Ausgelöst hat die Welle der Empörung ein Tonbandmitschnitt. Darauf findet sich eine Rede, die der sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány schon im Mai gehalten hat - vor seinen eigenen Parteigenossen, nicht öffentlich. Verkürzt dargestellt enthält die Rede das Eingeständnis politischer Lügen. Es ging aber hauptsächlich darum, die eigenen Genossen von einem radikalen Sparpaket zu überzeugen: Im Wahlkampf hatten Regierung und Opposition sich mit Wahlversprechungen überboten - obwohl allen, die es wissen wollten, klar sein musste, dass das hoch verschuldete Ungarn sich das alles gar nicht mehr leisten kann. Das Tonband wurde sämtlichen Fernseh- und Radiostationen zugespielt, ganz Ungarn lauschte also den deftig formulierten Ermahnungen des Regierungschefs an die eigenen Leute.
" Wir haben fast keine Wahl. Wir haben keine, weil wir es verschissen haben. Nicht nur ein bisschen, sondern sehr. In Europa hat noch kein Land so etwas Dämliches gemacht wie wir. Das lässt sich erklären. Wir haben offensichtlich die letzten eineinhalb, zwei Jahre nur gelogen. Da war ganz klar, dass das nicht wahr ist, was wir sagen."
Es kann kaum ein Zufall sein, dass das Tonband genau zwei Wochen vor den Kommunalwahlen öffentlich gemacht wurde. Doch der Streit zerriss ja, bevor er öffentlich wurde, zunächst einmal die sozialistische Regierungspartei selbst: da sind die alten Kader, die noch aus kommunistischen Zeiten stammen, grauhaarig und nicht unbedingt populär. Sie haben den ebenfalls in Funktionärskreisen sozialisierten aber deutlich jüngeren und smarteren Gyurcsany als Kandidaten aufgestellt. Dass Gyurcsány aber die eigenen sozialistischen Provinzbürgermeister mit einer Verwaltungsreform behelligte, die sie Macht und Personal kostete, dass Gyurcsany dann auch noch nach der Wahl ein Sparpaket durchboxte, dass die Menschen verärgern musste, das konnten und wollten viele Sozialisten nicht verstehen. Sie wollten ihren Wählern diese Unannehmlichkeiten nicht zumuten, von Studiengebühren bis zu Zuzahlungen bei Arzneimitteln. Deshalb redete Gyurcsány den eigenen Genossen ja in der mittlerweile legendären Rede so drastisch ins Gewissen. Es heißt darin:
" Ihr irrt Euch, wenn Ihr glaubt, dass ihr noch eine Wahl habt. Ihr habt keine, und ich habe auch keine. Wir haben heute höchstens noch die Wahl, ob wir Einfluss nehmen, auf das, was passiert, oder ob uns die Probleme irgendwann überrollen."
Tatsächlich ist Ungarn der schlimmste Defizitsünder der europäischen Union. Die Sozialisten haben in der letzten Wahlperiode mal eben so die Gehälter der Lehrer und Ärzte um die Hälfte erhöht. Dafür war aber kein Geld da. Nun ist die Euro-Einführung in Weite Ferne gerückt, vor 2011 wird Ungarn die Gemeinschaftswährung kaum bekommen. Gerade erst musste die Budapester Regierung ein Konvergenzbericht nach Brüssel schicken. Mit anderen Worten: Die Finanzpolitik in Budapest wird inzwischen von Brüssel aus überwacht. Der Regierungschef hat also tatsächlich keine Wahl. Davon muss er trotzdem die eigenen Leute erst einmal überzeugen. Gyurcsány steht zu seiner Rede. Tatsächlich hat er den umstrittenen Redetext prompt auch auf seiner eigenen Homepage veröffentlicht und kein Wort zurückgenommen. Angesichts der Proteste hatte die eigene Partei keine Wahl: sie stellte sich hinter den Regierungschef. Dabei war über dessen Wunsch, auch noch Parteichef zu werden, zuletzt heftig gestritten worden. Auch der kleinere liberale Koalitionspartner stützt den Regierungschef. Gyurcsány lehnt alle Rücktrittsforderungen ab. Warum sollte der Ministerpräsident eines 10-Millionen-Landes auch wegen zehntausend Demonstranten und ein paar Hooligans gleich das Handtuch werfen, fragt der Politologe Krisztian Ungvary:
" Warum soll er das nicht überstehen? Er hat eine Mehrheit im Parlament zur Zeit. Solange die Mehrheit im Parlament vorhanden ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass hier die Sache sich verändert. Und ich sehe auch keinen Konkurrenten in der Partei, der da kommen könnte. Die Lage ist ganz ernst."
