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Süßwarenmesse
Zucker, unser klebriger Luxus

Die Süßwarenmesse in Köln hat ihre Pforten geöffnet - und das in einer Epoche, die den Zucker als fragwürdiges Gut ansieht, Stichwort Diabetes, Übergewicht und Co. Gedanken zu einem ambivalenten Verhältnis.

Von Beatrix Novy |
    Zu sehen sind unzählige bunte Fruchtgummis.
    So bunt, so süß: Fruchtgummis im Trolli-Werk Hagenow (picture-alliance / dpa / Jens Büttner)
    In seiner Studie „Liebe Luxus und Kapitalismus“, erschienen 1912, befasste sich der Sozialhistoriker, Ökonom und Philosoph, kurz: der Universalgeist Werner Sombart auch mit der Geschichte der Süßspeise. Hier leitete er zur Abwechslung - anders als Max Weber - den Aufstieg des Kapitalismus aus dem Geist der Verschwendung her, dem seit der Renaissance die einflussreichen Mätressen der großen Herren huldigten.
    Ihre verfeinerten Ansprüche beschleunigten die Warenproduktion, und wenn sich Werner Sombart auch nicht sicher war, welchen Einfluss die Damen auf die Esskultur allgemein hatten, in einem Punkt hatte er keinen Zweifel, und das war „der Zusammenhang zwischen Süßigkeitskonsum und Weiberherrschaft.“ So habe also der Zucker in der frühkapitalistischen Epoche seinen Triumphzug angetreten: als Luxus, ohne den keine adlige Fete sich sehen lassen konnte.
    Süßwarenmesse tut so, als wäre nichts
    Seither wurde das Luxusgut so gründlich demokratisiert, dass es zu einem Problem geworden ist. Übergewicht, Diabetes und die Rolle des Zuckers in einem allgemein beunruhigenden Gesundheitsszenario stehen in den Medien gerade wieder auf der Top-Themenliste. Und trotzdem öffnet die Internationale Süßwaren-Messe in Köln wieder seelenruhig die Tore und tut so, als wäre nichts.
    Sie kann es sich leisten. Seit es ein Ernährungsbewusstsein gibt, hat der Zucker ein Imageproblem; aber dabei ist es geblieben. Auch dieses Jahr kann die Branche froh auf eine 1,4%ige Steigerung des Süßwaren- und Knabberartikel-Konsums in Deutschland zurückblicken, auf über 32 kg Süßes pro Kopf und Jahr. Lutscher, Eis und Schokolade haben schon ganz andere Stürme hitziger ideologischer Gesundheitsdebatten überlebt, erst recht konnten Krise und Unsicherheit sie nicht einschüchtern: im Gegenteil.
    Der Weg ins Schlaraffenland
    Der verlässlichste Trostspender in jedweder Krise ist - da macht die Wissenschaft sogar mit - Schokolade. Die Endorphine, Sie wissen schon. Die Natur selbst ist es, die uns auf Süßes konditioniert: Schon die Muttermilch, hieß es letzthin in einer der zuckerfokussierten Pro- und Contra-Fernsehdebatten, enthält einen beträchtlichen Anteil Milchzucker. Das verweist doch mit dem Zaunpfahl auf die psychoanalytische Konnotation eines berühmten Märchens: wer ins Schlaraffenland will, muss sich erst durch einen Berg aus süßem Brei durchfressen.
    Brei ist heute weniger gefragt, die Berge sind geblieben. Es türmen sich Mäusespeck, Fruchtgummi, Schokobomben, Bonbons, all preisgünstigen zuckrigen Riegel, Plätzchen, Lutscher, die auf jeder Süßwarenmesse ihr krisenfestes Dasein vorführen; während auf der anderen Seite teuerste Edelschokoladen sich weiter vermehren und ausdifferenzieren.
    Die Hardcore-Bitterschokolade samt Chili und Pecannuss ist schon lange aus der Sparte des kulinarischen Abenteuers in die breite Palette des Angebots gerutscht. Das Premiumsegment, es tritt dieses Jahr in Form handgeschöpfter Schokolade mit 23 Karat Goldflocken, essbarem Silber, kandierten Blüten, Nüssen und Gewürzen auf. Da will wohl jemand den Kampf mit der Rohstoffteuerung gleich an allen Fronten aufnehmen.
    „Es ist die Süßwarenindustrie, die mit ihren vielfältigen Produkten zu Genuss und kleinen Glücksmomenten im Alltag beiträgt.“ Sagt die Süßwarenindustrie. Aus dem Widerspruch, dass kleine Glücksmomente eben klein sind, also quantitativ gering, also irgendwie umsatzfeindlich sind, aus diesem Widerspruch kommt auch sie nicht heraus. Süßigkeiten sind eine Himmelsgabe, sie in Maßen statt in Massen zu genießen, steigert sogar den Genuss, kann aber nie das Ziel einer Werbung sein, die sich mit dem Imperativ „Hol dir“ schon an die Kleinsten wendet. Keinesfalls dürfen Süßigkeiten wieder zu dem werden, was zu einem vernünftigen Umgang mit ihnen zwingen würde: Luxus.