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Stühle verhökern

Die Lehre leidet, weil es am Geld fehlt: für Lehrstühle, für Tutorien, für gutes Personal. An der Berliner Humboldt-Uni haben Studierende beschlossen, dass sie dagegen etwas machen wollen und brachten die Aktion "Platzstiften" ins Rollen.

Von Daniela Siebert | 06.04.2010
    Hörsaal 201 ist derzeit eine einzige Baustelle. Der größte Saal der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ist komplett entkernt, bis unter die Decke steht ein Gerüst. So eine Grundsanierung ist auch eine Chance dachte sich Christian Berger, BWL-Student kurz vor dem Abschluss und Erfinder des Projektes Platzstiften:

    "Ja, die Idee ist ja nix Neues. Das haben verschiedene Universitäten schon gemacht, das Neue an Platzstiften ist eher die studentische Seite, dass Studenten das machen, dass Studenten am Ende die Hand auf dem Geld haben und dass die Mittel komplett in die Lehre gehen."

    Seine wichtigste Mitstreiterin ist Eva Heberer. Sie hat ihren Abschluss schon in der Tasche. Jetzt unterrichtet sie Finanzwissenschaft und promoviert über Mindestlöhne und Arbeitsmigration. Sponsoring an der Uni sieht sie rein pragmatisch:

    "Ich denke, dass Sponsoring die Zukunft ist und wenn man sich vor der Zukunft verschließt kommt man irgendwie nicht weit."

    Im konkreten Fall ist es allerdings ein bisschen so wie mit dem Bärenfell, das verkauft wird, bevor das Tier wirklich tot ist. Denn der Hörsaal wird frühestens zum Wintersemester wieder in Betrieb genommen. Bis jetzt steht noch nicht einmal fest, wie die künftigen Hörsaalstühle überhaupt aussehen werden, geschweige denn an welcher Stelle die Stifterplakette jeweils montiert wird. Sicher ist bislang nur, dass es insgesamt 326 Stühle sein werden und die Stifterplaketten zwischen 250 und 4000 Euro kosten. Unterschieden wird dabei je nach Standort und ob die Stiftung von einer Privatperson oder einem Unternehmen kommt.

    "Das Geld soll in die Lehre gehen. Realistische Projekte sind Projekttutorien oder die Verkleinerung von Übungsgruppen, dass wir einfach diese 100, 200 Leute großen Übungsgruppen verkleinern und dafür dann das Personal bezahlen, ein Traum wär natürlich ein Lehrstuhl, aber davon sind wir wahrscheinlich weit weg finanziell."

    Ein Lehrstuhl würde Pi mal Daumen eine Million Euro kosten. Tutoren – meist sind das studentische Arbeitskräfte – kosten dagegen nur elf Euro pro Stunde. Aber die ganz große Personalschwemme wird das Projekt wohl nicht bringen.

    Denn: So ganz gezündet hat die Idee noch nicht. Nach einem halben Jahr Laufzeit finden sich auf der im Internet publizierten Liste gerade mal knapp über 30 Stifter. Darunter vor allem Alumni, aber auch eine große Unternehmensberatung und eine französische Bank. Auch Daniel Rahaus gehört zu den Stiftern. Der Projektmanager hat vor sechs Jahren seinen Master of Economics an der Humboldt-Uni gemacht. Bei seiner Platzstiftung schwingt jetzt auch eine gehörige Portion Nostalgie mit:

    "Ich hab mir den Platz ausgesucht, auf dem ich immer gesessen habe oder auf einem der Plätze, also: Reihe Sieben, Platz 1."
    Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Mikro-Ökonomie, Makro-Ökonomie - so etwas hat er im Studium auf "seinem" Platz gelernt. Aber das ist heute nicht sein einziges Motiv fürs Stiften:

    "Wenn Gutes getan wurde und das kann ich so sagen über meine Studienzeit, dann ist es vielleicht auch irgendwann mal an der Zeit, wo man das in irgendeiner Form wertschätzen und in irgendeiner Form etwas zurückgeben sollte, auf der anderen Seite ist es aber auch so eine Wertschätzung für die Leute, die das Projekt jetzt weitertreiben."

    1000 Euro hat Daniel Rahaus gestiftet. 25.000 Euro sind übers Platzstiften insgesamt schon zusammengekommen.

    An der Uni scheint es niemandem peinlich zu sein, dass sich jetzt schon die Studierenden selbst darum kümmern, dass Geld in die Kasse kommt. Auf der Platzstiften-Homepage grüßt der Vize-Präsident der Uni und lobt: Platzstiften sei eine originelle und identitätsstiftende Aktion. Die Studiendekanin der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Sibylle Schmerbach unterstützt das Projekt wo immer sie kann.

    "Weil ich darin eine ganz besondere Form des studentischen Engagements sehe, von sich heraus ohne sofort erkennbaren Nutzen für die Studenten selbst, sondern einfach: Sie engagieren sich fürs Große und Ganze und das ist eine Eigenschaft, die ich sehr gerne befördern will."

    Auch Eva Heberer und Christian Berger haben kein Problem damit, dass ihr Projekt der Uni die Arbeit abnimmt, Geld ranzuschaffen für ihre ureigensten Aufgaben.

    "Ich denke, die Uni wird nie genug Geld zur Verfügung stellen können, um wirklich alle benötigten Teile der Lehre abzudecken."

    "Berlin hat relativ wenig Geld. Und anstatt mit dem Finger auf die Leute zu zeigen und zu sagen: Wir brauchen mehr Geld!, versuchen wir eben das Geld einzuwerben und aktiv was zu machen."