Es lohnt sich außerdem, einen genaueren Blick darauf zu werfen, wer da eigentlich demonstriert und protestiert. Es sind zunächst einmal die Anhänger der Opposition, also diejenigen, die ohnehin schon immer gegen die Regierung waren. Hinzu kommen diejenigen, die schon das für viele überraschende Sparpaket geärgert hat, deren Wut sich also schon vor der Veröffentlichung des Tonbands aufstaute. Dass es jetzt zu Gewaltausbrüchen kam, habe auch mit der systematischen Hetze der Opposition zu tun, mit Orbán und dessen Bürgerbund Fidesz, kritisiert Krisztian Ungvary:
" Es gibt Leute, die davon Nutzen haben wollen. Und ganz klar will die Opposition das auf ihre Art und Weise ausnutzen. Allerdings besteht die Opposition aus mehreren Parteien, und die Reaktionen dieser Parteien waren durchaus verscheiden. Die größte Opposition ist Fidesz. Die verurteilt einerseits die Proteste selbst. Andererseits war es eine führende Fidesz-Politikerin, Frau Wittner, die die Leute dorthin geschickt hat. Und man muss auch sagen, dass die Organe, die dieser Partei nahestehen, Hír Televízió, zum Beispiel, Magyar Demokrata und Magyar Nemzet als Tageszeitung, die hetzen doch die Leute auf. In diesen Zeitungen steht immer, dass im Fernsehen gelogen wird. Es wird in Demokrata antisemitische Hetze betrieben. Und die Partei sagte nie ein Wort dagegen, ganz im Gegenteil. Insofern ist da durchaus eine Verantwortung festzustellen. Man züchtet sich einen Pöbel auf - und dieser Pöbel macht sich jetzt selbständig."
Tatsächlich hat Oppositionsführer Viktor Orbán seine Wahlniederlage vom Frühjahr nie akzeptiert. Im Wahlkampf hatte er selbst noch größere Wahlgeschenke versprochen als die Regierung. Wenn also von Lügen der siegreichen Sozialisten die Rede ist, dann waren sie Teil eines Lügenwettbewerbs, denn auch die Opposition bleibt bis heute die Antwort schuldig, wo sie denn sparen will. Viktor Orbán hat stattdessen angekündigt, er werde das umstrittene Sparpaket streichen, sollte die Regierung jetzt stürzen und er selbst durch Neuwahlen an die Macht kommen. Orbán hat die bevorstehenden Kommunalwahlen zur Volksabstimmung über die Regierung erklärt, der er die Legitimität abspricht:
" Wir sind nicht Opfer eines Unfalles geworden, sondern Opfer einer geplanten, organisierten Lüge. Und dieser Betrug wurde auch noch mit öffentlichen Geldern begangen. Denn mit unseren Steuergeldern machten sie Staatsreklame und malten ein verlogenes Bild der Wirtschaftslage in Ungarn. Sie haben die Menschen nicht mit Worten reingelegt, das ist ein häufiges Missverständnis. Es ist nicht wichtig, was sie versprachen, sondern was sie taten. Ich vertrete den Standpunkt, dass die Menschen mit verbundenen Augen wählten. deswegen hat diese Regeierung keine Vollmacht für das, was sie heute tut. Das sind keine demokratischen Regierungsentscheidungen, sondern eigenmächtige Diktate, die die Gesellschaft heute akzeptieren soll. Das kann man als illegitim bezeichnen. Meines Erachtens hat die Regierung heute nicht das Recht, das zu tun, was sie tut."
Viktor Orbán ist als skrupellos bekannt, er hat im Wahlkampf schon in der Vergangenheit alle Register gezogen. Ausländische Beobachter betrachten den Populisten mit Skepsis, weil er gelegentlich Europa- und Amerikafeindlich auftritt, und vor allem, weil er immer wieder mit den Rechtsextremen gemeinsame Sache macht. Er hat eine Art Paralleldemokratie aufgebaut, mit so genannten Bürgergruppen, an denen sich auch rechtsextremistische Parteien beteiligen. Auf diesem Wege hat Orbán mit den Extremisten auch gemeinsam Kandidaten für die Kommunalwahlen aufgestellt. Die radikalen Rechten tauchen jetzt auch bei den Demonstrationen auf. Der Chef der rechtsextremen und antisemitischen "Wahrheits und Lebenspartei", Istvan Csurka etwa, sprach zu den Demonstranten von einem neuen Ungarn. Die rechtsextreme Gruppe Jobbik nutzte die Aufmerksamkeit der Kameraleute aus aller Welt und trug auf dem Platz vor dem Parlament mit einem Sarg symbolisch die gegenwärtige Regierung zu Grabe. Die Proteste nutzen will auch György Ekrem Kemal, Chef der rechtsextremen Nationalen Freiheitspartei, der schon von der ganz großen Wende träumt:
" Hier geht es nicht um Parteien, sondern um einen nationalen Zusammenschluss. Hier vor dem Parlament haben wir die wahre Wende eingeleitet. Und die wird dahin führen, dass die Nation die gegenwärtige Regierung stürzt."
Orban treibe da ein gefährliches Spiel, meint der Politologe Krisztian Ungvary:
" Diese Leute sind in einer Demokratie einfach nicht salonfähig, das muss ganz klar gesagt werden. Und diejenigen, die sich mit diesen Leuten verbrüdern oder in eine politische Konstellation reingehen, die machen sich der Destabilisierung des Landes schuldig."
