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Substanz in Großbritannien an Athleten getestet
Olympiateilnehmende als Versuchskaninchen?

Eine Recherche aus Großbritannien sorgt für einige Fragezeichen und Entrüstung im internationalen Sport: Die Zeitung „Mail on Sunday“ berichtet über eine öffentlich finanzierte Studie an Athletinnen und Athleten, die eine damals neue Substanz namens „Delta G“ austesten sollten – das Ganze im Vorfeld der olympischen Spiele von London 2012.

Von Victoria Reith | 12.07.2020
Zuschauer bei den Olympischen Spielen 2012 in London.
Laut "Mail on Sunday" wurde an britischen Sportlern eine Substanz getestet, die den Stoffwechsel steigern soll. (imago sportfotodienst)
Olympiateilnehmende wurden als Versuchskaninchen benutzt – so betitelt die "Mail on Sunday" ihre Recherche.
Dokumente, die der Zeitung vorliegen, zeigten, dass 91 Sportlerinnen und Sportler im Jahr 2012 das Präparat Delta G erhielten. Das Mittel sollte in Wettbewerben vor und während der Olympischen Spiele 2012 zur Anwendung kommen und die Olympiaathleten pushen – unter anderem aus den Disziplinen Hockey, Leichtathletik, Schwimmen und Radsport.
Substanz sollte Stoffwechsel anregen
Delta G gehört zu den Ketonen, die den Stoffwechsel anregen. Eigentlich werden Ketone beim Fettstoffwechsel in der Leber produziert, wenn jemand nicht genug Kohlenhydrate zu sich nimmt. Athleten aber brauchen die Kohlenhydrate. Und Delta G sollte dabei helfen, den Stoffwechsel trotzdem anzuregen.
Die Substanz wurde von der Oxford University entwickelt, und war für das US-Militär vorgesehen, damit die Einsatzkräfte länger mit weniger Essensrationen zurechtkommen.
Delta G war noch nicht auf dem freien Markt, aber auch nicht auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur. Trotzdem, so berichtet es die "Mail on Sunday", sicherte sich die staatliche Sportbehörde UK Sport mit einem bemerkenswerten Vorgehen ab und überließ den Athletinnen und Athleten die Verantwortung. Sie mussten laut Bericht Formulare unterzeichnen, dass im Falle einer Regeländerung durch die WADA UK Sport keine Verantwortung übernehme, und im Fall eines positiven Dopingtests der Sportler oder die Sportlerin selbst haften müsse.
Magen-Darm-Probleme bei 40 Prozent der Teilnehmenden
Die Zeitung berichtet außerdem über Nebeneffekte in der Versuchsreihe im britischen Sport: 40 Prozent der Teilnehmenden hätten Nebenwirkungen wie Erbrechen und Probleme mit dem Magen-Darm-Trakt gehabt, 28 von ihnen hätten deshalb die Einnahme abgebrochen. 24 weitere hätten die Einnahme beendet, weil sie das Gefühl hatten, dass ihnen die Delta G überhaupt nicht nutzte.
Zur Teilnahme gezwungen wurde wohl niemand, aber wer sich dafür entschied, habe auch eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterzeichnen müssen.
UK Sport rechtfertigt sich
UK Sport reagierte inzwischen auf den Bericht: Alle Innovations- und Forschungsprojekte erfüllten die höchsten ethischen Standards und würden in Rücksprache mit der WADA durchgeführt. Einen Vorteil für Großbritannien könne es aber nur geben, bevor Mittel für alle auf den Markt kommen. Das sei im Fall der Ketone im Jahr 2018 der Fall gewesen.
Der Druck, bei den Olympischen Spielen im eigenen Land Medaillen zu gewinnen, war für die britischen Athleten enorm. Und UK Sport war offenbar bereit, dafür die moralische Grauzone zu betreten.