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Studium für alle

Seit gut einem Jahr unterstützt das Internetportal arbeiterkind.de Abiturienten und Studienfänger aus nichtakademischen Familien dabei, ein Studium anzufangen und auch durchzustehen. Was als Selbsthilfeinitiative in Gießen begann, ist heute ein bundesweites Netzwerk mit Mentorinnen und Mentoren in 70 Städten. Die Resonanz ist groß, das Problem aber auch: Denn noch immer spiegeln die Studienanfängerzahlen auf dem Campus auch das soziale Gefälle in Deutschland wider.

Von Viola Zech | 22.05.2009
    "Ich bin selber die Erste in meiner Familie, die studiert hat und ich habe an der Uni dann gemerkt, dass meine Freunde, die aus Familien kommen, in denen schon jemand studiert hat, es ein bisschen einfacher hatten oder auch einfach mehr Unterstützung von zu Hause hatten. Verschiedene Beispiele, auch Stipendienbewerbungen, von denen ich nichts erfahren habe, die erste Hausarbeit, die mir zuhause keiner Korrektur gelesen hat, und dann bin ich irgendwann auf die Idee gekommen, dass ich jetzt meine Erfahrungen weitergeben möchte an die, die es noch vor sich haben."

    Aus diesem Grund hat die Doktorandin Katja Urbatsch vor einem Jahr das Internetportal arbeiterkind.de gegründet. Die anfänglich auf Gießen konzentrierte Initiative hat sich innerhalb des letzten Jahres auf ganz Deutschland ausgeweitet. Neben den Informationen auf der Homepage bekommen interessierte Schüler und Studierende Hilfe von einem ständig wachsenden Netzwerk ehrenamtlich arbeitender Mentoren. Dass sich arbeiterkind.de so entwickelt, hat Katja Urbatsch nicht erwartet.

    "Am Anfang war nur geplant, eine Internetseite zu machen. Und aufgrund der großen Medienwelle und der großen Aufmerksamkeit, die wir mit dem Titel arbeiterkind.de erwirkt haben, haben sich so viele Menschen gemeldet, die uns unterstützen wollten, ja seitdem ist das Ganze überdimensional gewachsen, das heißt wir haben tausend Mentoren an 70 Orten in Deutschland. Also ich bin da sehr begeistert, dass das so groß geworden ist."

    Eine der tausend Mentoren, die ihr Wissen gerne an andere weiter geben, ist Vivien Hinz. Die Berlinerin studiert an der Alice-Salomon-Hochschule Sozialarbeit und kommt auch aus einer Familie, in der es keine Akademiker gibt. Sie finanziert ihr Studium mit Hilfe einer Stiftung und kennt sich daher besonders gut mit dem wichtigen Thema Stipendium aus.

    "Wenn du dich halt für ein Stipendium bewirbst, musst du zu bestimmten Auswahlgesprächen. Da habe ich jetzt festgestellt, dass es eine große, große Hemmschwelle gibt, die ich halt selber auch durchhatte damals, und dass man eben gerade dafür auch starkmachen kann. Dass man sagen kann, du, ein Professor ist auch nur ein Mensch, und ein Vertreter von der und der Stiftung ist auch nur ein Mensch, und die Profile von den Stiftungen sind oft eben genau passend für junge Menschen wie uns. Und dass man dann wirklich sagen kann: Versteck dich nicht mit dem Nichtakademiker-Hintergrund, mit deinem Nichtwissen, sondern stehe vielleicht auch dazu, weil nur dann sozusagen kannst du dein Ziel erreichen."

    Das Ziel von Sabrina Bowitz ist klar. Die Abiturientin aus der Nähe von Köln wird sich zum kommenden Wintersemester um einen Studienplatz für Spanisch und Pädagogik bewerben. Ermutigt dazu haben sie die Mentoren von arbeiterkind.de, die ihr auch weiterhin mit guten Ratschlägen zur Seite stehen:

    "Das ist wirklich gut, weil alle möglichen Leute reagieren, egal was ich schreibe - es kommt dann meistens sofort eine E-Mail zurück. Da entwickeln sich auch ziemlich viele Kontakte draus, weil ich mich mit einigen auch schon persönlich getroffen habe, und sie haben mir dann von ihrem Studium erzählt und das hat mir sehr geholfen. Ich war mir sehr unsicher mit dem Studium, und ich glaube, ich hätte es dann nicht wirklich gemacht, weil mir da auch die ganze Unterstützung gefehlt hat und ich auch niemanden wirklich fragen konnte. Ich habe das wirklich gebraucht, dass mich da Leute so unterstützt haben, dass sie sich melden und dass ich mich melden kann. Das tut dann schon ziemlich gut."

    Und weil gerade der persönliche Kontakt zu Mentoren und Gleichgesinnten so viel hilft und Mut macht, gibt es neben dem Internetportal und dem Mentorenprogramm auch regelmäßig stattfindende Stammtische in vielen Städten deutschlandweit, berichtet Gründerin Katja Urbatsch:

    "Bei den Stammtischen treffen sich alle - Mentoren, Studenten, Schüler - und alle können sich da austauschen und Fragen stellen und von da aus kann man dann auch noch mal weiter gehen, dass es dann zum Beispiel persönliche Beratungen gibt. Vielleicht auch mit jemandem, der auch genau das Fach studiert hat, das von Interesse ist."

    Zum Thema:

    Die aktuellen Termine zu den Stammtischen und Informationen zum Thema findet man unter arbeiterkind.de.

    Im Mai 2008 berichtete Campus & Karriere über die Gründung von arbeiterkind.de unter dem Titel:

    Kein Privileg der "Bessergestellten"
    Internetportal will Schülern aus nichtakademischen Familien ein Studium schmackhaft machen