Archiv


Studium nur noch mit prallem Geldbeutel

Von den Kindern aus wohlhabenden und bildungsnahen Familien besuchen 81 Prozent eine Hochschule. Von denen aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien sind es nur elf. Das Deutsche Studentenwerk schlägt angesichts dieser Zahlen, aber auch angesichts der Einführung von Studiengebühren Alarm: Die Chancengleichheit an den deutschen Hochschulen sei in Gefahr, es drohe eine Sozialauswahl von Studierenden.

Von Markus Rimmele | 06.12.2006
    Früh am Morgen, die Humboldt-Universität Unter den Linden öffnet ihre Türen. Die ersten Studierenden schleichen ins Gebäude. Auf den ersten Blick eine bunt gemischte Gruppe: Männer, Frauen, jüngere, ältere, sportliche, elegante. Doch das Bild täuscht. Glaubt man der Statistik, ist die Mischung zumindest in einem Punkt nicht mehr gegeben - im sozialen. Die unteren Gesellschaftsschichten sind sehr schwach vertreten. Sina studiert im ersten Semester historische Linguistik.

    " Ich komme selber auch aus einer Familie: Mein Vater ist gestorben vor ein paar Jahren, meine Mutter muss zusehen, dass sie uns vier Kinder "durchbringt". Bis jetzt ist mein Bafög-Antrag noch nicht durch. Ich muss jetzt auch erst mal zusehen, wie ich über die Runden komme. Die Kaution der Wohnung, dann Sachen, die man bezahlen muss. Es ist schwer machbar. "

    Dabei hat Sina noch Glück. Berlin erhebt im Gegensatz zu anderen Bundesländern bislang keine Studiengebühren. Doch mit oder ohne Gebühren: Ein Studium ist immer teuer, für Menschen mit wenig Geld offensichtlich zu teuer. Von den Kindern aus wohlhabenden und bildungsnahen Familien besuchen 81 Prozent eine Hochschule. Von denen aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien sind es jedoch nur elf. Und das obwohl in dieser Gruppe 36 Prozent die Hochschulreife erwerben, also theoretisch studieren könnten. Das Deutsche Studentenwerk macht sich wegen dieser Zahlen große Sorgen um die Chancengleichheit an den deutschen Hochschulen. DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde.

    " Die Hochschulen werden sich ja erheblich verändern. Von Elite, Exzellenz bis zu breiten Lehrhochschulen. Studiengebühren werden eingeführt, und damit ist aus unserer Sicht möglicherweise tatsächlich die Chancengleichheit gefährdet. Die zurückgehenden Studierendenzahlen in den Ländern, in denen Studiengebühren eingeführt sind, können auch ein Indikator sein, das die Verteuerung des Studiums eben doch wieder das Studium vom Geldbeutel abhängig macht. "

    Doch nicht nur finanziell sind untere soziale Schichten beim Hochschulzugang benachteiligt. Der Wettbewerb um Studienplätze nimmt zu. Er führt etwa zu flächendeckenden NCs. Dann erfordert er Mobilität, auch eine gute Präsentation in Auswahlgesprächen etc. In all diesen Dingen sind Kinder bildungsnaher und wohlhabender Eltern im Vorteil. Besonders schlecht stehen die Chancen von Kindern aus Migrantenfamilien, die in diesem Wettbewerb immer weniger mithalten können. Verschärft werden könnte diese Situation noch durch den erwarteten Studentenansturm der kommenden Jahre, verursacht durch die Verkürzung der Schulzeit. Joachim Baeckmann vom Studierendenservice der Humboldt-Universität.

    " Wenn wir nicht entsprechend, wie der Bewerberzustrom zunimmt, auch die Kapazitäten erhöhen, wird die Situation an den Hochschulen schlimmer werden. Die Auswahl wird härter werden, es werden die Kriterien schärfer werden im Ergebnis und die Situation an Hochschulen wird ehr schlimmer werden. Das hat dann mit Sicherheit auch Auswirkungen. "

    Auch soziale, so fürchtet das Deutsche Studentenwerk. Die DSW-Vertreter fordern eine deutliche Erhöhung der Studienplatzzahlen. Die Vereinbarungen des Hochschulpaktes seien nicht ausreichend, sagt Meyer auf der Heyde:

    " Die Zahl von knapp 100.000 oder 95.000 Plätzen, die im Raum sind, reicht nicht aus, die Zahl der Studienberechtigten, die zusätzlich auf den Markt dringen, aufzufangen. Insofern wird da schon eine Selektion stattfinden. Der zweite Aspekt, der aus unserer Sicht viel wichtiger ist: Es gibt kein flankierendes Programm das die soziale Infrastruktur fördert. Das halten wir für mehr als notwendig. Wir brauchen dann auch mehr Wohnheimplätze, wir brauchen Investition in die Beratung, Betreuung von Studierenden, und wenn das alles fehlt, dann wird auch mit Sicherheit eine Sozialauswahl von Studierenden stattfinden."

    Das Studentenwerk beziffert seinen Investitionsbedarf auf 700 Millionen Euro, vor allem für Wohnheime und Mensen. Bund und Länder sollen das Geld aufbringen, so die Forderung. Doch auch wenn Wohnen und Essen günstig sind: Wenn die Eltern nicht zuschießen, wird es einfach eng, sagt Stefan, Jurastudent im ersten Semester.

    Wenn die Eltern nichts verdienen, dann muss man drei Nebenjobs haben, um das finanzieren zu können. Dann kommt noch die Miete dazu, das Essen, Lebenshaltungskosten, ist schon nicht so einfach.