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Studio 6

Wer zu Liza Marklund will, muss sich bücken. Die Bestseller-Königin empfängt in einem knorrigen, verwinkelten Stockholmer Haus mit putzigen Fenstern und kleinen Türen. Sie selbst ist groß, schlank, trägt blonde Löwenmähne. Und bei der Begrüßung lächelt sie nervös. Noch ein gemeinsamer Blick aus dem Fenster des Marklund'schen Büros auf die Dächer der Altstadt: Königlich! Dann ergeht die Anordnung: "Sie haben eine Stunde, anschließend muss ich Geburtstagsgeschenke für meine Tochter kaufen." Sie nimmt in ihrem Chefsessel Platz und weist den Gast aus Deutsch-land auf einen Klappstuhl.

Brigitte Neumann |
    Liza Marklund ist eine, die weiß was sie will. Und was nicht. Deshalb ist auch ihre Krimi-Heldin ein klein wenig anders geraten als die üblichen Buch-Detektivinnen. Die Autorin:

    "Meine Heldin sollte eine richtige Frau sein, kein sexuelles Neutrum, wie es in amerikanischen und englischen Thrillern üblich ist. Die Heldinnen dort können zwar im Kugelhagel verletzt werden, aber sie sind nicht verheiratet, haben keine Kinder - sie sind überhaupt nicht weiblich. Meine Heldin Annika hingegen ist eine ganz normale Frau. Sie fühlt sich überlastet, hat Versagensängste und Schuldgefühle. Sie ist stark und smart, aber sie ist auch voller Liebe."

    Wie ihre Buchheldin Annika ist Liza Marklund auch Mutter und hat "nebenbei" Karriere als Journalistin gemacht. Bis zur Nachrichtenchefin des größten schwedischen Fernsehsenders TV 4 hatte sich die 38jährige hochgearbeitet. Als es nicht mehr weiter bergauf ging im Beruf, schmiss Liza Marklund vor drei Jahren ihren Job beim Fernsehen hin, entschied sich für das Schrift-steller-Dasein. Und brachte es damit zu Ruhm und Reichtum.

    In Marklunds Annika-Thrillern - in Schweden sind bisher drei erschienen - ist so manches Reporter-Stück aus alten Zeiten eingeflossen. Ihre Themen: Polit-Skandale, Gewalt, Ethik im Journalismus. Und immer wieder auch die Diskriminierung von Frauen im Beruf. Für Liza Marklund ist der Geschlechterkampf noch lange nicht zu Ende, sagt sie und bohrt dabei ihre Fingernägel in die Schreibunterlage. Marklund:

    "Die geltende Norm ist: männlich, weiß, mit gutem Einkommen. Zwar entsprechen nur 20 Prozent der Gesellschaft dieser Norm, aber diese 20 Prozent be-stimmen die Regeln. Frauen werden noch immer für dieselbe Arbeit schlechter bezahlt. Wir haben viel weniger Einfluss in Politik und Wirtschaft. Ich habe gerade eine Studie gelesen: 155 Jahre wird es in Schweden -noch dauern, bis Mann und Frau wirklich gleichberechtigt sind."

    Liza Marklund ist ein Energiewunder, eine Powerfrau, eine die sich nicht unterkriegen läßt. Mit dem Manuskript ihres ersten Medienkrimis ging sie vor drei Jahren von Verlag zu Verlag. Keiner wollte es drucken. Also machte Liza Marklund ihren eigenen Verlag auf und vertrieb "Olympisches Feuer" über Tankstellen und Eisdielen. Heute ist sie die erfolgreichste Autorin Schwedens. "Olympisches Feuer" ging bislang mehr als eine halbe Million mal über die heimischen Ladentheken. Das Buch wurde mehrfach ausgezeichnet, in ein Dutzend Sprachen übersetzt und wird zur Zeit verfilmt.

