Sonntag, 04. Juni 2023

Eskalierender Konflikt
Warum im Sudan gekämpft wird

2021 putschte das Militär im Sudan. Seither herrschen die Generäle. Alle Versprechen, freie Wahlen abzuhalten, wurden bisher nicht erfüllt. Nun bekämpfen sich Armee und Paramilitärs in dem rohstoffreichen Land, die Zivilbevölkerung leidet.

22.05.2023

    Soldaten der sudanesischen Armee, die loyal gegenüber dem Armeechef Abdel Fattah al-Burhan sind, feiern, nachdem sie am 18. April 2023 in der Stadt Nyala im Sudan einen Militärstützpunkt von den Rapid Support Forces (RSF) zurückerobert haben.
    Feiernde Soldaten der sudanesischen Armee nach der Rückeroberung einer Militärbasis. (picture alliance / dpa / Newscom)
    Im Sudan ist ein Machtkampf zwischen Machthaber Abdel Fattah al-Burhan und seinem bisherigen Vize Mohammed Hamdan Daglo offen ausgebrochen. Die Armee unter al-Burhans Kommando kämpft gegen die „Rapid Response Forces“ (RSF), einer mächtigen paramilitärischen Gruppierung, die von Daglo angeführt wird.

    Rückschlag für die Demokratiebewegung

    Die Eskalation ist ein Rückschlag für die Demokratiebewegung in dem nordostafrikanischen Land. Im Jahr 2019 hatte eine von der Zivilgesellschaft getragene Bewegung den autoritären Langzeitherrscher Omar Al-Baschir gestürzt. Das Militär weigerte sich jedoch, seine Macht an eine zivile Regierung abzugeben, und putschte 2021.
    Eine Karte des afrikanischen Staats Sudan mit seiner Hauptstadt Karthoum
    Der Sudan: Beobachter befürchten, dass sich der derzeitige Konflikt zu einem Bürgerkrieg ausweiten könnte. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Uncredited)
    Im April 2023 eskalierte dann ein lange schwelender Konflikt innerhalb des Sicherheitsapparats. Die militärische Konfrontation lässt das flächenmäßig drittgrößte Land Afrikas mit seinen rund 46 Millionen Einwohnern zunehmend im Chaos versinken. Es ist reich an Rohstoffen wie Öl und Gold, aber die meisten Menschen dort leben in Armut. Inzwischen sind nach UN-Angaben über eine Million Menschen in die Nachbarländer geflohen oder als Binnenflüchtlinge im Sudan unterwegs.

    Wie ist die aktuelle Lage bei den Kämpfen im Sudan?

    Die Gewalt hat sich von der Hauptstadt Khartum auf die Nachbarstadt Omdurman sowie mehrere weitere Regionen des Landes, insbesondere Darfur, ausgebreitet. Die Kämpfe zwischen Armee und RSF haben zu einem Zusammenbruch der Ordnung im Land geführt. Es fehlt an Lebensmitteln, Bargeld und lebenswichtigen Gütern. Zudem kam es zu Plünderungen von Banken, Botschaften, Hilfsgüterlagern und Kirchen.
    Verabredete Feuerpausen wurden bisher nur teilweise oder gar nicht eingehalten. Bemühungen von Saudi-Arabien, Vertretern der Afrikanischen Union (AU) und den USA, die Konfliktparteien zu einer dauerhaften Waffenruhe zu bewegen, scheiterten. In Khartum setzt die Armee Kampfflugzeuge gegen die RSF-Miliz ein. Seit Ausbruch der Unruhen Mitte April sind Hunderte Menschen ums Leben gekommen und Tausende verletzt worden.
    Inzwischen haben die Konfliktparteien eine Erklärung zum Schutz von Zivilisten unterzeichnet. Die sudanesische Regierung rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, humanitäre Hilfe zu leisten. Sie verpflichtete sich, den Hafen und die Flughäfen von Port Sudan am Roten Meer, den Flughafen von Dongola im Norden des Landes und den Luftwaffenstützpunkt Wadi Seidna für die Entgegennahme von Hilfsgütern zu reservieren.
    Experten wie Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik befürchten, dass der Sudan in einen lang anhaltenden Bürgerkrieg abrutschen könnte. Der britische Sudan-Experte Alex de Waal verweist auf die extrem zersplitterte sudanesische Gesellschaft. Derzeit gebe es nur zwei Protagonisten, sagt er. "Geht der Konflikt weiter, wird die Situation schnell komplexer." Auch "ethnische Faktoren" könnten bei der Bildung von Allianzen eine Rolle spielen. Die International Crisis Group warnt davor, dass die Kämpfe in einen anhaltenden Krieg abgleiten, der dann über die unruhigen Randgebiete sogar auf die Nachbarländer übergreifen könnte.

    Welche Konfliktparteien stehen sich im Sudan gegenüber?

