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Süßer Impfstoff
Komplexe Zucker schützen vor Pneumokokken

Auf der Basis von Zucker lassen sich Impfstoffe zum Beispiel gegen Pneumokokken herstellen. An diesen Bakterien sterben in Afrika jedes Jahr mehr Kinder als an Malaria und HIV zusammen. Forscher arbeiten daran, diese Impfstoffe auf Basis von Zuckerverbindungen weiter zu verbessern.

Von Arndt Reuning | 05.10.2017
    Ein Löffel mit Haushaltszucker liegt auf einem Tisch.
    Haushaltszucker dürfte in jeder Küche zu finden sein. Die Substanzklasse der Zuckerverbindungen umfasst eine geradezu unüberschaubare Vielfalt von Biomolekülen. (picture alliance / ZB - Jens Kalaene)
    Jede unserer Körperzellen ist von einem süßen Pelz eingehüllt. Zuckermoleküle in Form von langen Ketten oder verzweigten Bäumchen ragen aus der Membran hervor. Bakterien besitzen ebenfalls solche Zuckerhüllen, wenn auch mit einer deutlich anderen Zusammensetzung. Diese Makromoleküle können so als eine Art biologischer Visitenkarte dienen – und damit auch als Bestandteil eines Impfstoffes gegen krank machende Bakterien, erklärt Peter Seeberger vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam.
    "Die Idee des Impfens gegen viele Bakterien beruht darauf, dass auf der Oberfläche dieser Erreger ganz spezielle Zucker sitzen, die sonst nirgends vorkommen. Wenn man also das Immunsystem des Menschen dahingehend anregen kann, diese sehr speziellen Zuckerketten zu erkennen, und dann eine Gegenwehr zu erzeugen, dann hat man einen Impfstoff."
    Es gibt bereits Impfstoffe auf Basis von Zuckerverbindungen
    Hat das Immunsystem erst einmal den süßen Impfstoff kennengelernt, so kann es in Zukunft dem Erreger Saures bieten – mit Antikörpern und Abwehrzellen. Im Fall von Pneumokokken funktioniert das bereits recht gut. Diese Bakterien können gerade bei Kleinkindern und älteren Menschen zum Beispiel Lungen- oder auch Hirnhautentzündungen verursachen. Impfstoffe auf Basis von Zuckerverbindungen stehen hier bereits seit Jahren zur Verfügung, zum Beispiel das Vakzin PCV13.
    "Dieser Impfstoff schützt diese Menschen sehr erfolgreich. Aber das Problem ist, dass es 96 verschiedene Arten von Pneumokokken gibt. Das heißt, im derzeitigen Impfstoff sind 13 dieser Arten abgedeckt. Aber in dem Moment, wo Sie einen Menschen impfen und diese 13 Arten rausfallen, dann kommen eben diese anderen 83 Arten, haben die Möglichkeit, sich einzunisten und den Menschen wieder krank zu machen."
    Und auch gegen manche Arten, die der Impfstoff eigentlich abdeckt, kann seine Wirksamkeit schwanken, so etwa gegen Pneumokokken vom Serotyp 5. Das liege an der Art und Weise, wie die Zuckermoleküle gewonnen würden, sagt der Chemiker.
    "Die Firmen, die diese Impfstoffe herstellen, züchten diese Erreger an, diese Bakterien. Danach werden die, das heißt, geerntet. Und aus diesen geernteten Bakterien wird dann die Zuckerhülle aufgereinigt. Konzeptionell einfach, praktisch aber sehr schwierig. Denn es sind sehr viele Verunreinigungen drin, und eben reine Zucker zu bekommen, ist fast unmöglich."
    Versuche mit menschlichen Patienten im kommenden Jahr
    Im Fall von Serotyp 5 kommt hinzu, dass der natürliche Zucker von der Oberfläche der Pneumokokken chemisch nicht stabil ist. Er verändert sich bei der Verarbeitung und büßt damit einen Teil seines Wiedererkennungswertes für das Immunsystem ein. Der Max-Planck-Forscher nutzt daher eine alternative Quelle für die bakteriellen Zuckerketten: Nicht aus der Natur, sondern künstliche "Nachbauten" aus dem Labor.
    "Wir sagen, wir reinigen nicht auf, sondern wir nehmen die chemische Synthese, um diese Zucker Stück für Stück wie Perlen einer Kette aufzubauen. Das hat sich in den letzten Jahren als sehr schnell erwiesen. Und auch kommerziell tragfähig."
    Denn ein Großteil der Synthese lässt sich automatisieren, ähnlich wie die Herstellung von maßgeschneiderten Proteinen oder DNA-Sequenzen. So präsentiert Peter Seeberger heute im Fachmagazin PNAS einen synthetischen Zucker, der auch gegen Pneumokokken vom Serotyp 5 einen Immunschutz aufbauen und so die Wirksamkeit des etablierten PCV13-Impfstoffes weiter verbessern kann. Ein Ansatz, der sich auch auf andere Serotypen und sogar auf andere bakterielle Krankheitserreger übertragen lässt.
    "Wir haben im Labor im Max-Planck-Institut hervorragende Resultate bekommen mit chemisch hergestellten Zuckern als Impfstoffe. Diese wurden getestet bis zu Versuchstieren und haben diese Versuchstiere vor Infektionen mit Pneumokokken, mit anderen Krankenhauserregern geschützt."
    Eine Ausgründung der Max-Planck-Gesellschaft soll die synthetischen Impfstoffe auf Basis von Zucker nun auf den Markt bringen. Erste Versuche mit menschlichen Patienten sind für das kommende Jahr geplant.