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Sturm in der Höhe

Luftfahrt. - Am Montag stürzte ein Airbus der Fluggesellschaft "Air France" vier Stunden nach dem Start in Rio de Janeiro über dem Atlantik ab. Die mögliche Absturzstelle der Air-France-Maschine liegt nahe dem Äquator. Dort dehnt sich die Troposphäre, die irdische Wetterschicht, besonders stark aus, bis in Höhen von mehr als 15 Kilometern. Gleiches gilt deshalb auch für die typischen ambossförmigen Gewitterwolken der Tropen.

Von Volker Mrasek |
    Noch kann man über die Ursache für den mutmaßlichen Absturz der Air-France-Maschine nur spekulieren. Aber es könnte durchaus sein, dass der Airbus 330 in eine tropische Gewitterzelle geriet und vom Blitz getroffen wurde. Dass solche Ereignisse nicht nur während des Steig- oder Sinkfluges auftreten, schilderte der US-Ingenieur Martin Uman im Jahr 2003 in einer umfassenden Fachveröffentlichung zum Thema. Der langjährige Direktor des Labors für Blitzforschung an der Universität von Florida bezog sich dabei unter anderem auf ein Forschungsprojekt der US-Raumfahrtbehörde Nasa in den 80er Jahren:

    "Die F-106B der Nasa, ein einmotoriger Düsenjet, durchflog etwa 1500 Mal Gewitterstürme in 1,5 bis zwölf Kilometern Höhe. Sie wurde dabei 714mal vom Blitz getroffen. Einschläge in Höhen über sechs Kilometern waren fast zehnmal so häufig wie darunter."

    In dem Fachaufsatz zitiert Uman weitere US-Studien, nach denen Flugzeuge immer wieder von Blitzen getroffen werden:

    "Eine typische Verkehrsmaschine wird alle 3000 Flugstunden getroffen oder etwa einmal im Jahr. Die Folgen eines Blitzeinschlags in ein Flugzeug sind in der Regel minimal, können aber [im Einzelfall] katastrophal sein."

    Der weltweit anerkannte Blitz-Experte unterscheidet zwischen direkten und indirekten Folgen eines Einschlags im Flug:

    "Direkte Effekte treten an der Einschlagsstelle auf und umfassen Löcher in der Metallhaut, Schäden an Antennen und Lichtern am Flugzeugäußeren und die Entzündung von Treibstoff. Indirekte Effekte werden von Spannungen und elektrischen Strömen im Flugzeug-Inneren ausgelöst, die durch die elektrischen und magnetischen Felder des Blitzes entstehen. Sie umfassen Störungen oder Schäden an allen Bordelektronik-Systemen."

    Viele befragte Luftfahrtexperten waren sich nach dem mutmaßlichen Absturz einig, dass die Air-France-Maschine sehr schnell außer Kontrolle geraten sein muss. Wenn das stimmt und der Passagier-Jet tatsächlich einen Blitzschlag erhielt, dann ist zumindest denkbar, dass Treibstoff in einem seiner Tanks explodierte, ausgelöst durch einen elektrischen Funken. Unglücksfälle dieser Art hat es mehrfach gegeben. Zum Beispiel im Dezember 1963, als eine Boeing 707 über dem US-Bundesstaat Maryland in der Luft in Flammen aufging. Der offizielle Unfallbericht nennt als Absturzursache ...

    "... eine vom Blitz ausgelöste Entzündung des Kraftstoff-Luft-Gemisches im ersten Reservetank, gefolgt von einer Zerstörung der linken Tragfläche."

    Die US-Verkehrssicherheitsbehörde NTSB führte in einem späteren Bericht fünf weitere Fälle mit dem gleichen Entstehungsmuster auf. Im Juli 1996 brach eine Boeing 747 kurz nach dem Start in New York auseinander, die Trümmer stürzten ins Meer. Ursache war zwar kein Blitztreffer, sondern – vermutlich – ein Kurzschluss an Bord. Doch auch in diesem Fall kam es zum Funken-Überschlag, Treibstoff in einem der Tanks entzündete sich und explodierte. Nach der aufwendigen Untersuchung des Unglücks sprach die US-Luftfahrtbehörde FAA von einem grundsätzlichen Problem der Luftfahrt:

    "Seit 1960 sind 17 Flugzeuge durch Treibstofftank-Explosionen zerstört worden. Eine statistische Analyse dieser Unfälle führt die FAA zu der Prognose, dass in den nächsten 50 Jahren wahrscheinlich neun weitere Passagierflugzeuge auf diese Weise zerstört werden, falls Gegenmaßnahmen ausbleiben."

    Diese Maßnahmen werden nun, mit großer zeitlicher Verzögerung, getroffen. In den USA registrierte Flugzeuge müssen in den nächsten Jahren mit Schutzgas-Systemen nachgerüstet werden, neue Maschinen sollen ab 2010 darüber verfügen. Sie leiten nicht entflammbaren Stickstoff in leere Flugzeug-Tanks und verdrängen so explosiven Sauerstoff. Sollte die Air-France-Maschine am Pfingstmontag tatsächlich durch eine Treibstoff-Explosion abgestürzt sein, dann kam diese Initiative für Crew und Passagiere zu spät.