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Subkultur
Mikrokosmos für Nischenmusik

Die Familie Schamoni hat über Jahrzehnte deutsche Filmgeschichte geschrieben. So gilt Peter Schamoni als Wegbereiter des Neuen Deutschen Films. Sein Sohn Sebastian Schnitzenbaumer geht nun einen neuen Weg und hat in München ein Indie-Musik-Label für experimentelle Popmusik gegründet.

Von Andi Hörmann | 09.08.2014
    "Hier bin ich den ganzen Tag, in diesem einen Raum, da passiert alles. Das ist die Wohn-Arbeits-Fabrik - alles kombiniert, hocheffizient. Aber man kommt dann auch nicht mehr raus."
    Herzogpark, München - eine ruhige, sehr teure Wohngegend, direkt am Englischen Garten. Imposante Bungalows mit gepflegten Grünanlagen: das Domizil der Schönen und Reichen. Nicht gerade der Ort, an dem man das Zuhause von Schamoni Musik vermutet - einem Indie-Label.
    Die luxuriöse Villa des 2011 verstorbenen Filmemachers Peter Schamoni teilen sich die kreativen Nachkommen der Familie: im Erdgeschoss die Kunstgalerie von Deborah Schamoni, im ersten Stock die Schamoni Film & Medien GmbH unter der Geschäftsführung von Konrad Hirsch.
    Im zweiten Stock lebt und arbeitet Sebastian Schnitzenbaumer, der 1977 geborene Sohn von Peter Schamoni. Stichwort: Neuer Deutscher Film, Oberhausener Manifest, der Publikumserfolg "Zur Sache Schätzchen", der Kritikerliebling "Schonzeit für Füchse".
    Die struppigen Haare fallen Sebastian Schnitzenbaumer über die hängenden Schultern seiner Camouflage-Jacke. Er verkriecht sich gerne in seine eigenen vier Wände, denn es ist alles da:
    "Hier haben wir zwei Vintage-Keyboards, wo man Sachen skizzieren kann. Plattenspieler, ganz wichtig. Bandmaschine. Und natürlich Rechner: Internet. Und Raummikrofon, auch wichtig. Wenn jemand mal eine Idee hat, dann kann man das so in den Raum stellen und dann."
    Aufnahme läuft! Ein altes Revox-Kassettendeck: High End aus den 80ern. Sebastian Schnitzenbaumer schiebt sich das matte, verblasste Gestell seiner alten Hornbrille mit dem Zeigefinger auf den Nasenrücken. Er steht vor einem mit allerlei Tonträgern bestückten Wandregal, zieht ein Tape aus der Hülle, legt es in das Kassettendeck.
    "Das ist der Wahnsinn. Das habe ich bei der Auflösung von einem HiFi-Laden in der Bergmannstraße gefunden. Das ist ein Typ, der hat damals mit einer Nakamichi Dragon, das ist das andere tolle Tape-Deck. Woche für Woche ging der in den Plattenladen und hat diese Platten auf Kassette für sich abgenommen, aber voll beschriftet. Und das hat er fünf oder zehn Jahre lang gemacht.
    Das heißt, hier hast du eine komplette Musik-Datenbank von Ende der 70er bis Anfang der 80er - alles aktuell, was raus kam und in damals der höchsten Kassetten-Qualität aufgenommen. Also wenn ich dir mal eine zeigen darf: Die sind immer beschriftet, du hast hier Band 21, 8.80. Wenn wir das jetzt einlegen, hast du im August 80 alles was relevant war. Falls es dich mal interessiert, wie der Zeitgeist August 80 war.
    Das ist natürlich grausam. Wir wollen mal die andere Seite hören... Na gut. Das ist jetzt nicht der Sound, den man gerne hören würde, aber egal. Das ist eine meiner Lieblingszeit-Äras: Ende der 70er, Anfang der 80er. Und das ist eine tolle Datenbank. Da forste ich immer durch und finde immer wieder neue Bands und neue Sachen, die mich inspirieren."
    Eine Inspirationsquelle: das Kassetten-Archiv längst vergangener Tage. Nicht nur für das Produzieren eigener Musik, auch für Veröffentlichungen zeitloser Aufnahmen aus verstaubten Archiven.
    Bei Schamoni Musik erscheint aber auch, oder besser vor allem, ganz aktuelle Musik der Münchner Subkultur - auf Vinyl, auf Kassette, nicht als seelenlose mp3-Datei. Da sind etwa die vibrierend-technoiden Tracks von Michael Bohrmann alias Steril, die blubbernd verspielten Soundscapes von Tobias Laemmert alias Protein oder die verjazzten Klang-Miniaturen von BELP, einem Musikprojekt von Sebastian Schnitzenbaumer selbst.
    Auch ohne offensichtliches Storytelling folgen auf Schamoni Musik instrumentale Veröffentlichungen einer gewissen formalen Strenge - das Album als Konzept. Oberste Priorität für das Label: keine unpersönliche Massenabfertigung, vielmehr ein intimes Durchdringen der Komposition - Tête-à-tête mit dem Künstler.
    "Die Auseinandersetzung mit dem Werk im Label: Also, dass man sich wirklich als Label das anhört und darüber redet. Für mich ist das total normal, weil Schamoni Film, da geht es nur um Autorenfilme, da zofft man sich ständig übers Drehbuch, da wird alles zerredet: Warum machst du das?"
    Musik als Film, ohne Bild - visualisiert nur durch die Vorstellungskraft des Hörers. Kino im Kopf, Rhythmus in den Beinen. Sebastian Schnitzenbaumer denkt mit Schamoni Musik Parallelwelten zusammen: Filmindustrie und Musikbusiness, Autorenfilm und Soundtrack. Voller Zuversicht entsteht mit Schamoni Musik ein Mikrokosmos für Nischenmusik.
    "Wir suchen natürlich deutschlandweit den urbanen, kunstinteressierten Menschen, der sowohl Platte- als auch filmaffin ist."