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Superkalte Hoffnungsträger der Physik

Am vergangenen Sonntag begann am Berliner Hahn-Meitner-Institut eine Konferenz zur Neutronen-Forschung. Mit besonderer Spannung wurde dabei der Vortrag des Japaners Yasuhiro Masuda erwartet, der ein neues Verfahren zur Herstellung so genannter ''ultrakalter Neutronen'' vorstellen wird. Diese Neutronen mit einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt sind die großen Hoffnungsträger für die physikalische Grundlagenforschung. Denn anhand dieser kalten Teilchen lassen sich, so hoffen die Physiker, einige grundlegende Fragen über die Entstehung der Materie in unserem Universum beantworten.

Sascha Ott |
    Mit den traditionellen japanischen Pantoffeln an den Füßen führt uns Yasuhiro Masuda durch ein Gewirr unterirdischer Gänge. Der Weg zu den Experimentieranlagen am Kernforschungszentrum in Osaka ist mit dicken Betonwänden von der Strahlung des Teilchen-Beschleunigers abgeschirmt.

    Wir gehen jetzt um den Beschleuniger herum. Der Protonenstrahl kommt hier durch dieses Rohr.

    Die Rohrleitung für den Protonenstrahl führt direkt in einen mannshohen Aufbau aus rotem Backstein. Dort trifft der Strahl auf ein Stück Blei, das so genannte Target.

    Mitten zwischen diesen roten Backsteinen sitzt das Target. Der Protonenstrahl trifft das Target und schlägt die Atomkerne in Stücke. Dabei werden Neutronen ausgesendet. Diese schnellen Neutronen bremsen wir ab, indem wir sie kühlen. Erst auf Raumtemperatur, dann zu kalten Neutronen.

    Kalte Neutronen haben eine Temperatur von etwa 20 Kelvin, also minus 253 Grad Celsius. Aber das genügt Yasuhiro Masuda noch nicht. Sein Ziel sind Neutronen mit einer Temperatur nahe am absoluten Nullpunkt. Solche ultrakalten Neutronen sind für viele Experimente der Grundlagenforschung von großer Bedeutung. Die beste Quelle für diese kostbaren Teilchen ist bisher der Forschungsreaktor im französischen Grenoble. Die dort verwendete Methode hat aber einen Nachteil: Es kann immer nur eine sehr geringe Zahl ultrakalter Neutronen gewonnen werden. Am Kernforschungszentrum in Osaka wurde ein neuer Weg eingeschlagen.

    Wir benutzen ein spezielles Kühlsystem. Das ist der entscheidende Unterschied: Unser System ist eine Art Kühlschrank, Grenoble hingegen nicht.

    Masuda tritt nahe an seine Maschine heran und deutet auf einen Silber glänzenden Aluminium-Behälter. Darin geschieht der entscheidende Schritt bei der Herstellung der ultrakalten Neutronen.

    Da hinein kommt superflüssiges Helium. Durch Kollisionen mit den Helium-Atomen werden die Neutronen weiter abgekühlt. Die Temperatur der Neutronen ist dann drei Millikelvin. Sie sind sehr langsam, ihre Geschwindigkeit beträgt nur etwa sechs Meter pro Sekunde, so dass wir sie einfangen können.

    Dass man die ultrakalten Neutronen in einem Behälter fangen kann, aus dem sie dann nicht wieder entwischen, gehört zu den besonderen Eigenschaften dieser Teilchen. Das Ziel ist nun, im Sammelbehälter eine möglichst hohe Neutronendichte zu erreichen. Die japanischen Forscher kommen bisher auf eine Dichte von bis zu 1,4 Neutronen pro Kubikzentimeter. In Grenoble schafft man wesentlich mehr: bis zu zehn Neutronen pro Kubikzentimeter. Dennoch ist die Effizienz seines Verfahrens wesentlich höher, betont Yasuhiro Masuda.

    Im Moment ist unsere Dichte nicht so groß wie in Grenoble. Aber die Energie der Anlage in Grenoble beträgt 60 Megawatt. Unsere Maschine hat derzeit nur 150 Watt. Aber unser Ziel ist es, sie mit 30 Kilowatt zu betreiben.

    Dann könnten in einigen Jahren bis zu 10.000 ultrakalte Neutronen pro Kubikzentimeter hergestellt werden – eine Ausbeute, die mit dem bisherigen Verfahren auch bei höchstem Energieeinsatz aus heutiger Sicht unerreichbar erscheint. Durch Studien an diesen Neutronen sollen dann einige der grundlegendsten Fragen der Physik geklärt werden, zum Beispiel: Wie entstand die Materie im Urknall?

    Warum existieren wir? Warum existiert die Materie? Das verstehen wir nicht. Und wenn wir die Neutronen untersuchen, lernen wir etwas über die Entstehung der Materie im Big Bang.

    Die japanischen Forscher hoffen, dass ihr neues Verfahren in Zukunft die Möglichkeit eröffnet, den Antworten auf diese Fragen ein Stück näher zu kommen.