Vorab eine dringende Bitte an Verleger und Autoren: Wenn sie das nächste Mal einen knackigen Titel oder auch nur Untertitel für ein Türkei-Buch suchen, versuchen sie ohne die Präposition zwischen auszukommen. Zwischen Ost und West, zwischen Orient und Okzident, zwischen Asien und Europa oder auch zwischen "Tradition und Moderne", wie es im Untertitel des Buches "Istanbul Blues" von Annette Großbongardt heißt. Nicht nur, dass diese Bilder mittlerweile zum Klischee verkommen sind. Sie legen nahe, dass die Zweiteilung oder Zerrissenheit - noch so ein Schlagwort! - etwas Negatives sei, denn wer will schon zwischen etwas leben?
Wenn man jedoch die vermeintlichen Gegensätze addierte, will sagen: das "zwischen" wegließe, gewänne die Lage der Türkei gleich an Attraktivität: Also Ost und West, Orient und Okzident, Asien und Europa, Tradition und Moderne. So sieht es eigentlich auch Großbongardt, die zwei Jahre in Istanbul als Spiegel-Korrespondentin verbrachte. Die Autorin umreißt anschaulich anhand zahlreicher Protagonisten die Gleichzeitigkeit von westlichem Lifestyle und anatolischer Armut, buntem Istanbuler Metropolenbusiness und beschaulichem Nachbarschaftsleben in ihrem Wohnviertel am Bosporus.
Sie wundert sich über die knöcherne Intoleranz der staatlichen kemalistischen Eliten, die allein wegen des Kopftuches von Präsidentengattin Hayrünisa Gül die Republik in Gefahr sehen.
Den Konflikt zwischen den Frommen und den säkularen Kräften des Landes nennt Jürgen Gottschlich einen "Dauerbrenner" der türkischen Politik. In seinem Türkei-Buch "Jenseits der Klischees" zählt der Istanbul-Korrespondent der Berliner "taz" noch andere Dauerbrenner auf: Kurden, Türkei und EU, das Militär und die Lage der Christen. Ein Land hat den Blues und dazu noch viele politische Dauerbrenner.
Beide, Großbongardt und Gottschlich können den Lesern keine großen Hoffnungen machen, dass die Türkei bald aus ihrer innenpolitischen Agonie herausfindet. Der Reformelan von 2004, als die EU-Beitrittsverhandlungen begannen, ist verpufft. Geblieben ist der erstaunliche wirtschaftliche Aufschwung des Landes in den letzten Jahren - sieben Prozent Wachstum jährlich, davon konnte man in der EU nur träumen. Doch was wird, wenn auch die wirtschaftliche Stabilität am Bosporus im Strudel der weltweiten Finanzkrise untergeht? Jürgen Gottschlich hat den EU-Beitritt seines Gastlandes schon mehr oder weniger abgeschrieben. Dabei hätte die europäische Perspektive ein Gegengift zum Streit zwischen Kopftuch und Uniform sein können:
Gottschlich: "Eine stabile Beitrittsperspektive würde zum Beispiel die Ängste vor dem Islamismus auf der einen Seite oder die Ängste vor dem Militär auf der anderen Seite entschärfen. Wenn die EU-Perspektive sozusagen ein Anker wäre, an den beide glauben, beide Seiten, dann könnten beide Seiten viel relaxter jeweils damit umgehen. Je weniger sie daran glauben, umso mehr kommen die alten Sachen wieder hoch und umso heftiger sind die innenpolitischen Auseinandersetzungen."
Beiden Büchern merkt man an, dass sich die Autoren in ihrem Gastland alles in allem wohl gefühlt haben. Wo wird Annette Großbongardt noch einmal erleben, dass ihre kleine Tochter vom Kellner herumgetragen wird, während sie in Ruhe ihr Abendessen genießen kann? Ihre Sympathie gilt den Reformern im Land, die an einer neuen Formel für das Zusammenleben der verschiedenen Lebensstile arbeiten. Doch wie stark sind diese Gruppen? Am Beispiel des Kopftuchstreites wird das Grundübel der politischen Kultur der Türkei sichtbar. Das mangelnde Vertrauen in die Demokratie.
