ein Studium für Gehörlose funktioniert nur dann, wenn Gebärdensprache-Dolmetscher vorhanden sind, die simultan die Seminar und Vorlesungen übersetzen." Oft reiche ein einzelner Dolmetscher nicht einmal aus, so Henke: "Um die komplizierten Dinge im wissenschaftlichen Bereich, vor allen Dingen auch in Rechtswissenschaft und Medizin wirklich gut zu übersetzen, braucht man im Hochschulbereich eine Doppelbesetzung. Man braucht zwei Dolmetscher, die je etwa 20 Minuten übersetzen und sich gegenseitig korrigieren. Die beiden müssen hochqualifiziert sein, also auch selbst ein Hochschulstudium absolviert haben. Das ist das große Handicap." Studienberater neigen oft dazu, Gehörlosen, die das Abitur überhaupt erreicht haben, technische Fächer zu empfehlen, weil dort der Kommunikationsanteil nicht so hoch sei. In der Sozialarbeit und der Sozialpädagogik spielt er hingegen eine große Rolle. Der Potsdamer Modellversuch sollte Gehörlosen in diesen hochkommunikativen Studiengängen das Studium ermöglichen, erklärt Henke, "weil zunehmend qualifizierte Gehörlose mit hohem Interesse in diesen Bereich hinein drängen. Dass es möglich ist, haben wir in unserem Modellprojekt bewiesen: Gehörlose können in kommunikativen Feldern tätig werden, sind es ja auch, bisher allerdings nur vereinzelt. Durch das neue Sozialgesetzbuch gibt es jetzt die Möglichkeit, im späteren Arbeitsleben dort, wo Dolmetscherhilfe nötig ist, diese Hilfe auch zu finanzieren." Henke erwartet dadurch neue Anstöße für Gehörlose, ein Studium zu beginnen. Im Potsdamer Modellprojekt entwickelten die Teilnehmer auch Richtlinien für zukünftige "Studiendienste" an den Hochschulen, bei denen gehörlose Studierende qualifizierte Dolmetscher abrufen können. "Ein großer Bedarf", darauf weist Margret Henke hin, "besteht auch in der Aufklärung der Dozenten. Das wird meist vergessen und ist bei anderen Behinderungsarten nicht in dieser Form notwendig wie bei Gehörlosen."
15.02.2002