Budapest hat eine der größten jüdischen Gemeinden in Europa, er gibt neuerdings auch eine Holocaust-Gedenkstätte. Antisemitische Einstellungen seien trotzdem weit verbreitet, klagt Ernö Lazarovics von Verband der jüdischen Gemeinden in Ungarn:
" Nach der politischen Wende wurde der latente Antisemitismus manifest. Leider sind die Menschen mit antisemitischer Fühlung nicht verschwunden."
Rechtsextreme und antisemitische Gruppen werden von den im Parlament vertretenen Parteien nicht immer konsequent ausgegrenzt. Die demokratischen Spielregeln sind in Ungarn noch nicht wirklich eingeübt, gut eineinhalb Jahrzehnte nach der Wende. Auch deshalb werden in Wahlkämpfen regelmäßig Grenzen überschritten. Hinzu kommt, dass die ungarische Gesellschaft tief gespalten ist. In Anhänger der Rechten und der Linken. Dabei geht es weniger um Inhalte, als um die allgemeine Gesinnung, um die Anhängerschaft zu einem der beiden Lager, die sich feindselig gegenüberstehen. Der Riss geht durch Dörfer und Familien, in Wahlkämpfen gibt es auch immer mal wieder Prügeleien. Auch deshalb gibt es jetzt die Mahnung zur Mäßigung, es ist ein Spiel mit dem Feuer, wenn Oppositionsführer Orbán sich entscheidet, die Stimmung weiter anzuheizen. Auch Konservative sehen das mit Skepsis. Etwa der ehemalige Regierungschef Peter Boross, der Orbáns populistische Ankündigung kritisiert, das Sparpaket der sozialistischen Regierung streichen zu wollen. Die Tageszeitung Nepszabadsag zitiert Boross mit den Worten:
" Man muss einsehen, dass das Sparpaket nicht zurückgenommen werden kann. Bei diesem Programm geht es mittelfristig um unsere Existenz. Denn nur die Annahme dieses Paketes ermöglicht die so oft erwähnte milliardenschwere Förderung durch die Europäische Union."
Vom Beitritt zur Europäischen Union vor gut zwei Jahren haben viele Ungarn vielleicht auch zu viel erwartet. Natürlich hat er der Wirtschaft genützt, zumal westeuropäische Investoren ja zum ungarischen Boom der Nachwendejahre maßgeblich beitrugen. Der größte private Arbeitgeber in Ungarn ist das Audi-Werk in Györ. Das liegt im reichen Westen Ungarns. Im Osten sieht es ganz anders aus. Da gibt es eine hohe Arbeitslosigkeit. Fabrikarbeiter ehemaliger Staatsbetriebe, die ihren Job verloren, weil die privatisierten Firmen mit viel weniger Arbeitskräften auskommen. Rentner, schlecht ausgebildete, Kleinbauern, sie alle sind Verlierer des EU-Beitritts. Nach wie vor ist auch die Situation von hunderttausenden zumeist schlecht ausgebildeten und oft bettelarmen Roma ein Riesenproblem in Ungarn. Sie alle sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Aber die Preise steigen schneller als die Sozialhilfe, als die Renten und Arbeitslosengelder. Die Kosten explodieren, auch weil die Verwaltung immer noch in altsozialistischer Tradition völlig aufgebläht ist. Das Gesundheitssystem ist zu teuer, außerdem marode und ineffizient, Bestechungsgelder im Krankenhaus sind die Regel. Das alles schafft Unmut, den die Sozialisten bisher nur mit immer neuen Geldgeschenken dämpfen wollten. Das geht nicht mehr. Die Lösungen können nur Einschnitte sein, die wiederum schmerzhaft sind. Und da beginnt das Problem, das auch aus Deutschland und anderen alten EU-Staaten bekannt ist: Politiker, die Einschnitte beschließen oder auch nur ankündigen, werden von den Wählern abgestraft. Durchsetzbar sind sie also nur, wenn auch die konkurrierenden politischen Parteien die Notwendigkeit solcher Sparmaßnahmen erklären. In Ungarn funktioniert das seit Jahren nicht: Die jeweilige Opposition verspricht das Blaue vom Himmel und setzt die Regierung damit unter Druck, ebenfalls Geld auszugeben, statt zu sparen. So ergibt sich eine politische Lügenspirale, die zu durchbrechen der Ministerpräsident jetzt versucht hat - zunächst nur intern, nicht öffentlich.
Die Motive der Demonstranten mögen unterschiedlich sein, unter ihnen sind radikale Rechte, Konservative, denen die Wendekommunisten schon immer ein Dorn im Auge sind, aber eben auch diejenigen, die einfach unzufrieden sind, mit der Entwicklung im Land, wie es einer der Demonstranten beschreibt:
" Hier geht es darum, wie die Menschen leben, was sie für ihr Geld kriegen. Wenn alle ein ordentliches Auskommen haben, gibt es auch keine Demonstrationen."
