Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Süßer Skandal

Wer eine Münze in den Trevi-Brunnen wirft, wird nach Rom zurückkehren, lautet ein Volksglaube. Zur Beliebtheit des Brunnens hat vor allem ein Film von Federico Fellini beigetragen: La Dolce Vita. Dass seine angeblich frivolen Szenen damals einen Skandal auslösten, ist heute kaum noch nachzuvollziehen.

Von Hartmut Goege | 03.02.2010
    "Ich komme gleich … ich komme zu dir! Sylvia, wer bist du?"

    Eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte. Marcello Mastroianni steigt zu Anita Ekberg, die den amerikanischen Filmstar Sylvia spielt, in den römischen Trevi-Brunnen. Das nasse, schwarze Abendkleid betont die üppige Oberweite der blonden ehemaligen Miss Schweden mehr, als dass es sie verhüllt. Noch bevor "La Dolce Vita" am 3. Februar 1960 in Rom seine Premiere feierte, stand diese für damalige Verhältnisse skandalöse Szene als Foto in sämtlichen internationalen Gazetten. Für den größten Teil der Publicity aber sorgte der Vatikan, wie der Journalist John Francis Lane weiß, der in "La Dolce Vita" eine Nebenrolle spielte:

    "In der Woche, in der Fellinis Film in Italien herauskam, warf ihm die Zeitung des Vatikans Verletzung der vatikanischen Würde vor. Was später dann herauskam - und das war kein Werbegag eines raffinierten Werbestrategen -, war, dass dieser Artikel von jemandem geschrieben wurde, der den Film gar nicht gesehen hatte. Der Artikel ging aber um die ganze Welt und machte letztendlich den Erfolg des Films aus."

    Pfarrer wetterten von ihren Kanzeln gegen den angeblichen Skandalfilm und aufgebrachte Besucher warfen in Mailand Eier und Tomaten auf den Regisseur, der auch noch bespuckt und geohrfeigt wurde. Ein Bild wie geschaffen für den Film selbst, in dem Federico Fellini das dekadente Treiben der Reichen, der Berühmten und der sie verfolgenden Klatschreporter in Rom beobachtet. Einem dieser Fotografen gab Fellini den Namen Paparazzo. Später wurde der zum Synonym für einen ganzen Berufsstand. Fellinis damaliger Regieassistent Gianfranco Mingozzi:

    "Paparazzi waren diese Angriffsfotografen, die über Skandale berichteten oder sie selbst erfanden. Sie zogen durch die Nachtklubs und die Via Veneto und fotografierten die neuesten Flirts der Schauspieler und Schriftsteller. Sie sprachen sich mit zweitrangigen Schauspielerinnen ab und provozierten dann vor der Kamera Schlägereien und Streitereien. Sie waren Fotografen ihrer eigenen Fantasie."

    Auch wenn sich "La Dolce Vita" gerade wegen des skandalträchtigen Rufs zum größten kommerziellen Erfolg seiner Karriere entwickelte und das Publikum in Scharen anlockte, versuchte Fellini gegenzusteuern:

    "Ich begleite meinen Film schon seit Monaten von Land zu Land. Gerade um zu vermeiden, dass dieses Werk wirklich zu einem Monstrum wird, eine Art Dinosaurier. Aber so war er nicht geboren. Ich will, dass dieser Film wieder zurückkehrt zu seiner Geburt und zwar wie ein ganz intimer Dialog zwischen einem Menschen, der eine Art Beichte ablegt, und seinem Publikum."

    Und so funktioniert der Film auch tatsächlich. Marcello Rubini, gespielt von Marcello Mastroianni, führt den Zuschauer episodenhaft durch eine Woche seines Lebens als Klatschreporter, immer auf der Suche nach schlüpfrigen Geschichten auf der Via Veneto. Mal ist er Zeuge des ruhelosen Treibens, mal Mitakteur. Und zum Leidwesen seiner eifersüchtigen Verlobten Emma lernt er auf seinen nächtlichen Streifzügen eine Reihe faszinierender Frauen kennen, etwa die reiche, gelangweilte Witwe Maddalena, die ihn einlädt mit ihr die Nacht zu verbringen.

    "Senorina, sehen Sie bitte nochmal her, Sie sind eben fotogener als ein Filmstar."

    "Jeden Abend dasselbe Theater. Haben Sie noch nicht genug von mir?"

    "Genug jetzt! Bei euch kommt man auf keinen grünen Zweig mehr! Du müsstest dich doch schon dran gewöhnt haben. Die Klatschspalte kann nicht mehr auf dich verzichten."

    "He Marcello, wo fahrt ihr hin? Wo fährst du mit ihr hin?"

    In all diesen Episoden spiegelt sich das sinnentleerte Leben, die vergebliche Suche nach Liebe und die Einsamkeit Marcellos wider, einem müden Helden voller Widersprüche. Und damit auch die ganze Heuchelei der römischen High Society. Marcello ist Beobachter und Alter Ego des Regisseurs. Und der Zuschauer spürt seinen Zynismus und den Ekel gegen das fade "Süße Leben". Drei Monate nach seiner Premiere gewann Fellinis "La Dolce Vita" auf den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme als bester Film und machte darüber hinaus Marcello Mastroianni zum international gefragten Star.