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"Stuttgart 21" an Rhein und Ruhr

Gedränge am Bahnsteig, übervolle Züge und genervte Pendler - die Bahn AG will künfitg mehr Waggons einsetzen, um den Nahverkehr zu entlasten. Dennoch sieht der Fahrgastverband "Pro Bahn" noch erhebliches Verbesserungspotenzial.

Von Friederike Schulz | 24.11.2010
    Köln-Hbf, Mittwochmorgen, viertel nach acht. Auf Gleis 9 sollte eigentlich schon vor drei Minuten der NRW-Express aus Hamm eintreffen, doch die digitale Bahnsteiganzeige weist wie eine Verspätung aus. Heute sind es nur zehn Minuten, meistens sind es mehr. Als der Zug um 8.20 Uhr eingefahren ist, beginnt das große Drängeln auf dem überfüllten Bahnsteig. Wer mit dem NRW-Express um diese Uhrzeit nach Aachen fahren will, muss schnell sein und gut schieben können, um sich noch in die überfüllten Waggons quetschen zu können, meinen die routinierten Pendler, die in Köln aussteigen.

    "Die sind zum Teil brechend voll, speziell freitags und montags, kaum eine Chance, einen Sitzplatz zu bekommen."

    "Man bekommt kaum Stehplätze, geschweige denn einen Sitzplatz. Darauf bin ich schon gar nicht aus, aber bei den Stehplätzen ist es eigentlich auch schon zu voll, weil sehr viele Berufspendler da sind. Wir quetschen uns dann immer rein, man lernt viele Leute kennen, weil man sich dann auch sehr nahe kommt. Noch einen Waggon dranhängen, wäre eigentlich positiv."

    Genau das hat die Landesregierung in Düsseldorf mit ihrer Initiative "Mehr RE in NRW" jetzt vor, erklärt Horst Becker, Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium. 100 Millionen Euro stellt das Land dafür im kommenden Jahr zur Verfügung.

    "Ein Bestandteil dabei ist, dafür zu sorgen, dass die übervollen Züge in Zukunft mit einem zusätzlichen angehangenen Wagen so ausgestattet werden, dass mehr Menschen im Berufsverkehr dort einen vernünftigen Platz finden können."

    Bereits Anfang Dezember soll zum Beispiel der NRW-Express mit sechs Waggons statt bisher fünf ausgestattet werden. An den häufigen Verspätungen wird sich damit allerdings nichts ändern, denn die hängen vor allem damit zusammen, dass das Schienennetz überlastet ist. Dennoch: Ein Doppelstockwaggon mehr ist besser als nichts, meint Hartmut Buyken vom Fahrgastverband Pro Bahn, der darin zumindest eine kurzfristige Verbesserung sieht.

    "Es gibt eine merkliche Entspannung, wenn man beim RE 1 beispielsweise einen sechsten Wagen anhängt, das sind ja dann immerhin 20 Prozent, das gibt schon eine Entspannung. Dann sollte man jetzt aber nicht den Fehler machen zu sagen: Jetzt haben wir für die nächsten 20 oder 30 Jahre genug getan. Man sollte sehr genau darauf achten, ob man nicht doch noch weitere Verstärkungen braucht."

    Doch die Signale aus dem Verkehrsministerium sind eindeutig: Mehr ist derzeit nicht drin. Vor Jahren verzichtete NRW auf den Transrapid durchs Ruhrgebiet. Im Gegenzug sollte der Rhein-Ruhr-Express kommen, eine moderner und vor allem schneller Regionalzug, für den sogar ein eigenes Gleis gebaut werden sollte: von Köln über Düsseldorf und Essen bis nach Dortmund. Doch das milliardenschwere Prestigeprojekt liegt seit kurzem wieder auf Eis. Bund und Bahn, die Milliarden in Stuttgart verbauen wollen, haben dafür kein Geld. Was noch vor drei Jahren als dringlich eingestuft wurde, taucht nun in den Plänen von Bundesverkehrsminister Ramsauer gar nicht mehr auf. NRW-Staatssekretär Horst Becker muss deswegen den Ausbau des Schienennetzes für den Rhein-Ruhr-Express auf die lange Bank schieben. Seine Kritik: Der Bund vernachlässige NRW zugunsten anderer Großprojekte.

    "Wenn man sieht, dass der Bahnknoten Köln, der Bahnknoten Dortmund, der Bahnknoten Hamm, die Strecke Münster-Lünen, dass es auf diesen Strecken nicht vorangeht, während bundesweit Großprojekte mit Milliardenkosten verplant werden, scheint dies nicht in einem vernünftigen Verhältnis zueinanderzustehen."

    Und so wird nicht nur im Kölner Hauptbahnhof weiter gedrängelt, jeden Morgen zwischen sechs und acht und jeden Nachmittag zwischen vier und sechs. Und wenn die Züge sich verspäten, dauert es auch schon mal länger. Der sechste Waggon ändert daran wenig.