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Studiumshärte statt Komfort

An deutschen Hochschulen wird es eng. Immer mehr junge Leute wollen studieren. Die Vorlesungen sind überlaufen, die Räume zu klein. Doch kaum jemand beschwert sich. Bei den AStAs melden sich nicht mehr verzweifelte Erstsemester als sonst.

Von Kora Blanken |
    Fanny sitzt mit ihrer Kommilitonin Valeria in der vorletzten Reihe des kahlen Hörsaals im Untergeschoss der Uni Osnabrück. "Entwicklungspsychologie für zukünftige Lehrer" heißt die Veranstaltung. Nur noch wenige der hellbraunen Holzstühle sind unbesetzt. Es ist ziemlich voll - rund 200 Studenten verfolgen hier unten die Vorlesung. Die Dozentin allerdings steht einen Raum darüber. Dort sitzen noch einmal gut 500 Studenten dicht gedrängt zwischen Jacken, Mänteln und Taschen in langen Stuhlreihen. Sie erleben die Professorin noch in 3D. Wer unten sitzt, sieht sie nur per Videoübertragung. Wie auch Fanny:
    "Bei dieser Übertragung ist halt auch immer das Problem, dass die Konzentration aufrecht zu halten superschwer ist, dadurch, dass der Lautstärkepegel recht hoch ist und sie auch einfach aufhört zu sprechen, wenn es ihr selbst zu laut wird, also oben im Raum schon. Und dann sitzt man unten und man kann es nicht beeinflussen noch sonst irgendwas machen. Dadurch werden die Vorlesungen länger und sie ist genervt und insofern macht das schon einen Unterschied aus."

    Während der anderthalbstündigen Vorlesung geht immer wieder die Tür auf. Manche Studenten gehen früher, andere kommen später. Viele sind gar nicht bei der Sache, surfen mit ihren Laptops ziellos im Internet, posten etwas bei Facebook. Viele unterhalten sich. Eine permanente Unruhe. Zuhören und lernen ohne Professor – das scheint hier fast unmöglich, oder?

    "Och, ich find's eigentlich gar nicht so schlimm. Also, ich seh ja alles, was sie macht.
    - Es is okay. Es wurde ja vorher schon angekündigt, dass ziemlich viele Studenten kommen werden, in diesem Jahr. Und wenigstens hat jeder die Möglichkeit auch zuzuhören.
    - Ich find das eigentlich nicht schlecht. Man versteht alles noch wohl gut und dann ist es oben nicht so voll. Ich find's ganz angenehm.
    - Es bringt auf jeden Fall Vorteile. Gerade am Anfang waren die Räume sehr überfüllt. Das war schon gut, dass man das wenigstens so noch verfolgen konnte.
    - Ja, wenn's nicht anders geht, was soll man machen. Wenigstens ist die Möglichkeit da, dass man was hören kann."

    Kaum jemand wirkt richtig zufrieden mit der Situation, aber so wirklich zu stören scheint es auch niemanden. Obwohl die Studenten in Niedersachen immerhin noch 500 Euro Studiengebühren pro Semester zahlen. Woher diese Bescheidenheit? Sie und ihre Kommilitonen seien froh, überhaupt dabei zu sein, sagt Fanny:

    "Dieses Jahr war ja dieser Ansturm auf Studienplätze so hoch, dass man froh war, am Ende einen Studienplatz zu bekommen, selbst mit keinem schlechten NC. Also in Bio hab ich 2,1 und bin nicht genommen wurden und musste ausweichen auf Chemie. Und dann ist man irgendwann froh, wenn man einen Platz hat."

    Aber nicht nur einen Studienplatz braucht der Student, sondern auch eine Wohnung. Und die war in diesem Jahr schwer zu finden. So haben viele Erstsemester auch bei der Suche nach einem Dach über dem Kopf Bescheidenheit gelernt. Wer eine WG brauchte, musste dieses Jahr Castings durchlaufen, Bögen ausfüllen, in denen nach Hobbys und Studieninteressen gefragt wurde. Auch Fannys Kommilitonin Valeria hat die Wohnungsknappheit zu spüren bekommen:

    "Ich wusste gar nicht, was auf mich zukommt und hab mir halt immer ne Wohnung ausgemalt, wie ich mir das wünsche, ne coole WG. Aber dann hab ich gesucht und kam gar nicht mehr klar, weil ich gar nichts gefunden habe und dann hab ich angefangen zu verzichten. Dass ich dann ein großes Zimmer habe oder dass wir noch nen Gemeinschaftsraum haben. Und ich hab mir auch Wohnungen angeguckt, die mir gar nicht gefallen haben, aber ich würde dann auch da zugreifen."

    Das musste Valeria dann aber doch nicht. Sie hatte Glück, fand noch eine kleine Wohnung. Viele Kommilitonen seien aber erst Wochen nach dem Semesterbeginn untergekommen. Doch der große Ansturm ist nicht der einzige Grund für die Bescheidenheit der Studenten, sagt Christian Bethold vom Centrum für Hochschulentwicklung. Schon seit Jahren beobachtet er, dass viele Studenten ihr Studium heute ganz anders wahrnehmen als noch vor ein paar Jahrzehnten:

    "Das beobachten wir bei Befragungen, die wir durchführen, dass es einen Studierendentypus sozusagen gibt, den wir den Pragmatiker nennen. Das sind eben Studierende die eine sehr – sagen wir mal – zielorientierte Vorstellung davon haben, wozu dieses Studium gut ist. Die jetzt nicht noch eine Theorie und noch eine Theorie mit großer Begeisterung zur Kenntnis nehmen wollen, sondern studieren wollen, ihren Abschluss machen wollen und Geld verdienen wollen. Und das dann auch möglicherweise integrieren wollen in ihren Lebensentwurf mit Familie und was sonst noch alles dazugehören mag."