Auch die beiden deutschen Journalisten schreiben an vielen Stellen, von grassierenden Ängsten. Vor einem zweiten Iran, vor den christlichen Missionaren, vor den Kurden, vor dem Terror, vor den Europäern, vor Amerika, vor dem Militär, vor bestimmten Medien, vor dem Sittenverfall, vor der Kriminalität und so weiter. Wer aber Angst hat, kann kein Selbstbewusstsein entwickeln, er wird weiter auf einfache Antworten einer fast 90 Jahre alten Staatsideologie vertrauen wollen. So bleibt der Weg zu einer freiheitlichen Gesellschaft in der Türkei noch weit. Das glimpfliche Ende des Verbotsverfahrens gegen die regierende AK-Partei fehlt in Großbongardts Buch. Das Urteil des Verfassungsgerichts hat eine akute Staatskrise vorerst abgewendet. Doch der Machtkampf zwischen den beiden großen gesellschaftlichen Lagern des Landes wird weitergehen. Nur vordergründig ist der Konflikt zwischen Laizisten und Religiösen, also zwischen denjenigen, die eine strikte Trennung von Staat und Religion wollen und jenen, die mehr Frömmigkeit im türkischen Alltag sehen wollen.
Die wirklichen Gegensätze lauten: Zentrum gegen Provinz, und Staat gegen Volk. Gottschlichs Buch "Ein Land jenseits der Klischees" ist über die politische Analyse hinaus eine verlockende Einführung für Deutsche, die an den Bosporus ziehen wollen. Und davon gibt es immer mehr: Geschätzt 30.000 Teutonen leben allein in Istanbul. Und, so liest man erstaunt, sie haben ihre eigene kleine Parallelgesellschaft aufgebaut, mit Schulen, Kneipen, Buchläden, Kirchen, Bäckern und Vereinen. Es gibt Familien von so genannten "Bosporusgermanen", in die auch nach drei Generationen kein einziger Türke einheiraten konnte. Und es gibt promovierte Akademiker, deren Türkischkenntnisse auch nach 20 Jahren nicht zum Einkaufen reichen.
Wolfgang Schäuble sollte seine Landsleute auf seiner nächsten Türkei-Reise zu größeren Integrationsanstrengungen ermahnen. Gerne hätte man in den Büchern mehr von den Verwicklungen gelesen, die ein Deutscher in der Türkei erleben kann. In türkischen Amtsstuben etwa prallen jedes Mal Welten auf einander, wenn der Deutsche denkt, er könne das bekommen, was ihm auf dem Papier zusteht - und das auch noch subito. Aber auch im Zwischenmenschlichen lauern die Missverständnisse, wie Jürgen Gottschlich erfahren hat:
"Also im Alltag, im Umgang mit türkischen Familien erlebst du halt auch viele Sachen, die du als Deutscher nicht gewohnt bist. Also zum Beispiel im Umgang mit Kindern fällt es ja gleich immer auf. So eine bestimmte Ordnung, die Kids gehen um acht ins Bett und um zwölf oder um eins wird gegessen oder so, das ist hier halt nicht so und findet jeder auch ganz normal, dass es nicht so ist und man wundert sich dann hier eher so über die teutonische Strenge."
Beide Bücher sind anschaulich geschriebene, kompakte Türkei-Darstellungen - verschwiegen wird nichts, auch Ehrenmord und Armeniermassaker haben ihren Platz. Dennoch bleiben dem Leser am Ende Fragen. Aber das wird auch nach dem fünften Türkei-Buch nicht anders sein. So ist die Türkei nun einmal.