An Einschnitte sind die Ungarn bisher nicht gewöhnt gewesen, seit der Wende vor rund 16 Jahren ist es ja immer nur bergauf gegangen. Ungarn galt als Wirtschaftswunderland, als südosteuropäischer Tigerstaat, viele deutsche Arbeitnehmer fürchteten die Konkurrenz der deutlich billigeren aber fleißigen und gut ausgebildeten Ungarn. Inzwischen steigen aber auch in Ungarbn die Löhne und der Kostendruck. Manche Firmen sind schon weiter gezogen nach Rumänien oder gleich nach Asien, andere drohen damit. Die Wirtschaft wächst langsamer, das hat auch mit den verschleppten Reformen zu tun. Der Chef des ungarischen Ablegers der deutschen Software-Schmiede SAP, Tamas Vahl, kritisierte bereits vor den Wahlen im Frühjahr, dass eigentlich keine der großen Parteien die wichtigen Reformen angehen wolle:
" Bei der letzten Regierung wurden bestimmte Bereiche wie zum Beispiel der Komplex des öffentlichen Bereichs oder das Gesundheits- und Sozialwesen absolut nicht reformiert, absolut nicht angepackt. Das ist ein Problempunkt. Und ich denke, das ist ein großer Fehler der jeweiligen Regierung gewesen. Diese Reformen müssen gestartet werden. Also, ich denke, jetzt kommt keine Regierung drumherum, sich mit diesen Themen wirklich zu beschäftigen. Die Reden über Reformen müssen jetzt in die Tat umgesetzt werden, weil der Druck von der Wirtschaft so stark ist, dass es nicht anders möglich sein wird. Man muss das so sehen, dass in den letzten Jahren eine quasi-Stagnation im Markt war. Und ich denke, das Potential von Ungarn ist wesentlich größer als was bis jetzt in den paar Jahren erreicht wurde."
Ungarn steht am Scheideweg. Reformen sind notwendig. Die Regierung will sie angehen, und der ganze Skandal jetzt hat eher dazu geführt die reihen der links-liberalen Koalition fester zu schließen. Insofern könnte Regierungschef Gyurcsány sogar gestärkt aus der Affäre hervorgehen. Und wenn die Rechte sich doch durchsetzt? Wenn die Kommunalwahlen einen so überragenden Sieg des Oppositionsbündnisses Fidesz bringen, dass die Regierung stürzt? Dann müsste man darüber reden, ob nicht auch der Oppositionsführer ein Lügner war, als er den Menschen immer wieder teure Geschenke versprach, warnt Sándor Richter vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche:
" Was haben SIE vor der Wahl versprochen? Sie haben gesagt, dass man eine radikale Steuer- und Abgabensenkung verwirklichen muss, und das wird so ein Wachstum generieren, dass dann die Budgetdeckung wachsen werde, und dann werde sich Problem von alleine lösen. Noch dazu: Künstlich niedrig gehaltene Gaspreise sollten so niedrig bleiben wie sie sind, die Subventionen auf Medikamente sollten so hoch bleiben wie sie sind und überall sollten die Leute glücklich werden. Und das ist das Wichtigste."
Das waren Orbáns Versprechungen. In Wirklichkeit müsste auch er ein Sparpaket schnüren, würde er regieren, meint Sándor Richter:
" Ich bin Ökonom. Ich glaube nicht, dass Ungarn ohne dieses Paket oder ein ähnliches Maßnahmenpaket - man wird das natürlich immer diskutieren - aus diesem Schlamassel rauskommen kann."
Ein Sieg der Opposition würde an der Lage der Wirtschaft nichts ändern, das meint auch der Kommentator der Tageszeitung Nepszava:
Die Sozialisten und Liberalen halten aus. Sie haben auch gar keine andere Möglichkeit. Die Regierung ist an ihrem Platz -der Premier ist die einzige Person, die in der Lage ist, das ganze System zusammenzuhalten. Der auch der Welt gegenüber die Entschlossenheit zeigt, die nötig ist, um den Haushalt zu sanieren. Und die Oppositin fordert Gyurcsány muss gehen. Nein, das ist es nicht. Denn wenn die Menschen das Sparpaket nicht von Gyurcsány annehmen, warum sollten sie es dann von dessen Nachfolger annehmen?
Die Wahrheit lässt sich letztlich wohl nicht aufhalten. Das sieht auch der Kommentator der Zeitung Nepszabadsag so:
Wir lebten die letzten 40 Jahre in einer auf Lüge basierenden Gesellschaft. Haben gelernt, mit der Lüge zu leben. Bei uns gibt es kein ungeschriebenes, also moralisches Gesetz dafür, nach dem jener gehen muss, der lügt. Gyurcsány wollte im Mai reinen Tisch machen. In einer leidenschaftlichen Rede sprach er über das, was Politik und informierte Intelligenz ohnehin wussten.
