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Subventionskontrolle stärken

EU-Industriekommissar Günter Verheugen stellt die staatliche Subventionspolitik infrage. Dass die Europäische Union aus der Arbeitsplatzvernichtung bei Nokia in Bochum etwas lernen kann, das meint auch Petra Pinzler, Redakteurin bei der Wochenzeitung "Die Zeit".

21.01.2008
    Wäre die ganz Angelegenheit nicht so fürchterlich traurig, müsste man dem finnischen Handyhersteller Nokia - zynisch betrachtet - schon fast Hochachtung erweisen. Da kündigte der Konzern mal eben an, dass über 4000 Leute in Bochum schon bald ihren Job los sein werden, weil sich Handys in Rumänien angeblich billiger herstellen lassen, und ruiniert so nicht nur seinen eigenen Ruf. Ganz nebenbei hinterlässt er tiefe Kratzer am bislang makellosen Image nordischer Arbeitgeber. Und nicht zuletzt bringt er dann auch noch die EU in Verruf.

    Schließlich wird vielen Menschen am Ende in Erinnerung bleiben, dass auch Europa und die Erweiterung Schuld an der Vernichtung guter deutscher Arbeitsplätze sind. Für ein bisschen finnische Kaltschnäuzigkeit ist das schon eine beachtliche Menge Flurschaden.

    Doch vor allem der letzte Vorwurf verdient die genauere Analyse. Bis dato rühmte sich die EU, den Kapitalismus zu zähmen. Sollte am Ende doch das Gegenteil stimmen, erleichtert sie - gewollt oder ungewollt - die massive Verlagerung von Arbeit aus dem reichen Westen in den armen Osten? Macht sie den "Subventionsheuschrecken" (um die Worte von Ministerpräsident Rüttgers zu benutzen) das Leben zu leicht?

    Tatsächlich hilft Europa beim Aufbau armer Regionen - in Deutschland wie anderen Ortes. Es fördert Projekte, öffnet Grenzen, hilft beim Ausbau der Infrastruktur und macht instabile Länder zu sicheren Nachbarn und Investitionsstandorten. Also ist die EU mit schuld daran, dass es einst armseligen Ecken des Kontinents langsam besser geht. Also ist die EU - zumindest indirekt - auch mitverantwortlich dafür, dass Nokia heute in den Osten ziehen kann.

    Doch das ist eben nur die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere: Unser Export beispielsweise nach Rumänien boomt - und auch das ist eine Folge der EU-Erweiterung. Im vergangenen Jahr hat Deutschland doppelt so viele Waren an das Land verkauft als eingekauft. Das sichert nicht nur Jobs, das schafft auch neue - und zwar hierzulande. Alle Statistiken weisen Deutschland eindeutig als Gewinner der Osterweiterung aus, nicht als Verlierer - auch wenn das nicht ins aktuelle Bild passt.

    Sicher, den Arbeitnehmern bei Nokia helfen Statistiken nicht. Ihnen hilft auch nicht, dass die Löhne und die Produktionskosten in manchen osteuropäischen Regionen steigen und so den unsrigen angleichen - langfristig jedenfalls. Schon der berühmte Ökonomen Keynes hat einst richtig gesagt: Langfristig sind wir alle tot.

    Kurzfristig helfen würde, wenn die Regierungen ihre schönen Worte von der europäischen Solidarität ernster nähmen und auch in Politik umsetzten würden. Sie könnten Brüssel beispielsweise ermächtigen, den Wettlauf der Unternehmenssteuern nach unten zu bremsen. Sie könnten die Subventionskontrolle stärken und so den Wettlauf der Beihilfen beenden.

    Dann würde Rumänien Nokia nicht mit hohen Millionensummen aus Bochum weglocken dürfen. Und auch Nordrhein-Westfalen wäre um 80 Millionen Euro reicher - die es einst für die Ansiedlung bezahlt hat und mit die es jetzt gut für Umschulung und Weiterbildung der Leute brauchen könnte. Sicher, auch das wird nicht alle Umsiedlungen verhindern. Aber es würde die vielen großen Worte vom Modell eines sozialen Europa ein bisschen weniger hohl klingen lassen.