"Istanbul Blues" hat Annette Großbongardt ihr Buch über "Die Türkei zwischen Tradition und Moderne" genannt. Die 224 Seiten sind im Rowohlt-Berlin-Verlag erschienen und kosten Euro 17,90.
"Türkei - Ein Land jenseits der Klischees" - so der Buchtitel von Jürgen Gottschlich im C.H. Links Verlag, 216 Seiten zum Preis von Euro 16,90.
Wenn man jedoch die vermeintlichen Gegensätze addierte, will sagen: das "zwischen" wegließe, gewänne die Lage der Türkei gleich an Attraktivität: Also Ost und West, Orient und Okzident, Asien und Europa, Tradition und Moderne. So sieht es eigentlich auch Großbongardt, die zwei Jahre in Istanbul als Spiegel-Korrespondentin verbrachte. Die Autorin umreißt anschaulich anhand zahlreicher Protagonisten die Gleichzeitigkeit von westlichem Lifestyle und anatolischer Armut, buntem Istanbuler Metropolenbusiness und beschaulichem Nachbarschaftsleben in ihrem Wohnviertel am Bosporus.
Sie wundert sich über die knöcherne Intoleranz der staatlichen kemalistischen Eliten, die allein wegen des Kopftuches von Präsidentengattin Hayrünisa Gül die Republik in Gefahr sehen.
Den Konflikt zwischen den Frommen und den säkularen Kräften des Landes nennt Jürgen Gottschlich einen "Dauerbrenner" der türkischen Politik. In seinem Türkei-Buch "Jenseits der Klischees" zählt der Istanbul-Korrespondent der Berliner "taz" noch andere Dauerbrenner auf: Kurden, Türkei und EU, das Militär und die Lage der Christen. Ein Land hat den Blues und dazu noch viele politische Dauerbrenner.
Beide, Großbongardt und Gottschlich können den Lesern keine großen Hoffnungen machen, dass die Türkei bald aus ihrer innenpolitischen Agonie herausfindet. Der Reformelan von 2004, als die EU-Beitrittsverhandlungen begannen, ist verpufft. Geblieben ist der erstaunliche wirtschaftliche Aufschwung des Landes in den letzten Jahren - sieben Prozent Wachstum jährlich, davon konnte man in der EU nur träumen. Doch was wird, wenn auch die wirtschaftliche Stabilität am Bosporus im Strudel der weltweiten Finanzkrise untergeht? Jürgen Gottschlich hat den EU-Beitritt seines Gastlandes schon mehr oder weniger abgeschrieben. Dabei hätte die europäische Perspektive ein Gegengift zum Streit zwischen Kopftuch und Uniform sein können:
Gottschlich: "Eine stabile Beitrittsperspektive würde zum Beispiel die Ängste vor dem Islamismus auf der einen Seite oder die Ängste vor dem Militär auf der anderen Seite entschärfen. Wenn die EU-Perspektive sozusagen ein Anker wäre, an den beide glauben, beide Seiten, dann könnten beide Seiten viel relaxter jeweils damit umgehen. Je weniger sie daran glauben, umso mehr kommen die alten Sachen wieder hoch und umso heftiger sind die innenpolitischen Auseinandersetzungen."
Beiden Büchern merkt man an, dass sich die Autoren in ihrem Gastland alles in allem wohl gefühlt haben. Wo wird Annette Großbongardt noch einmal erleben, dass ihre kleine Tochter vom Kellner herumgetragen wird, während sie in Ruhe ihr Abendessen genießen kann? Ihre Sympathie gilt den Reformern im Land, die an einer neuen Formel für das Zusammenleben der verschiedenen Lebensstile arbeiten. Doch wie stark sind diese Gruppen? Am Beispiel des Kopftuchstreites wird das Grundübel der politischen Kultur der Türkei sichtbar. Das mangelnde Vertrauen in die Demokratie.