Die süße politische Lüge vom immerwährenden Aufschwung ist am Ende, vielleicht setzt sich ja in Ungarn jetzt in allen politischen Lagern die bittere Wahrheit durch. Reformen lassen sich sicher leichter miteinander angehen, als im wütenden Gegeneinander. Dass Oppositionsführer Orbán eine ursprünglich angekündigte Großdemonstration absagen ließ, könnte angesichts der angespannten Atmosphäre ein Zeichen der neuen Vernunft sein.
" Wir haben fast keine Wahl. Wir haben keine, weil wir es verschissen haben. Nicht nur ein bisschen, sondern sehr. In Europa hat noch kein Land so etwas Dämliches gemacht wie wir. Das lässt sich erklären. Wir haben offensichtlich die letzten eineinhalb, zwei Jahre nur gelogen. Da war ganz klar, dass das nicht wahr ist, was wir sagen."
Es kann kaum ein Zufall sein, dass das Tonband genau zwei Wochen vor den Kommunalwahlen öffentlich gemacht wurde. Doch der Streit zerriss ja, bevor er öffentlich wurde, zunächst einmal die sozialistische Regierungspartei selbst: da sind die alten Kader, die noch aus kommunistischen Zeiten stammen, grauhaarig und nicht unbedingt populär. Sie haben den ebenfalls in Funktionärskreisen sozialisierten aber deutlich jüngeren und smarteren Gyurcsany als Kandidaten aufgestellt. Dass Gyurcsány aber die eigenen sozialistischen Provinzbürgermeister mit einer Verwaltungsreform behelligte, die sie Macht und Personal kostete, dass Gyurcsany dann auch noch nach der Wahl ein Sparpaket durchboxte, dass die Menschen verärgern musste, das konnten und wollten viele Sozialisten nicht verstehen. Sie wollten ihren Wählern diese Unannehmlichkeiten nicht zumuten, von Studiengebühren bis zu Zuzahlungen bei Arzneimitteln. Deshalb redete Gyurcsány den eigenen Genossen ja in der mittlerweile legendären Rede so drastisch ins Gewissen. Es heißt darin:
" Ihr irrt Euch, wenn Ihr glaubt, dass ihr noch eine Wahl habt. Ihr habt keine, und ich habe auch keine. Wir haben heute höchstens noch die Wahl, ob wir Einfluss nehmen, auf das, was passiert, oder ob uns die Probleme irgendwann überrollen."
Tatsächlich ist Ungarn der schlimmste Defizitsünder der europäischen Union. Die Sozialisten haben in der letzten Wahlperiode mal eben so die Gehälter der Lehrer und Ärzte um die Hälfte erhöht. Dafür war aber kein Geld da. Nun ist die Euro-Einführung in Weite Ferne gerückt, vor 2011 wird Ungarn die Gemeinschaftswährung kaum bekommen. Gerade erst musste die Budapester Regierung ein Konvergenzbericht nach Brüssel schicken. Mit anderen Worten: Die Finanzpolitik in Budapest wird inzwischen von Brüssel aus überwacht. Der Regierungschef hat also tatsächlich keine Wahl. Davon muss er trotzdem die eigenen Leute erst einmal überzeugen. Gyurcsány steht zu seiner Rede. Tatsächlich hat er den umstrittenen Redetext prompt auch auf seiner eigenen Homepage veröffentlicht und kein Wort zurückgenommen. Angesichts der Proteste hatte die eigene Partei keine Wahl: sie stellte sich hinter den Regierungschef. Dabei war über dessen Wunsch, auch noch Parteichef zu werden, zuletzt heftig gestritten worden. Auch der kleinere liberale Koalitionspartner stützt den Regierungschef. Gyurcsány lehnt alle Rücktrittsforderungen ab. Warum sollte der Ministerpräsident eines 10-Millionen-Landes auch wegen zehntausend Demonstranten und ein paar Hooligans gleich das Handtuch werfen, fragt der Politologe Krisztian Ungvary:
" Warum soll er das nicht überstehen? Er hat eine Mehrheit im Parlament zur Zeit. Solange die Mehrheit im Parlament vorhanden ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass hier die Sache sich verändert. Und ich sehe auch keinen Konkurrenten in der Partei, der da kommen könnte. Die Lage ist ganz ernst."
