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Süßstoff vom Acker

Agrarwissenschaften. - Süßstoff hält schlank, weil er weniger Kalorien mitbringt, ist aber auch als Produkt aus dem Chemielabor im Verruf. Als Ersatz böte sich die Stevia-Pflanze an, die in Südamerika und Asien seit langem als natürlicher Süßstoff dient. An der Universität Hohenheim hat man nun untersucht, wie die Pflanze auch in Europa angebaut werden könnte. Doch noch ist Stevia in der EU nicht zugelassen. Der Grund: Unbedenklichkeitsprüfungen sind teuer. Bislang wollte aber keine Firma für die natürliche Pflanze, die - anders als Genfood - nicht patentiert und monopolisiert werden kann, das nötige Geld investieren.

    Stevia rebaudiana sieht aus wie Pfefferminze, stammt aus Südamerika und beschäftigt derzeit die EU und dank deren Förderung auch die Agrartechniker der Universität Hohenheim in Stuttgart. Die gemahlenen Blätter der kleinen Sträucher dienen in Südamerika und Asien als natürlicher Süßstoff. "Das Süßungsmittel aus der Steviapflanze hat keine Kalorien", sagt Udo Kienle von der Uni Hohenheim. "Sie brauchen nur verschwindend geringe Mengen, um den gleichen Süßeffekt wie Zucker hervorzurufen. Ein Kilo von dem Süßungsmittel aus der Stevia-Pflanze entspricht 200 Kilogramm Zucker."

    Die Agrartechniker der Universität Hohenheim haben untersucht, ob und wie diese Pflanze in Europa genutzt werden könnte. Kienle: "Der Süßstoff hat eine sehr starke antioxidative Wirkung, das hat einen gesundheitlichen Aspekt. Im Gegensatz zu den chemisch synthetischen Süßstoffen kann er von jedem Verbraucher auch selbst zuhause im Garten erzeugt werden." Doch das ist noch verboten, denn die Pflanze und ihr Süßstoff müssten zuerst eine Zulassungsprüfung der EU bestehen. Einen Versuch dazu hatte die niederländische Universität Leuven bereits gestartet, aber trotz Zulassung in 20 anderen Ländern scheiterte sie damit im Jahr 2000. Zu gesundheitlichen Nebenwirkungen der Stevia-Pflanze fehlten wissenschaftliche Untersuchungen.

    Die Hohenheimer Agrartechniker meinen, dass Stevia zum Beispiel für Tabakanbauer, deren Förderung ausläuft, ein guter Ersatz sein könnte. Allerdings erforderte das ein erneutes Zulassungsverfahren, so Udo Kienle: "Man muss die Unbedenklichkeit beweisen, und zwar für die Form, wie man es dann später auf dem Markt haben möchte. Man kann durchaus schätzen, dass es bis zu fünf Millionen Euro kosten könnte."

    Vor allem muss geklärt werden, ob der Süßstoff Nebenwirkungen hat. Der hohe Stellenwert des Verbraucherschutzes in der EU hat seinerseits also die Nebenwirkung, dass eine andernorts schon lange genutzte Pflanze nur mit großem finanziellen Aufwand auch hier angebaut werden könnte. Für die Industrie ist das bisher nicht lukrativ genug, schätzt Kienle: "Bei natürlichen Produkten gibt es aus der Sicht der Industrie einen gravierenden Mangel: Sie sind nicht monopolisierungsfähig. Sie sind teilweise sehr schwer durch Patente zu schütze, und das ist bei dieser Stevia-Pflanze der Fall. Unsere Idee, diese Geldmittel aufzubringen, ist die Gründung einer Stiftung, um dann eine Musterzulassung bei der EU zu erreichen." Natürlich vorausgesetzt, dass man nicht doch noch unerwünschten Nebenwirkungen entdeckt, die bisherigen Benutzern nicht aufgefallen sind.

    Die EU verweist auf die frühere Entscheidung und auf die nationalen Bewertungsstellen, also das Bundesamt für Risikoforschung, das ein Zulassungsverfahren durchführen müsste. Offen ist, ob der Süßstoff Krebs fördert oder die Fortpflanzung beeinträchtig. Die nötige wissenschaftliche Studie kostet natürlich ebenfalls Geld. Damit zeigt das Beispiel des natürlichen Süßstoffs, dass die eigentlich wünschenswerten hohen Hürden für neue Lebensmittel in bestimmten Fällen - wenn sich damit nicht viel Geld verdienen lässt - natürliche Produkte benachteiligen können.

    [Quelle: Carl-Josef Kutzbach]