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Sturmflut aus dem Nichts

Geologie. - Das verheerende Seebeben vor Sumatra vom vergangenen Sonntag erreichte einen Wert von fast neun auf der Richter-Skala. Damit übertraf es um zwei Einheiten jene Erdstöße, die die westjapanische Hafenstadt Kobe am 16. Januar 1995 nahezu völlig zerstörten. Auslöser beider Katastrophen waren Verspannungen zwischen zwei Kontinentalplatten, die sich unvorhersehbar entluden. Liegt das Epizentrum unter dem Meer, sind gewaltige Wasserbewegungen die Folge: so genannte Tsunami.

27.12.2004
    Entladen sich plötzlich und unvorhersehbar Verspannungen zwischen zwei Kontinentalplatten, dann vibriert die Erde wie die Membran eines Lautsprechers. Im Falle der japanischen Hafenstadt Kobe, die im Januar 1995 durch Erdstöße weitgehend zerstört wurde, erreichten die Bodenausschläge bei einer Bebenstärke von sieben auf der Richterskala bis zu 25 Zentimeter. Geschieht dies unter Wasser, schwingt die darüber liegende Wassersäule mit der Schockwelle wie eine Sprungfeder hoch und nieder und sendet aus ihrer Mitte heraus diesen Druck kreisförmig nach außen - es entsteht eine konzentrische Wellenbewegung rund um das Epizentrum. Je tiefer das Meer an dieser Stelle ist, desto schneller reisen die Wellen, erklärt Professor Peter Bormann vom GeoForschungszentrum Potsdam: "Mitten im Ozean in einer Tiefe von etwa fünf Kilometern erreichen die Wogen Geschwindigkeiten rund 800 Kilometern pro Stunde. Gelangen sie in flache Küstengewässer, dann werden die Wellen auf etwa 36 Kilometer pro Stunde abgebremst." Weil aber die schnellen Tiefenwellen die verlangsamten Küstenwogen einholen und auf sie drücken, sind mitunter extreme Brandungswellen von verheerender Gewalt die Folge.

    Letztlich bestimmen einerseits die Küstenbeschaffenheit, andererseits der Auftreffwinkel der aufziehenden Wellen darüber, welche Folgen die plötzliche Flut an Land hat. "Eine in das Meer gewölbte Küste führt die Wogen seitlich weg, während trichterförmige Buchten etwa an Flussmündungen den Einstrom weiter fokussieren und riesige Wellen von vielleicht mehreren zehn Metern Höhe auftürmen", so Bormann. Dabei muss der Tsunami durchaus nicht immer rasant daher kommen. Dennoch kann die dahinter liegende Kraft beispielsweise leicht Kinder mit sich reißen. Große Gefahr drohe auch dann, wenn zunächst nicht direkt eine große Welle eintrifft, sondern das Meer vielmehr aus Buchten und Häfen abebbt und sich weit zurückzieht: "Das Wasser läuft dann erst in Richtung der Absenkung im Epizentrum. Plötzlich können dann unerwartet einige hundert Meter von der Meeresbucht freiliegen. Wenn dann Menschen neugierig in die trockene Bucht wandern, werden sie von der zurück schwingenden Flutwelle überrascht." So genannte Echowellen, also bereits von Küsten zurück geworfene Wogen, können die Flutwelle dabei noch weiter verstärken.

    Wie ihre Ursache sind auch Tsunami unberechenbar - selbst Experten und Hilfskräfte können nicht wissen, wie oft sich das Meer zurückziehen und erneut wiederkehren wird. "Es gab Tsunami, die mit großen Wogen zwei oder dreimal in die Küstenbereiche gelaufen sind. Man sollte daher sehr vorsichtig sein und bis zu mehreren Stunden warten, bis man sich wieder in küstennahe Bereiche begibt", warnt der Geologe vom GFZ Potsdam. Im Bereich des verheerenden Seebebens vom vergangenen Sonntag mangelt es indes an Möglichkeiten zu einer Begutachtung der Erderschütterungen: seismische Stationen sind in den Anrainerländern die Ausnahme, von einer Vernetzung der Messpunkte ganz zu schweigen. Anders dagegen im pazifischen Raum, schildert Professor Bormann: "Erdbebenwellen laufen mit rund zehn Kilometern pro Sekunde viel schneller als die Wasserwellen und werden von Seismographen je nach Entfernung vom Epizentrum bereits nach Sekunden bis Minuten erfasst. Diese Daten werden via Satellit übermittelt und zentral ausgewertet, so dass in zehn bis zwanzig Minuten eine Tsunami-Warnung ausgesprochen werden kann." So profitierten wenigstens weiter vom Bebenzentrum entfernte Küsten von einem solchen Beobachtungsnetzwerk. In Sri-Lanka und an der indischen Küste hätte man zwei Stunden vorher warnen können - wenn es ein solches Warnsystem auch im Indischen Ozean gäbe.

    [Quelle: Wolfgang Noelke]