Es lohnt sich außerdem, einen genaueren Blick darauf zu werfen, wer da eigentlich demonstriert und protestiert. Es sind zunächst einmal die Anhänger der Opposition, also diejenigen, die ohnehin schon immer gegen die Regierung waren. Hinzu kommen diejenigen, die schon das für viele überraschende Sparpaket geärgert hat, deren Wut sich also schon vor der Veröffentlichung des Tonbands aufstaute. Dass es jetzt zu Gewaltausbrüchen kam, habe auch mit der systematischen Hetze der Opposition zu tun, mit Orbán und dessen Bürgerbund Fidesz, kritisiert Krisztian Ungvary:
" Es gibt Leute, die davon Nutzen haben wollen. Und ganz klar will die Opposition das auf ihre Art und Weise ausnutzen. Allerdings besteht die Opposition aus mehreren Parteien, und die Reaktionen dieser Parteien waren durchaus verscheiden. Die größte Opposition ist Fidesz. Die verurteilt einerseits die Proteste selbst. Andererseits war es eine führende Fidesz-Politikerin, Frau Wittner, die die Leute dorthin geschickt hat. Und man muss auch sagen, dass die Organe, die dieser Partei nahestehen, Hír Televízió, zum Beispiel, Magyar Demokrata und Magyar Nemzet als Tageszeitung, die hetzen doch die Leute auf. In diesen Zeitungen steht immer, dass im Fernsehen gelogen wird. Es wird in Demokrata antisemitische Hetze betrieben. Und die Partei sagte nie ein Wort dagegen, ganz im Gegenteil. Insofern ist da durchaus eine Verantwortung festzustellen. Man züchtet sich einen Pöbel auf - und dieser Pöbel macht sich jetzt selbständig."
Tatsächlich hat Oppositionsführer Viktor Orbán seine Wahlniederlage vom Frühjahr nie akzeptiert. Im Wahlkampf hatte er selbst noch größere Wahlgeschenke versprochen als die Regierung. Wenn also von Lügen der siegreichen Sozialisten die Rede ist, dann waren sie Teil eines Lügenwettbewerbs, denn auch die Opposition bleibt bis heute die Antwort schuldig, wo sie denn sparen will. Viktor Orbán hat stattdessen angekündigt, er werde das umstrittene Sparpaket streichen, sollte die Regierung jetzt stürzen und er selbst durch Neuwahlen an die Macht kommen. Orbán hat die bevorstehenden Kommunalwahlen zur Volksabstimmung über die Regierung erklärt, der er die Legitimität abspricht:
" Wir sind nicht Opfer eines Unfalles geworden, sondern Opfer einer geplanten, organisierten Lüge. Und dieser Betrug wurde auch noch mit öffentlichen Geldern begangen. Denn mit unseren Steuergeldern machten sie Staatsreklame und malten ein verlogenes Bild der Wirtschaftslage in Ungarn. Sie haben die Menschen nicht mit Worten reingelegt, das ist ein häufiges Missverständnis. Es ist nicht wichtig, was sie versprachen, sondern was sie taten. Ich vertrete den Standpunkt, dass die Menschen mit verbundenen Augen wählten. deswegen hat diese Regeierung keine Vollmacht für das, was sie heute tut. Das sind keine demokratischen Regierungsentscheidungen, sondern eigenmächtige Diktate, die die Gesellschaft heute akzeptieren soll. Das kann man als illegitim bezeichnen. Meines Erachtens hat die Regierung heute nicht das Recht, das zu tun, was sie tut."
Viktor Orbán ist als skrupellos bekannt, er hat im Wahlkampf schon in der Vergangenheit alle Register gezogen. Ausländische Beobachter betrachten den Populisten mit Skepsis, weil er gelegentlich Europa- und Amerikafeindlich auftritt, und vor allem, weil er immer wieder mit den Rechtsextremen gemeinsame Sache macht. Er hat eine Art Paralleldemokratie aufgebaut, mit so genannten Bürgergruppen, an denen sich auch rechtsextremistische Parteien beteiligen. Auf diesem Wege hat Orbán mit den Extremisten auch gemeinsam Kandidaten für die Kommunalwahlen aufgestellt. Die radikalen Rechten tauchen jetzt auch bei den Demonstrationen auf. Der Chef der rechtsextremen und antisemitischen "Wahrheits und Lebenspartei", Istvan Csurka etwa, sprach zu den Demonstranten von einem neuen Ungarn. Die rechtsextreme Gruppe Jobbik nutzte die Aufmerksamkeit der Kameraleute aus aller Welt und trug auf dem Platz vor dem Parlament mit einem Sarg symbolisch die gegenwärtige Regierung zu Grabe. Die Proteste nutzen will auch György Ekrem Kemal, Chef der rechtsextremen Nationalen Freiheitspartei, der schon von der ganz großen Wende träumt:
" Hier geht es nicht um Parteien, sondern um einen nationalen Zusammenschluss. Hier vor dem Parlament haben wir die wahre Wende eingeleitet. Und die wird dahin führen, dass die Nation die gegenwärtige Regierung stürzt."
Orban treibe da ein gefährliches Spiel, meint der Politologe Krisztian Ungvary:
" Diese Leute sind in einer Demokratie einfach nicht salonfähig, das muss ganz klar gesagt werden. Und diejenigen, die sich mit diesen Leuten verbrüdern oder in eine politische Konstellation reingehen, die machen sich der Destabilisierung des Landes schuldig."
Budapest hat eine der größten jüdischen Gemeinden in Europa, er gibt neuerdings auch eine Holocaust-Gedenkstätte. Antisemitische Einstellungen seien trotzdem weit verbreitet, klagt Ernö Lazarovics von Verband der jüdischen Gemeinden in Ungarn:
" Nach der politischen Wende wurde der latente Antisemitismus manifest. Leider sind die Menschen mit antisemitischer Fühlung nicht verschwunden."
