Archiv


"Such a shocking story!"

Sie waren jung und sie wollten zusammen leben, zwei Frauen im ausgehenden 18. Jahrhundert. Die angelsächsische Gesellschaft war von diesem skandalösen Verhältnis erschüttert und begeistert zugleich, und die Ladies of Llangollen wurden zu den "berühmtesten Jungfern Europas".

Von Katrin Kühne |
    "Herzlich willkommen in Plas Newydd, dem Heim der beiden berühmten Ladies of Llangollen, Lady Eleonor Butler und Miss Sarah Ponsonby, Tochter von Lord Ponsonby."

    Unser Begleiter Idwal Jones, "a real welsh native speaker", begrüßt uns vor dem ungewöhnlichen Herrenhaus der beiden Damen. Es ergeht uns dabei wie einst Hermann Fürst von Pückler-Muskau im Juli 1828:

    "Unter unbändigem Regen hatte ich die guten alten Damen besucht."

    Zu viert unter einem Riesenregenschirm schauen wir uns den "formal garden" mit den akkurat gestutzten Kugeltaxus-Bäumen an, der von den Nachfolgern der Ladies Ende des 19. Jahrhunderts angelegt wurde. Unter hohem Dach strahlt uns das Haus heute in weiß entgegen, überzogen mit gitterartigem Fachwerk. Die bleiverglasten Erker der oberen Etage im Tudorstil, darunter die Fenster und die Eingangstür überwölbt von skurrilen Baldachinen.

    Die geschnitzten und gedrechselten Pfosten des Eingangsbaldachins stammen von einem '4-Poster bed', einem alten Himmelbett, erklärt uns Vize-Kuratorin Janice Daves. Die beiden Damen waren auf ihre Art sehr modern. Sie recycelten Möbelstücke aus der 'Jacobean Period' um 1700, die damals als unmodern galten. Die Schnitzereien stammen aus ganz Europa, vor allem natürlich aus Irland und dem UK.

    Auch im Hausinnern sind die Wände mit Holz-Masken, -Fratzen und -Figuren, teils heidnischen, teils religiösen Inhalts, bedeckt. 1778 waren Eleonor, damals bereits 39 Jahre alt, und ihre Freundin Sarah, 23, auf einer Grand Tour of Wales durch Llangollen gekommen. Sie beschlossen sich in diesem "schönsten Land der Welt", wie sie es nannten, niederzulassen. Bis sich ihr Lebenstraum erfüllen konnte, ging ein 10 Jahre währender Kampf mit ihren adeligen Familien voran.

    Sie kamen im Mai 1778 nach Plas Newydd, nachdem sie gemeinsam im März versucht hatten, aus Irland zu fliehen, so Janice Daves. Eines Nachts, in Männerkleidern, Pistole in der Tasche, den Hund dabei, sprangen sie aus dem Fenster und rannten davon. Erst an der Küste erwischten sie ihre Familien. Eleonor musste zurück ins ungeliebte Kilkenny Castle zur Mutter, die sie ins Kloster einsperren wollte, ob ihrer ungeheuerlichen Neigung zu Sarah. 1768 hatte Eleonor die damals 13-jährige Waise Sarah bei einem ihrer Besuche im Schloss kennen gelernt. Diese musste nun wieder zu ihrem Vormund Sir William in Woodstock, verheiratet und dennoch seinem Mündel unerwünschte Avancen machend. Als sich Eleonor wiederum bei Sarah mit Hilfe von deren Zofe Mary Caryll versteckte, waren die Familien dann doch froh, alle drei endgültig loszuwerden.
    Was für ein Skandal Die angelsächsische Gesellschaft war erschüttert und - begeistert, "such a shocking story" in ihren Gazetten zu lesen.

    "Das ist das Schlafzimmer der Damen. Sie schliefen zusammen in einem Bett. Wir haben keine Idee, wie intim ihre Freundschaft war. Tatsache ist, dass 'bed-sharing' auch mit Fremden bei den ungeheizten Räumen damals üblich war, z.B. wenn man in einem Inn übernachtete. Jedenfalls schlossen sie sich abends ein - Hören Sie das Schloss hier?- damit ihre treue Seele Mary Caryll zu Bett gehen konnte. Der Raum geht in das Ankleidezimmer über, wo sie lasen, Backgammon spielten und den nächsten Tag planten, weitgehend ohne Sorgen, da die Familien Pensionen für sie ausgesetzt hatten."

    In den nächsten 50 Jahren gaben sich in Plas Newydd, übersetzt ungefähr Neues Heim, die Berühmtheiten der Epoche die Klinke in die Hand. Wer war nicht alles zum Tee, Dinner oder Zweiten Frühstück: Der Herzog von Wellington, Held von Waterloo, wurde fast so etwas wie ein Freund. Josiah Wedgwood, der Erfinder der berühmten, blauen Wedgwood-Keramik wurde ebenso begrüßt wie Sir Walter Scott, der ihnen ein Exemplar seines 'Corsair' schenkte. Einer der letzten Besucher war Fürst Pückler. Er hinterließ in den "Briefen eines Verstorbenen" eine wunderbare Beschreibung der "Berühmtesten Jungfern Europas":

    "Wovon die älteste, Lady Eleonor, ein kleines rüstiges Mädchen, nun anfängt, ihre Jahre zu fühlen, da sie eben 83 geworden ist; die andere aber, eine große imponierende Gestalt, sich noch ganz jugendlich dünkt, da das hübsche Kind erst 74 zählt. Beide trugen ihr noch volles Haar schlicht zurückgekämmt und gepudert, einen runden Mannshut, ein Männerhalstuch und Weste, statt der 'Unexpressibles' aber einen 'jupon', nebst Stiefeln. Das Ganze bedeckte ein 'Kleid', die Mitte zwischen einem Männer-Überrock und einem weiblichen Reithabit haltend."

    Die Damen hatten gegenüber dem Fürsten ihres Alters bezüglich wohl etwas geflunkert. Eleonor war bereits 89!

    "Soweit war das Ganze höchst lächerlich, aber nun denke Dir beide Damen mit dem Tone der großen Welt 'de l'ancien régime' unterhaltend ohne alle Affektiertheit französisch sprechend! Auch konnte ich nicht ohne lebhafte Teilnahme die zarte Rücksicht bemerken, mit der die Jüngere ihre ältere Freundin behandelte, und jedem ihrer Bedürfnisse gleichsam zuvorkam."

    Lady Eleonor starb am 2. Juni 1829. Zwei Jahre später folgte ihr Miss Sarah.