    Auslöser der Mitte April 2023 begonnenen Kämpfe ist der schon lange schwelende Machtkampf zwischen der Armee unter dem Kommando von Machthaber Abdel Fattah al-Burhan und den rivalisierenden „Rapid Response Forces“ (RSF), einer mächtigen paramilitärischen Gruppierung, seines bisherigen Vizes Mohammed Hamdan Daglo, auch Hemeti genannt. Ihm werden Gräueltaten vorgeworfen, unter anderem während des Bürgerkriegs in der Region Darfur.
    Armeechef und General Abdel Fattah al-Burhan
    De-facto-Präsident und Armeechef: General Abdel Fattah al-Burhan ist der starke Mann im Sudan. (picture alliance / dpa / AP / Aron Ranen)
    Al-Burhan hat Hemiti als Vizepräsidenten inzwischen entlassen - er erließ dazu ein Verfassungsdekret, wie der Regierungsrat mitteilte. Der Rat, dessen Vorsitzender al-Burhan ist, hält seit 2019 die Macht in dem nordostafrikanischen Land. Als Vorsitzender des Rats ist al-Burhan der De-facto-Präsident des Sudans und Oberbefehlshaber der Armee. Direkte Auswirkungen auf die Kampfhandlungen hat die Entlassung Hemetis nicht.

    Wie ist die Vorgeschichte der Kämpfe im Sudan?

    2019 kam es zu monatelangen Protesten aus der Bevölkerung gegen Langzeitdiktator Omar al-Bashir. 1989 hatte sich dieser an die Macht geputscht und ein islamistisches System errichtet – unterstützt von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Nachbarland Ägypten. Abspaltungsbewegungen in der Provinz Darfur schlug er gewaltsam nieder.
    Nach dem Sturz von Omar al-Bashir 2019 habe es dann eine zivil-militärische Machtteilung und eine Übergangsregierung gegeben, so Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Allerdings habe sich schnell herausgestellt, dass die zivilen Kräfte der Demokratiebewegung nicht wirklich darauf eingestellt waren, Regierungsmacht zu übernehmen, die Sicherheitskräfte rissen immer mehr Macht an sich. 2021 kam es schließlich zu einem Militärputsch.
    Versprochen wurde aber weiterhin der Übergang zu einer zivilen Regierung. Im Zuge dessen sollten die RSF-Truppen in das Militär eingegliedert werden, was zu Spannungen innerhalb des Sicherheitsapparats führte. Daglo unterstellt al-Burhan, seine Macht nicht aufgeben zu wollen. Aus diesem Konflikt ist ein erbitterter Machtkampf geworden.

    Wie stark leidet die Bevölkerung unter dem Machtkampf im Sudan?

    Die Zivilbevölkerung wird von den Kämpfen im Sudan schwer getroffen. In der Millionenstadt Khartum müssen viele Menschen ohne Strom und fließendes Wasser bei hohen Außentemperaturen ausharren.
    Die Versorgungssituation der Bevölkerung ist nach Angaben von UN und Nichtregierungsorganisationen kritisch. Da sich die Menschen vor den Kämpfen in ihren Wohnungen verstecken, können sie sich nur schwer mit Essen und Medikamenten versorgen.
    Die Gefahr ins Kreuzfeuer der Konfliktparteien zu geraten ist groß; in Fenstern von Wohnhäusern lauern Heckenschützen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat den Einsatz von schweren Waffen in dicht besiedelten Wohngebieten angeprangert.
    Besonders für Verletzte und Kranke ist die Lage prekär. Viele Krankenhäuser und Kliniken sind nach Angaben des sudanesischen Ärztekomitees nicht mehr funktionstüchtig, die Medikamente gehen aus. Laut Ärzte ohne Grenzen gibt es kaum noch Blutkonserven im Land. Rund 13,8 Millionen Kinder seien inzwischen auf humanitäre Hilfe angewiesen, teilte das UN-Kinderhilfswerk Unicef mit.
    Fluchtbewegung in die Nachbarländer
    Angesichts der Kämpfe sind nach Angaben der Vereinten Nationen inzwischen rund 250.000 Menschen in benachbarte Länder geflohen - viele davon in den Tschad, in dem bereits 400.000 sudanesische Flüchtlinge leben.
    Das Nachbarland sei schon jetzt mit der Versorgung der Geflohenen überlastet, erklärte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Auch Ägypten und der Südsudan haben Flüchtlinge aufgenommen. Im Sudan selbst soll es inzwischen mehr als 840.000 Binnenflüchtlinge geben.

    Wie reagiert die internationale Gemeinschaft auf die Kämpfe im Sudan?

    International sorgt die Eskalation für Entsetzen. Verschiedene Länder, darunter auch Deutschland, haben Staatsbürger in riskanten Operationen aus dem Land ausgeflogen.
    Unter anderem die USA bemühen sich, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln und Waffenruhen zu erreichen. Die G7-Außenminister haben ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen und Verhandlungen gefordert.
    Papst Franziskus rief zum Frieden auf. Auch UN-Generalsekretär António Guterres schaltete sich diplomatisch in den Konflikt ein. Er sprach mit den beiden verfeindeten Militärführern im Sudan und nahm Kontakt zur Afrikanischen Union und zur Arabischen Liga auf.
    Tilo Spanhel, Anne Allmeling, ahe, tei, dpa, rtr, afp, epd