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Stuttgart 21: Journalisten bei der Polizei

Wenn die Bauarbeiten am Projekt Stuttgart 21 beginnen, wird es wohl Proteste geben. Die Polizei vor Ort bereitet sich bereits auf eine Räumung vor und hat neun Journalisten dazu eingeladen.

Von Michael Brandt | 12.01.2012
    Rund um den Stuttgarter Hauptbahnhof tut sich was, das ist nicht zu übersehen.

    "Wenn es morgen losgehen würde, wären wir bereit, wenn es jetzt zur Stunde losgehen würde, sind wir auch bereit. Ich bin aber nicht bereit, einen genauen Zeitpunkt zu sagen, wann wir anrücken werden,"

    sagt Stuttgarts Polizeipräsident Thomas Züfle.

    Bereit ist die Polizei für die Räumung des Baufeldes um den Südflügel des Kopfbahnhofs. Mit seinem Abriss soll der Bau von Stuttgart 21 endlich weitergehen. Und da Proteste gegen den Abriss zu erwarten sind, ist die Polizei schon heute mit Hunderten von Beamten rund um den Bahnhof präsent. Aus dem ganzen Land wurden Absperrgitter hergebracht, mit denen Demonstranten vom 270 Meter langen Südflügel ferngehalten werden sollen, aus dem ganzen Bundesgebiet wurden über 1000 Polizeibeamte beigebracht, die zur Stunde X bereitstehen sollen, um den Südflügel abzusichern. Klar ist, dass diese Stunde X noch in dieser Woche sein soll, nur den genauen Zeitpunkt gibt die Polizei bislang nicht preis.
    Polizeipräsident Züfle:

    "Das mag sich martialisch anhören. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wir rechnen mit Widerstand, wir rechnen mit einigen hundert Kritikern, und wir rechnen auch mit Sitzblockaden. Aber wir werden besonnen mit diesen Kritikern umgehen."

    Alles soll also anders werden, als vor anderthalb Jahren, am 30. September, als die benachbarte Baufläche für das Grundwassermanagement mit Wasserwerfern freigekämpft wurde und es -zig Verletzte gab.

    Polizeichef Züfle selbst steht für diese neue Linie der Polizei. Der frühere Polizeichef von Tübingen kam nach dem Regierungswechsel in die Landeshauptstadt, um hier auch persönlich für eine neue, besonnene und transparente Linie der Polizeiführung einzustehen.

    Das bedeutet nicht nur, dass die Polizei das Gespräch mit den Bahnhofsgegnern sucht, sondern auch, dass sie der Presse ein ungewöhnliches Angebot gemacht hat. Neun Journalisten dürfen die Räumung des Südflügels auf der Seite der Polizei verfolgen.

    Der Grund, so Polizeisprecher Stefan Keilbach:

    "Wir wollen eine ganz breite Transparenz erreichen. Wir wollen der ganzen Öffentlichkeit darstellen, dass wir die Eckpunkte unserer Einsatzstrategie nicht nur schriftlich herausgeben, sondern auch zeigen, was wir tun. Man kann das ganz offen sehen, als Journalist, der da eingebunden ist."

    Eine dieser eingebundenen Journalisten, bzw. Journalistinnen ist Karoline Wadenka von der Nachrichtenagentur dapd. Für ihre Agentur war es eine klare Entscheidung, sich für einen Platz im Südflügel zu bewerben, sagt sie:

    "Das Angebot der Polizei hebt sich ab zu dem, was 2011 war, als die Polizei den Einsatz komplett geheim gehalten hat. Und wir erwarten uns davon mal einen anderen Blick auf so einen Einsatz zu bekommen und haben uns deshalb auf das Angebot beworben und auch glücklicherweise den Zuschlag bekommen."

    Dennoch, allein der Begriff des eingebundenen Journalisten, des "embedded journalist", wie die US-Army die Journalisten nannte, hat einen üblen Beigeschmack. Er erinnert an jene Journalisten, die den Golfkrieg aus der Perspektive der Militärs verfolgen durften und damit zu einem zunächst falschen Bild des Krieges in der Öffentlichkeit beigetragen haben.

    Auch in Stuttgart gibt es Kritik an dem Angebot der Polizei. Gerd Manthey von der Journalistengewerkschaft dju kritisiert, dass es auf diese Weise Journalisten erster und zweiter Klasse gibt:

    "Die dju ist seit jeher gegen eingebetteten Journalismus, bzw. gegen die Bevorzugung oder Eingrenzung von Berichterstattung, indem man bestimmte Kollegen einbindet oder auswählt."

    Zwar anerkennt er das Bemühen der Polizei, diesmal transparenter über den Polizeieinsatz zu informieren, dennoch sei der Unmut auch der Journalisten, die nicht zu denn ausgewählten neun gehören, groß.

    "Dass die sagen, ich als Eßlinger Zeitung oder als Schwäbische Zeitung sehe dann gewissermaßen auf der anderen Seite und kann sehen, wie ich meine Informationen zusammenkriege. Wir lehnen solche Bevorzugung ab. Es kann doch keinen ersten und zweite Klasse Berichterstattungsort geben."

    Manthey spricht sich darüber hinaus gegen jede Art der Bevorzugung von Journalisten aus. Auch sogenannte Delegationsreisen, bei denen ausgewählte Journalisten einen Politiker etwa auf einer Auslandsreise begleiten, lehnt der dju-Mann ab.

    Karoline Wadenka, die Journalistin, die den Einsatz aus Polizeiperspektive verfolgen wird, versteht die Aufregung nicht recht. Die Gefahr, dass in Stuttgart wie im Irak durch die eingebetteten Journalisten einseitig berichtet wird, weist sie zurück. Ganz einfach weil auch auf der anderen Seite des Zauns ein Kollege von ihrer Agentur stehen wird:

    "Ich habe da keine Befürchtungen, denn ich habe das Gefühl, dass die Polizei sehr daran interessiert ist, hier für Transparenz zu sorgen. Und im Gegenzug könnte man ja auch fragen, wenn man nur auf der Seite der Demonstranten ist, ob das nicht eine einseitige Sichtweise ist. Wir werden mit den Kollegen auf jeden Fall beide Seiten des Geschehens betrachten."

    Jedenfalls werden zur Stunde X Journalisten auf beiden Seiten der Polizeiabsperrungen stehen. Ob die eingebetteten oder ausgeschlossenen am Ende objektiver über den Polizeieinsatz berichten wird sich zeigen - noch in dieser Woche.