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Südafrika
Sprachgewirr an der Schule

Südafrikas Schüler belegen bei der Lesefähigkeit im internationalen Vergleich meist die hinteren Plätze. Hauptgrund der Misere: die Sprachpolitik im Bildungswesen. Nach drei Jahren Unterricht in der Muttersprache müssen sie auf Englisch wechseln - und können weder die eine noch die andere Sprache gut genug.

Von Katja Hanke | 23.05.2018
    Unterrichtspause in der Grundschule "Talhado School Childrens Haven" in St.Francis Bay - hier lernen viele Kinder aus den umliegenden Townships.
    In Südafrika lernen Schülerinnen und Schüler oft nur schlecht lesen (dpa/picture alliance/Reinhard Kaufhold)
    Rund 30 Kinder sitzen auf dem Boden einer Hütte im Kapstädter Township Philippi und hören eine Geschichte in ihrer Muttersprache Xhosa. Die Geschichte handelt von einem Huhn, das nach Futter sucht - vorgelesen von einem jungen Mann aus dem Township. Jede Woche organisiert er den Leseclub für Kinder. Der ist Teil der Initiative "Nal'ibali - Reading for Enjoyment", und möchte Kindern die faszinierende Welt von Geschichten und Büchern zeigen. Denn die meisten Kinder in Südafrika kennen diese Welt nicht. Bücher gibt es bei ihnen zu Hause nicht. Doch allein das ist nicht der Grund dafür, dass viele nicht gut lesen können, sagt Bildungsforscherin Carole Bloch.
    "Die Gründe sind sehr komplex. Zum einen ist da die Armut, in der die meisten Kinder aufwachsen. Wenn man sich aber die pädagogischen Gründe näher ansieht, ist man sofort bei der Sprachproblematik."
    Elf offizielle Sprachen
    Bloch leitet die Organisation PRAESA - The Project for the Study of Alternative Education in South Africa - und untersucht zusammen mit der Universität Kapstadt, wie Kinder im multilingualen Südafrika Lesen lernen. Sie entwickelt Materialien, Trainings und Initiativen, die helfen sollen - so wie die Leseclubs. Der Hauptgrund der Misere ist für sie die Sprachpolitik im Bildungswesen. Seit 1996 hat Südafrika elf offizielle Sprachen: Englisch und Afrikaans, wie schon zu Zeiten der Apartheid, und neun afrikanische Sprachen. Fast 80 Prozent der Einwohner haben eine afrikanische Sprache als Muttersprache. Die Schulbildung ist aber größtenteils auf Englisch. Also wird die Mehrheit der Kinder von Anfang benachteiligt, so Bloch.
    "Die meisten Kinder lernen die ersten drei Jahre in ihrer Muttersprache, also einer afrikanischen Sprache. In der vierten Klasse müssen sie aber alle zu Englisch wechseln. Doch diesen Kindern wurde in den ersten drei Jahren weder in ihrer Muttersprache ausreichend lesen beigebracht noch Englisch gut genug, um es als Unterrichtssprache verwenden zu können."
    Auch die Art, wie die Kinder Lesen lernen, sei ein Grund für ihre schlechte Lesekompetenz. Denn in Südafrika wird nach einer phonischen Methode unterrichtet. Das bedeutet: Die Kinder üben, wie die Buchstaben und Wörter klingen. Mit der Bedeutung beschäftigen sie sich nicht, sagt Bloch. Die Kinder bräuchten Bücher und Geschichten in ihrer Muttersprache und auch Personen, die mit ihnen über die Geschichten sprechen und die Wörter mit Bedeutung füllen. In der Schule und zu Hause.
    Leidenschaft fürs Lesen entfachen
    "Wenn Kinder Lesen lernen sollen, muss man sie inspirieren und dazu bringen, dass sie es lernen möchten. Mit Nal'ibali wollen wir die Leidenschaft fürs Lesen entfachen und mit Geschichten eine Verbindung zwischen Erwachsenen und Kindern schaffen. Und vor allem: die Tradition des Geschichtenerzählens wiederbeleben. Denn viele Eltern in Südafrika können nicht lesen. Aber sie können die Sprache und Vorstellungskraft ihrer Kinder bereichern, in dem sie Geschichten erzählen."
    Vorerst erleben die Kinder das vor allem in den Leseclubs. Carole Bloch hofft, dass bald mehr Eltern ihren Kindern wieder Geschichten erzählen. In den Schulen wünscht sie sich Kinderbücher in afrikanischen Sprachen, Trainings für Lehrer und kleinere Klassen. Dann könnten die Lehrer mit den Kindern Bücher lesen und auch über sie sprechen. Vor allem aber, meint sie, müssten die Muttersprachen der Kinder länger als nur drei Jahre Unterrichtssprachen sein.