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Sturm über Irland

Die Republik Irland, das einstige Musterland der EU, steckt tiefer in der Krise als vergleichbare Länder. Die Wirtschaftsleistung soll dieses Jahr um etwa acht Prozent schrumpfen. Am deutlichsten sind die Bremsspuren im Staatshaushalt zu sehen: Das laufende Defizit erreicht das Vierfache des von der EU erlaubten Grenzwertes. Nun wird der irische Haushalt für das kommende Jahr vorgestellt.

Von Martin Alioth |
    Diese Haushaltskürzungen sollten einfach nicht nötig sein, wir sollten nicht dazu gezwungen sein, jammerte der irische Oppositionsführer, Enda Kenny, letzte Woche im Dáil, dem irischen Abgeordnetenhaus. Das war zwar politisch ziemlich unbeholfen, aber als Ausdruck der trotzigen Verzweiflung bildete diese Aussage die kollektive Befindlichkeit Irlands ganz treffend ab. Seit Wochen redet das Land über diesen Haushalt wie von einer biblischen Plage. Denn die Regierung verkündet unbarmherzig, sie wolle mitten in der Rezession kräftig auf die Bremse treten. Die Neuverschuldung des Staates hat derart unerträgliche Dimensionen angenommen, dass jetzt fürs Erste einmal ein Zehntel der laufenden Ausgaben gestrichen wird. Denn automatisch renkt sich das Ungleichgewicht nicht ein, erläuterte der Ökonom Colm McCarthy unlängst im irischen Rundfunk:
    "Ein großer Teil des Fehlbetrags sei strukturell, weil die Einnahmen aus dem überhitzten Immobilienhandel eben nicht einfach zurückkehrten, sobald wieder Wachstum einkehre."
    Die Regierung hatte wochenlang versucht, den öffentlichen Dienst dazu zu bewegen, den geplanten Lohnkürzungen zuzustimmen. Die Gewerkschaften schlugen einen wenig überzeugenden Plan vor, der jedem Staatsangestellten nächstes Jahr zwölf Tage unbezahlten Urlaub abverlangt hätte. Am letzten Freitag endlich erklärte Premierminister Brian Cowen die Verhandlungen für gescheitert:
    "Deshalb werde er nun zum ursprünglichen Plan zurückkehren, die öffentlichen Gehälter um fünf bis sechs Prozent zu kürzen."
    Eamon Gilmore, der Vorsitzende der oppositionellen Labour-Partei, reagierte schneidend: Die Regierung sei inkompetent, dumm und kurzsichtig. Bei der größten Oppositionspartei Fine Gael klang es nicht besser: Wenn die Lage nicht so ernst wäre, könnte man es als Weihnachtskomödie für Kinder bezeichnen, spottete Alan Shatter. – Zu den Lohnkürzungen kommen Einsparungen beim Kinder- und beim Arbeitslosengeld sowie vermutlich höhere Steuern für die Besserverdienenden. Für die irischen Gewerkschaften, die mehrheitlich den öffentlichen Dienst repräsentieren und die seit 22 Jahren de facto das Land mitregieren, ging letzte Woche ein Zeitalter zu Ende. Der Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes, David Begg, konnte es nicht ganz fassen:
    "Der Premierminister habe nicht nur die Verhandlungen platzen lassen, sondern das irische Modell der Sozialpartnerschaft nach 22 Jahren beendet."

    Jetzt rüstet sich der öffentliche Dienst zum Arbeitskampf, selbst die Polizei will eine Urabstimmung abhalten. Offen bleibt, wie der Rest der Gesellschaft diese Militanz verdaut. Denn bei einer Arbeitslosenquote von derzeit zwölfeinhalb Prozent ist die Toleranz für die Privilegien der Staatsdiener gesunken.
    Vor dem Arbeitslosenamt der Provinzstadt Navan, 45 Kilometer nordwestlich von Dublin, klagt der 23-jährige Elektriker Edward über seine Müßigkeit: Es sei entwürdigend für einen Mann, wenn er seinem dreijährigen Sohn kein Geld heimbringen könne. Andris, ein 51-jähriger Gastarbeiter aus Lettland, sucht Zuflucht in der Metaphysik: Jeden Morgen betet er auf den Knien um Gottes Hilfe. Für ihn allein sei die Lage nicht lösbar.

    Der Oppositionsführer und der Gastarbeiter mögen wenig gemeinsam haben - bis auf ihre Hilflosigkeit.