    Der Erfolg der Autorin und Verlegerin zieht Kreise. Ihr kleiner Verlag "Piratforlaget" lehrt der großen Konkurrenz das Fürchten, denn manch etablierter schwedischer Autor ist schon dorthin gewechselt, andere drohen damit. Und Liza Marklund weiß genau, warum:

    "Wir wollen das Machtverhältnis verschieben - weniger Macht den Verlegern, mehr den Autoren. Ich selbst habe früher sehr schlechte Erfahrungen gemacht: Als mein allererstes Buch - es war ein Sachbuch - in Druck ging, gaben mir die Herren Verleger zu verstehen, dass ich ab jetzt damit nichts mehr zu tun habe, dass das Buch ihnen gehört. Sie nahmen sogar meinen Namen vom Cover, weil er ihnen unpassend erschien. Ich bekam einen Wutanfall und verließ türenschlagend das Haus. Und sagte mir: Denen wirst Du es zeigen! Unser "Piratforlaget" hat den Schwedischen Buchmarkt erschüttert. Bei uns haben die Autoren mehr Rechte und außerdem zahlen wir besser als alle anderen Verlage."

    Liza Marklund kann sich's leisten, auch wenn das eine odere Buch aus ihrem Hause kein großer Hit ist - ihre eigenen Annika-Thriller spülen genug Geld in die Verlags-Kasse. Die 38-jährige ist so eine Art Nationalheldin in Schwedin, jeder hier kennt die blonde Schönheit. Nicht nur weil sie in fast jeder Talkshow sitzt, wo sie ihre Bücher anpreist und ihre Meinung zur Lage der Nation verkündet, sondern auch, weil sie das Covergirl für ihre eigenen Bücher ist. Blond, ein Mund, der Eigensinn verrät und leichte Falten der Skepsis auf der Stirn. So sieht die Frontseite jedes Marklundkrimis aus.

    Eventfähige Autorinnen und Autoren werden geschätzt. Was Leser und Kritiker an den Marklund'schen Medien-Krimis aber ebenso mögen ist das realitätsnahe setting. Faktenreiche, detailverliebte Schilderungen mit Hang zum Ornament verhageln dem Leser allerdings manchmal das Vergnügen. Etwa wenn - wie in Studio 6 - eine junge Frau ermordet auf einem Friedhof gefunden wird, und der Leser unbedingt wissen will, wie's weitergeht, aber die Autorin verliert sich in der Beschreibung des schmiedeeisernen Friedhofszaunes. Für reine Fiktion hat die Ex-Journalisten Liza Marklund wenig übrig. Kein Handlungs-Ort ist erfunden, sagt sie. Und ob Mord auf dem Friedhof oder Minister im Porno-club - alles ist so oder so ähnlich passiert:

    "Meine Journalisten-Jahre haben mich geprägt. Wenn ich ein Buch schreibe, gehe ich genauso vor wie früher bei einem Artikel: Ich recherchiere alles bis ins kleinste Detail. Einen Ort, den ich nicht mit eigenen Augen gesehen habe, kann ich nicht beschreiben. Alles ist ganz akkurat. Außerdem scheue ich mich nicht, Leute anzurufen, wenn ich irgendetwas wissen will. Der Unterschied zu früher: Ein Buch zu schreiben, dauert viel länger. Da muss man ziemlich viele Zeilen aneinander reihen, bis es fertig ist. Die Arbeit eines Journalisten ist einfacher."

    Die Leute zum Nachdenken bringen - das ist das erklärte Ziel Liza Marklunds, egal ob sie Artikel oder Bücher schreibt. "Autoren sollen Diskussionen anschieben, den Finger in die Wunden legen", fordert sie und wirft energisch ihre langen Haare in den Na-cken. Sie hasst es, wenn Leute wie der Nobelpreisträger 2000, der Chinese Gao Xingjian, sich hinstellen und sagen: Literatur hat keinerlei Funktion. Liza Marklund glaubt fest daran, mit Schrei-ben die Welt verbessern zu können.

    Wie dem auch sei, Marklunds Medien-Krimis jedenfalls sind nicht nur sozialkritisch-aufklärerisch, sondern - wenn man gelegentlich einige Seiten überblättert - auch ziem-lich spannend. In "Studio 6" geht es um die Sexclub-Affäre eines Ministers sowie um den Mord an einer Stripteasetänze-rin. Und in beides verstrickt ist die junge Reporterin Annika. Eine patente, kämpferische Frau, bei der die Tränen locker sitzen und die meist so viel Betroffenheit an den Tag legt, dass zwischen das Elend der Welt und sie kein Zeitungsblatt mehr passt.

    Wenigstens drei weitere Annika-Krimis will Erfolgs-Autorin Liza Marklund schreiben, die Ideen dafür hat sie schon im Kopf. Und die großen schwedischen Verlage würden sonst was geben, um sie drucken zu dürfen.