Auch die beiden deutschen Journalisten schreiben an vielen Stellen, von grassierenden Ängsten. Vor einem zweiten Iran, vor den christlichen Missionaren, vor den Kurden, vor dem Terror, vor den Europäern, vor Amerika, vor dem Militär, vor bestimmten Medien, vor dem Sittenverfall, vor der Kriminalität und so weiter. Wer aber Angst hat, kann kein Selbstbewusstsein entwickeln, er wird weiter auf einfache Antworten einer fast 90 Jahre alten Staatsideologie vertrauen wollen. So bleibt der Weg zu einer freiheitlichen Gesellschaft in der Türkei noch weit. Das glimpfliche Ende des Verbotsverfahrens gegen die regierende AK-Partei fehlt in Großbongardts Buch. Das Urteil des Verfassungsgerichts hat eine akute Staatskrise vorerst abgewendet. Doch der Machtkampf zwischen den beiden großen gesellschaftlichen Lagern des Landes wird weitergehen. Nur vordergründig ist der Konflikt zwischen Laizisten und Religiösen, also zwischen denjenigen, die eine strikte Trennung von Staat und Religion wollen und jenen, die mehr Frömmigkeit im türkischen Alltag sehen wollen.
Die wirklichen Gegensätze lauten: Zentrum gegen Provinz, und Staat gegen Volk. Gottschlichs Buch "Ein Land jenseits der Klischees" ist über die politische Analyse hinaus eine verlockende Einführung für Deutsche, die an den Bosporus ziehen wollen. Und davon gibt es immer mehr: Geschätzt 30.000 Teutonen leben allein in Istanbul. Und, so liest man erstaunt, sie haben ihre eigene kleine Parallelgesellschaft aufgebaut, mit Schulen, Kneipen, Buchläden, Kirchen, Bäckern und Vereinen. Es gibt Familien von so genannten "Bosporusgermanen", in die auch nach drei Generationen kein einziger Türke einheiraten konnte. Und es gibt promovierte Akademiker, deren Türkischkenntnisse auch nach 20 Jahren nicht zum Einkaufen reichen.
Wolfgang Schäuble sollte seine Landsleute auf seiner nächsten Türkei-Reise zu größeren Integrationsanstrengungen ermahnen. Gerne hätte man in den Büchern mehr von den Verwicklungen gelesen, die ein Deutscher in der Türkei erleben kann. In türkischen Amtsstuben etwa prallen jedes Mal Welten auf einander, wenn der Deutsche denkt, er könne das bekommen, was ihm auf dem Papier zusteht - und das auch noch subito. Aber auch im Zwischenmenschlichen lauern die Missverständnisse, wie Jürgen Gottschlich erfahren hat:
"Also im Alltag, im Umgang mit türkischen Familien erlebst du halt auch viele Sachen, die du als Deutscher nicht gewohnt bist. Also zum Beispiel im Umgang mit Kindern fällt es ja gleich immer auf. So eine bestimmte Ordnung, die Kids gehen um acht ins Bett und um zwölf oder um eins wird gegessen oder so, das ist hier halt nicht so und findet jeder auch ganz normal, dass es nicht so ist und man wundert sich dann hier eher so über die teutonische Strenge."
Beide Bücher sind anschaulich geschriebene, kompakte Türkei-Darstellungen - verschwiegen wird nichts, auch Ehrenmord und Armeniermassaker haben ihren Platz. Dennoch bleiben dem Leser am Ende Fragen. Aber das wird auch nach dem fünften Türkei-Buch nicht anders sein. So ist die Türkei nun einmal.
"Istanbul Blues" hat Annette Großbongardt ihr Buch über "Die Türkei zwischen Tradition und Moderne" genannt. Die 224 Seiten sind im Rowohlt-Berlin-Verlag erschienen und kosten Euro 17,90.
"Türkei - Ein Land jenseits der Klischees" - so der Buchtitel von Jürgen Gottschlich im C.H. Links Verlag, 216 Seiten zum Preis von Euro 16,90.