Rechtsextreme und antisemitische Gruppen werden von den im Parlament vertretenen Parteien nicht immer konsequent ausgegrenzt. Die demokratischen Spielregeln sind in Ungarn noch nicht wirklich eingeübt, gut eineinhalb Jahrzehnte nach der Wende. Auch deshalb werden in Wahlkämpfen regelmäßig Grenzen überschritten. Hinzu kommt, dass die ungarische Gesellschaft tief gespalten ist. In Anhänger der Rechten und der Linken. Dabei geht es weniger um Inhalte, als um die allgemeine Gesinnung, um die Anhängerschaft zu einem der beiden Lager, die sich feindselig gegenüberstehen. Der Riss geht durch Dörfer und Familien, in Wahlkämpfen gibt es auch immer mal wieder Prügeleien. Auch deshalb gibt es jetzt die Mahnung zur Mäßigung, es ist ein Spiel mit dem Feuer, wenn Oppositionsführer Orbán sich entscheidet, die Stimmung weiter anzuheizen. Auch Konservative sehen das mit Skepsis. Etwa der ehemalige Regierungschef Peter Boross, der Orbáns populistische Ankündigung kritisiert, das Sparpaket der sozialistischen Regierung streichen zu wollen. Die Tageszeitung Nepszabadsag zitiert Boross mit den Worten:
" Man muss einsehen, dass das Sparpaket nicht zurückgenommen werden kann. Bei diesem Programm geht es mittelfristig um unsere Existenz. Denn nur die Annahme dieses Paketes ermöglicht die so oft erwähnte milliardenschwere Förderung durch die Europäische Union."
Vom Beitritt zur Europäischen Union vor gut zwei Jahren haben viele Ungarn vielleicht auch zu viel erwartet. Natürlich hat er der Wirtschaft genützt, zumal westeuropäische Investoren ja zum ungarischen Boom der Nachwendejahre maßgeblich beitrugen. Der größte private Arbeitgeber in Ungarn ist das Audi-Werk in Györ. Das liegt im reichen Westen Ungarns. Im Osten sieht es ganz anders aus. Da gibt es eine hohe Arbeitslosigkeit. Fabrikarbeiter ehemaliger Staatsbetriebe, die ihren Job verloren, weil die privatisierten Firmen mit viel weniger Arbeitskräften auskommen. Rentner, schlecht ausgebildete, Kleinbauern, sie alle sind Verlierer des EU-Beitritts. Nach wie vor ist auch die Situation von hunderttausenden zumeist schlecht ausgebildeten und oft bettelarmen Roma ein Riesenproblem in Ungarn. Sie alle sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Aber die Preise steigen schneller als die Sozialhilfe, als die Renten und Arbeitslosengelder. Die Kosten explodieren, auch weil die Verwaltung immer noch in altsozialistischer Tradition völlig aufgebläht ist. Das Gesundheitssystem ist zu teuer, außerdem marode und ineffizient, Bestechungsgelder im Krankenhaus sind die Regel. Das alles schafft Unmut, den die Sozialisten bisher nur mit immer neuen Geldgeschenken dämpfen wollten. Das geht nicht mehr. Die Lösungen können nur Einschnitte sein, die wiederum schmerzhaft sind. Und da beginnt das Problem, das auch aus Deutschland und anderen alten EU-Staaten bekannt ist: Politiker, die Einschnitte beschließen oder auch nur ankündigen, werden von den Wählern abgestraft. Durchsetzbar sind sie also nur, wenn auch die konkurrierenden politischen Parteien die Notwendigkeit solcher Sparmaßnahmen erklären. In Ungarn funktioniert das seit Jahren nicht: Die jeweilige Opposition verspricht das Blaue vom Himmel und setzt die Regierung damit unter Druck, ebenfalls Geld auszugeben, statt zu sparen. So ergibt sich eine politische Lügenspirale, die zu durchbrechen der Ministerpräsident jetzt versucht hat - zunächst nur intern, nicht öffentlich.
Die Motive der Demonstranten mögen unterschiedlich sein, unter ihnen sind radikale Rechte, Konservative, denen die Wendekommunisten schon immer ein Dorn im Auge sind, aber eben auch diejenigen, die einfach unzufrieden sind, mit der Entwicklung im Land, wie es einer der Demonstranten beschreibt:
" Hier geht es darum, wie die Menschen leben, was sie für ihr Geld kriegen. Wenn alle ein ordentliches Auskommen haben, gibt es auch keine Demonstrationen."
