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Sucht findet im Kopf statt

Neuroolgie. - Die Rolle von Gehirnprozessen bei Suchtproblemen war eines Hauptthemen auf dem 5. Forum der europäischen Hirnforscher in Wien, das am Dienstag zu Ende ging. Die Wissenschaftler diskutierten unter anderem Studien, nach denen Schäden in bestimmten Regionen des Gehirn die Anfälligkeit für Sucht beeinflussen können.

Von Kristin Raabe |
    Je jünger ein Gehirn ist, umso leichter kann es einen entstandenen Schaden wieder ausgleichen. So lautet ein Dogma der Nervenärzte. Und die Medizingeschichte kennt viele Fallbeschreibungen, die auf eindrückliche Weise belegen, wie richtig dieses Dogma ist. Da gibt es beispielsweise Berichte über Kinder, denen aufgrund eines Hirntumors die komplette linke Hirnhälfte entfernt werden musste. Und trotzdem lernen diese Kinder später sprechen. Der Suchtforscher Antoine Bechara stieß bei seinen Studien jedoch auf einen Hirnteil, der bei Kindern empfindlicher zu sein scheint als bei Erwachsenen:

    " Wenn man den Mandelkern bei Erwachsenen herausnimmt, hat das nur relativ geringe Auswirkungen. Manche dieser Patienten haben Gedächtnisprobleme. Das ist etwas, mit dem sie klarkommen können. Aber wenn in der Kindheit Verbindungen zu einem der beiden Mandelkerne durchtrennt werden, hat das große Folgen. Es kann nur ein kleiner Schnitt durch einige Verbindungen des Mandelkerns sein, keine völlige Entfernung des gesamten Hirnteils. So etwas kann durch einen Unfall oder einen Schlaganfall schon bei Kindern geschehen. Derselbe kleine Schnitt hätte bei Erwachsenen kaum einen Effekt, bei sehr kleinen Kindern, drei bis vier Monate alt, hat das für sie allerdings massive Auswirkungen. Als Erwachsene haben sie dann schwere Probleme."

    Viele dieser Patienten haben ein schweres Suchtproblem, sie sind häufig aggressiv und haben emotionale Probleme. Der Mandelkern ist Teil des limbischen Systems, einer Art Gefühlszentrum des Gehirns. Die Süchtigen, die dort auffällige Verletzungen haben, sind für die Wissenschaft glückliche Ausnahmen, von denen sich viel lernen lässt. Bei dem Gros der Süchtigen sind es eher unsichtbare Fehlfunktionen, die die Arbeit dieses Hirnteils einschränken. Das gilt auch für die anderen Hirnbereiche, die bei der Entstehung der Sucht eine Rolle spielen. Da ist beispielsweise ein Bereich der Großhirnrinde, der über der Augenhöhle liegt. Hier befindet sich eine Art Triebkontrolle und schließlich noch die so genannte Insula, die Insel. Dass ein Schaden in der Insula auch etwas Gutes haben kann, lernte Antoine Bechara bei Untersuchungen an ehemaligen Rauchern.

    " Von den Leute, die schon seit etlichen Jahren rauchen und dann einen Schlaganfall haben, hören einige trotzdem nicht auf zu rauchen, andere haben so viele Angst bekommen, dass sie unter großen Mühen das Rauchen aufgeben, und wieder andere haben nach dem Schlaganfall überhaupt kein Verlangen mehr nach Zigaretten. Wir haben uns mal angesehen, was diese Gruppe von Ex-Rauchern gemeinsam hat. Und tatsächlich: Wenn der Schlaganfall die Insula oder auch Insel in der Großhirnrinde schädigt, dann scheint damit das Suchtproblem dieser Leute gelöst zu sein."

    Die Tabakindustrie könnte einpacken, wenn die Entfernung der Insula, sich so ohne weiteres bei jedem bewerkstelligen ließe. Aber natürlich rät der amerikanische Suchtforscher niemanden zu so radikalen Eingriffen. Heutzutage gibt es feinere Methoden: Durch die so genannte Magnetstimulation lassen sich einzelne Hirnbereiche vorübergehend ausschalten. Auf jeden Fall, lässt sich Süchtigen in Zukunft eher helfen, wenn Ärzte die biologische Basis der Sucht im Gehirn besser verstehen. Dazu können auch die widersprüchlichen Befunde von Antoine Bechara beitragen:

    " Das ist nicht unbedingt paradox, es ist nur einfach ein bisschen komplizierter, als es zunächst scheint. Immerhin geht es immer noch um dieselbe Hirnregion. Aber irgendwie scheint im Laufe der Entwicklung noch etwas anderes hinzuzukommen. Es scheint einfach so zu sein, dass Schäden in diesen Hirnregionen bei Erwachsenen etwas völlig anderes sind, als Schäden in denselben Bereichen bei kleinen Kindern. Wir müssen nur noch herausfinden warum das so ist."

    Hirnteile wie die Insula verändern sich im Lauf des Lebens. Ihre Aufgabe besteht darin emotionale Erfahrungen zu sammeln. Das ist nicht vergleichbar mit konkreten Erinnerungen. Vielmehr werden diese emotionalen Erfahrungen bei Entscheidungen zu Rate gezogen, auch bei der Entscheidung sich die nächste Zigarette anzuzünden. Wenn Rauchen bislang eine positive Erfahrung war, dann fällt es mit den Informationen aus der Insula eben schwerer, der nächsten Zigarette zu widerstehen. Ist die Insula zerstört, fehlt die Information, und die Sucht verschwindet.