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Sturm im Wasserglas

Der Hurrikan "Irene" hat nicht so stark zugeschlagen, wie befürchtet. Die Bewohner an der Ostküste können aufatmen. Dagegen dürften diejenigen, die wegen des Medien-Echos ein Roland-Emmerich-artiges Weltuntergangsspektakel in New York erwartet hatten, enttäuscht sein.

Vom Burkhard Müller-Ullrich |
    Im Gegensatz zum Elbhochwasser ist ein amerikanischer Hurrikan eher unzuverlässig. Er bewegt sich nicht in einem Bett und seine Stärke ändert sich ständig. Deswegen sind jetzt all diejenigen, die ein Roland-Emmerich-artiges Weltuntergangsspektakel in New York erwartet hatten, ein bisschen enttäuscht. Aber warum hatten sie's erwartet? Gewiss, es gab amtliche Warnungen, die ernst zu nehmen waren. Doch das internationale Medienecho hatte zweifellos noch andere Gründe, denn wahrhaftig tobten auf der Welt schon schlimmere Stürme, die weniger Beachtung fanden.

    Da sind zum einen Ort und Zeit: New York, kurz vor dem zehnten Jahrestag des Terrorangriffs, der nicht nur das dortige Stadtbild, sondern unser aller Weltbild veränderte. Natürlich haben Attentat und Hurrikan nicht das Mindeste miteinander zu tun, was unseren Wahrnehmungsapparat jedoch nicht hindert, in ähnliche Schwingungen zu geraten. Man kann dies geradezu als ein Paradebeispiel dafür nehmen, wie verquer die Weltsicht im Medienzeitalter geworden ist: Nah und fern, groß und klein, wichtig und unwichtig – das alles ist bloß eine Frage von Perspektiventscheidungen, von Kamerablickwinkeln und Chefredakteursabsichten.

    Zum anderen hat das Toben der Naturgewalten, auch wenn es gefährlich und zerstörerisch ist, einen unleugbaren ästhetischen Reiz. Wer liebt es nicht, einem heftigen Gewitter vom sicheren Haus aus zuzusehen? Gerade weil man sich der möglichen Verheerungen bewusst ist, starrt man auf die zuckenden Blitze und zählt den Donnerschlägen entgegen. Auch das Elbhochwasser musste besichtigt werden, wenngleich man sich für die Unglücksgafferei natürlich schämte, aber der Schauwert war einfach zu groß.

    Und schließlich hat dieser Sommer sein mediales Katastrophensoll noch nicht erfüllt. Immer nur Finanzprobleme und ein Krieg in Libyen, den wir dank unserem Außenminister glatt gewonnen haben, ohne überhaupt dabei gewesen zu sein – das alles schreit nach Abwechslung in Form von Sturmfluten, Windhosen und Tropenstürmen. Da kam Irene gerade recht. Und mit derselben Atemlosigkeit wie die amerikanischen Medien berichteten die unsrigen über jede Eventualität. Nur: Die amerikanischen Wettersender sind dazu da, die Leute rund um die Uhr mit Warnungen vor Wind und Wolken zu bedrohen. Unsere Reporter haben sich von diesem Genre bloß aus Langeweile anstecken lassen.

    Selbst die Meldungen über die Zahl der Todesopfer könnten als Lehrstück für journalistischen Unsinn dienen. Mitgezählt wurden sogar Herzinfarkte, an denen die Betroffenen wahrscheinlich auch zuhause vor dem Fernseher gestorben wären. Und wie viele Menschen werden USA-weit in einer normalen Sturmnacht von Ästen und herabfallenden Bauteilen erschlagen – ganz ohne Hurrikan?

    Wenigstens konnte nebenbei auch die Klimakatstrophenthematik, die so vielen Medienleuten am Herzen liegt, abgearbeitet werden – nach der Devise: die Welt ist aus den Fugen, die Hurrikans nehmen zu. Das ist zwar wissenschaftlich haltlos, kommt aber gut in einem Jahr, dem man zumindest bei uns keinen neuen Hitzerekord nachsagen kann. Die Klimakatstrophenprediger werden angesichts der stagnierenden bis fallenden Durchschnittstemperaturen sowieso immer nervöser.

    Daher also der hollywoodeske Sturmwarnungshype. Was New York schließlich erlebte, war Irene im Wasserglas. Geübte Nachrichtenkonsumenten haben es so kommen sehen. Denn selbst auf einem so unsicheren Gebiet wie der Meteorologie ist eines sicher: die wirklichen Katastrophen kommen überraschend; die angesagten bleiben in der Regel aus. Die Wetterprognostiker schaffen es noch immer nicht, Windstärke und -richtung einen halben Tag im Voraus für ein sehr genau umrissenes Gebiet vorherzusagen. Aber die globale Erderwärmung über die nächsten fünfzig Jahre auf ein halbes Celsius-Grad: das ja und mit Gewissheit.