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Studieren wie im Mittelalter

Umberto Eco ist Geisteswissenschaftler und ein Verehrer des mittelalterlichen Universitätssystems, als alle Studierenden und Intellektuellen nur eine Sprache sprachen, Latein, und in engen Kontakten untereinander standen. Gemeinsam mit anderen hat er das private Hochschulinstitut SUM in Florenz gegründet. Es soll an die mittelalterlichen Hochschulen anknüpfen und Doktoranden eine internationale Ausbildung bieten.

Von Thomas Migge |
    Der Palazzo Strozzi: ein mächtiger Renaissancepalast mitten in Florenz. Hier hat die private Hochschule Istituto di scienze umane, kurz SUM, ihren Sitz. Eine ungewöhnliche Hochschule: die Studierenden sind zwar allesamt Geisteswissenschaftler müssen sich aber mit verschiedenen Aspekten der Geisteswissenschaften auseinandersetzen, auch mit jenen, die ihr Fachgebiet nicht betreffen, erklärt der Studierende Rolando:

    "Als ich von der Uni hierher kam, um meinen Doktor zu machen, wunderte ich mich zunächst. Anstatt mich nur mit meiner Dissertation zu beschäftigen, musste ich auch, und jetzt bin ich froh darüber, Seminare besuchen, die mir den Einblick in die Dissertationsarbeiten der anderen Doktoranden ermöglichen. Ich muss auch Kurse besuchen, die mein Wissen zu anderen Bereichen der Geisteswissenschaften vertiefen. Das ist schon ungewöhlich."

    So muss sich Rolando, der seinen Doktor in der Geschichte christlichen Denkens macht, auch mit der Farbenlehre Goethes beschäftigen, mit mathematischen Denkmodellen mittelalterlicher Kabbalisten oder auch mit der Geschichte der Geisteswissenschaften in den einzelnen europäischen Ländern. Dieser universelle Studienansatz ist ganz im Sinn von Umberto Eco:

    "Mich fasziniert jene Epoche, in der man noch eine Idee von etwas hatte, das ich das Œtotale Wissen nenne. Als Intellektuelle noch eine Vorstellung von allen Wissensgebieten hatten. Heute kann sich so etwas niemand mehr vorstellen. "

    Ziel des von Eco und anderen Geisteswissenschaftlern verschiedenster Disziplinen gegründeten Istituto di scienze umane ist es, möglichst umfassend gebildete Geisteswissenschafter auszubilden. Dazu der am SUM lehrende Historiker Franco Cardini:

    "Um es ganz generell zu sagen: unserer Meinung nach können Forschung und Studium von den mittelalterlichen Universitäten lernen: damals zogen die Studierenden durch ganz Europa, von einer Hochschule zur anderen, sprachen alle die gleiche Sprache und studierten bei den wichtigsten Experten eines jeweiligen Fachs. Auf diese Weise waren sie europäische Intellektuelle, die Grenzen und Räume überwanden. Die heutige Uni-Tendenz geht hingegen zur Abgrenzung der Disziplinen."

    Am Istituto di scienze umane bereiten sich Studierende nicht nur auf ihre Doktorarbeit vor, sondern müssen daneben in verschiedenen Gebieten der Geisteswissenschaften - von der Philosophie über die Geschichtstheorie bis zum Studium jüdischer Rituale - ihr Wissen vertiefen.

    Der 29jährige Giuseppe Mandalà macht am SUM seinen Doktor in der Geschichte der Geisteswissenschaften. Er gehört zu jenen Glücklichen, die nach einem aufwendigen Auswahlverfahren, das auf schulische und Universitätsnoten, auf Fremdsprachenkenntnisse und persönliche Gespräche zum Thema der jeweiligen Doktorarbeit basiert, am SUM zugelassen wurden:

    "Ohne den anderen Hochschulen ihre Daseinsberechtigung abzusprechen muss man doch sagen, dass man hier, am SUM, ganz anders studiert. Ich mache hier meinen Doktor und mache ihn nicht nur hier. Dank des engen Netzes des Instituts zu den wichtigsten Hochschulen weltweit stehe ich, was mein Fachgebiet angeht, in direktem Kontakt mit nahezu allen Experten."

    Neben dem Hauptsitz in Florenz steht das SUM - das sich vor allem privat durch Sponsoren finanziert - in engen Kontakten mit anderen Universitäten und Forschungseinrichtungen in Italien, Europa und den USA: die Studierenden forschen nicht nur am SUM in Italien, sondern auch, in Form gleich mehrerer Forschungsaufenthalte, an verschiedenen am Netz beteiligten Hochschulen, wie zum Beispiel der London School of Economics oder dem Max-Planck Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt. Auf diese Weise soll, meint Giuseppe Mandalà, der Forschungshorizont der Doktoranden erweitert werden:

    "Hier wird fundamentales Wissen vermittelt, auf einem so hohen Level, wie ich es bisher nirgendwo angetroffen habe. Hier dreht sich alles um rund 130 Doktoranden, die ihre Doktorarbeiten in 13 verschieden Dreijahreskursen machen können. 71 Studierende erhalten ein zweijähriges Stipendium in Höhe von 40.000 Euro. Jedem von uns steht ein Tutor zur Seite, der uns mit den für unser Thema wichtigsten Experten weltweit in Kontakt bringt. Hier kann man wichtige Erfahrungen sammeln."

    So kommen die Studierenden schon während ihrer Doktorarbeit mit jenen Institutionen in Kontakt, in direkten Kontakt, die für ihre zukünftige akademische Laufbahn wichtig werden könnten.