An Einschnitte sind die Ungarn bisher nicht gewöhnt gewesen, seit der Wende vor rund 16 Jahren ist es ja immer nur bergauf gegangen. Ungarn galt als Wirtschaftswunderland, als südosteuropäischer Tigerstaat, viele deutsche Arbeitnehmer fürchteten die Konkurrenz der deutlich billigeren aber fleißigen und gut ausgebildeten Ungarn. Inzwischen steigen aber auch in Ungarbn die Löhne und der Kostendruck. Manche Firmen sind schon weiter gezogen nach Rumänien oder gleich nach Asien, andere drohen damit. Die Wirtschaft wächst langsamer, das hat auch mit den verschleppten Reformen zu tun. Der Chef des ungarischen Ablegers der deutschen Software-Schmiede SAP, Tamas Vahl, kritisierte bereits vor den Wahlen im Frühjahr, dass eigentlich keine der großen Parteien die wichtigen Reformen angehen wolle:
" Bei der letzten Regierung wurden bestimmte Bereiche wie zum Beispiel der Komplex des öffentlichen Bereichs oder das Gesundheits- und Sozialwesen absolut nicht reformiert, absolut nicht angepackt. Das ist ein Problempunkt. Und ich denke, das ist ein großer Fehler der jeweiligen Regierung gewesen. Diese Reformen müssen gestartet werden. Also, ich denke, jetzt kommt keine Regierung drumherum, sich mit diesen Themen wirklich zu beschäftigen. Die Reden über Reformen müssen jetzt in die Tat umgesetzt werden, weil der Druck von der Wirtschaft so stark ist, dass es nicht anders möglich sein wird. Man muss das so sehen, dass in den letzten Jahren eine quasi-Stagnation im Markt war. Und ich denke, das Potential von Ungarn ist wesentlich größer als was bis jetzt in den paar Jahren erreicht wurde."
Ungarn steht am Scheideweg. Reformen sind notwendig. Die Regierung will sie angehen, und der ganze Skandal jetzt hat eher dazu geführt die reihen der links-liberalen Koalition fester zu schließen. Insofern könnte Regierungschef Gyurcsány sogar gestärkt aus der Affäre hervorgehen. Und wenn die Rechte sich doch durchsetzt? Wenn die Kommunalwahlen einen so überragenden Sieg des Oppositionsbündnisses Fidesz bringen, dass die Regierung stürzt? Dann müsste man darüber reden, ob nicht auch der Oppositionsführer ein Lügner war, als er den Menschen immer wieder teure Geschenke versprach, warnt Sándor Richter vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche:
" Was haben SIE vor der Wahl versprochen? Sie haben gesagt, dass man eine radikale Steuer- und Abgabensenkung verwirklichen muss, und das wird so ein Wachstum generieren, dass dann die Budgetdeckung wachsen werde, und dann werde sich Problem von alleine lösen. Noch dazu: Künstlich niedrig gehaltene Gaspreise sollten so niedrig bleiben wie sie sind, die Subventionen auf Medikamente sollten so hoch bleiben wie sie sind und überall sollten die Leute glücklich werden. Und das ist das Wichtigste."
Das waren Orbáns Versprechungen. In Wirklichkeit müsste auch er ein Sparpaket schnüren, würde er regieren, meint Sándor Richter:
" Ich bin Ökonom. Ich glaube nicht, dass Ungarn ohne dieses Paket oder ein ähnliches Maßnahmenpaket - man wird das natürlich immer diskutieren - aus diesem Schlamassel rauskommen kann."
Ein Sieg der Opposition würde an der Lage der Wirtschaft nichts ändern, das meint auch der Kommentator der Tageszeitung Nepszava:
Die Sozialisten und Liberalen halten aus. Sie haben auch gar keine andere Möglichkeit. Die Regierung ist an ihrem Platz -der Premier ist die einzige Person, die in der Lage ist, das ganze System zusammenzuhalten. Der auch der Welt gegenüber die Entschlossenheit zeigt, die nötig ist, um den Haushalt zu sanieren. Und die Oppositin fordert Gyurcsány muss gehen. Nein, das ist es nicht. Denn wenn die Menschen das Sparpaket nicht von Gyurcsány annehmen, warum sollten sie es dann von dessen Nachfolger annehmen?
Die Wahrheit lässt sich letztlich wohl nicht aufhalten. Das sieht auch der Kommentator der Zeitung Nepszabadsag so:
Wir lebten die letzten 40 Jahre in einer auf Lüge basierenden Gesellschaft. Haben gelernt, mit der Lüge zu leben. Bei uns gibt es kein ungeschriebenes, also moralisches Gesetz dafür, nach dem jener gehen muss, der lügt. Gyurcsány wollte im Mai reinen Tisch machen. In einer leidenschaftlichen Rede sprach er über das, was Politik und informierte Intelligenz ohnehin wussten.
Die süße politische Lüge vom immerwährenden Aufschwung ist am Ende, vielleicht setzt sich ja in Ungarn jetzt in allen politischen Lagern die bittere Wahrheit durch. Reformen lassen sich sicher leichter miteinander angehen, als im wütenden Gegeneinander. Dass Oppositionsführer Orbán eine ursprünglich angekündigte Großdemonstration absagen ließ, könnte angesichts der angespannten Atmosphäre ein Zeichen der neuen Vernunft sein.