Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Superleicht, superfest, superteuer

Am Anfang war das Chaos, eine mit Nebel gefüllte, grenzenlose Urzeit. Daraus entstand Gaia, die Erde. Gaia gebar aus sich selbst Uranos, den Himmel. Gaia und Uranos zeugten die Titanen.

Von Frank Grotelüschen | 28.12.2003
    Uranos hasste seine Kinder, die Titanen, und verbannte sie in die tiefsten Tiefen der Unterwelt. Darüber grollte Gaia. Sie riet Kronos, ihrem jüngsten Sohn, seinen Vater im Schlaf zu entmannen. Uranos, in wahnsinnigem Schmerz, verfluchte Kronos: Er solle von seinen Kindern gestürzt werden.

    Kronos, nun über die Welt regierend, heiratete seine Schwester Rhea. Aus Angst vor dem väterlichen Fluch verschlang er seine Kinder, kaum waren sie geboren. Bei Zeus aber, dem jüngsten Sohn, griff Rhea zu einer List. Sie reichte Kronos einen in Windeln gewickelten Stein.

    Zeus ward von der Ziege Amaltheia genährt und aufgezogen. Er befreite seine Geschwister aus dem Bauch des Kronos. Dann holte er aus zum entscheidenden Schlag - dem Kampf der Titanen. Zeus mitsamt den Geschwistern verschanzte sich auf dem Olymp. Kronos und seine Titanen hielten die Stellung des Bergs Othrys. Zehn Jahre tobte die Schlacht, dann waren die Titanen besiegt. Zeus warf sie in den Tartaros, den Ort ewiger Düsternis. Hier sind sie für immer gefangen, die Titanen. Hinter bronzenen Toren versteckt, bewacht von Ungeheuern mit hundert Armen und 50 Köpfen.

    Das Jahr 1795. Der deutsche Chemiker Martin Klaproth untersucht das Mineral Rutil und entdeckt das Oxid eines unbekannten Elements. Der neue Stoff braucht einen Namen. Klaproth findet ihn in der griechischen Mythologie: Titanium, so soll das Element heißen, benannt nach den ersten Kindern der Götter von Himmel und Erde - den Titanen. Heute zählt Titan zu den begehrtesten Werkstoffen überhaupt.
    "
    Es ist sehr fest und leicht, und gleichzeitig auch extrem korrosionsbeständig.

    Es ist halb so schwer wie Stahl. Es kann hohen Temperaturen trotzen. Es ist wirklich ein Traummaterial.

    Titan wird vor allem in zwei Bereichen eingesetzt. Wegen seiner Korrosionsbeständigkeit in der chemischen Industrie, bei der Meerwasserentsalzung und auf Erdölplattformen. Und weil es so leicht und fest ist in der Luft- und Raumfahrt, z.B. in Triebwerken.

    Flugzeugtriebwerke, Weltraumraketen. Spezialanlagen für die Industrie, dazu noch Implantate für die Medizin. Titan, ein absoluter Hightech-Werkstoff.

    Die Titanproduktion wird in Pfund angegeben und nicht in Tonnen. Das allein drückt schon aus, dass wir es mit einem ziemlich kostspieligen Material zu tun haben.

    Jim Williams, Materialforscher an der Ohio State Universität, USA. Um die 13 Euro kostet ein Kilogramm unbearbeitetes Titan. Für die gleiche Menge Edelstahl zahlt man nur zwei Euro. Eigentlich seltsam, der hohe Preis. Denn rar ist Titan nicht gerade, es ist das vierthäufigste Metall der Erdkruste. Jeder Ackerboden enthält immerhin 0,6% Titan.

    Der Hauptgrund warum Titan so teuer ist: Es ist ein ziemlich reaktives Metall. Vor allem verbindet es sich gern mit Sauerstoff. Deshalb findet es sich in der Natur ausschließlich als Oxid. Und um aus dem Titanerz, dem Titanoxid, reines Metall zu gewinnen, braucht es jede Menge Energie.

    Stephen Fox, Forschungschef der Firma Timet, Henderson, US-Bundesstaat Nevada. Ilmenit und Rutil, so heißen die Titanerze. Abgebaut werden sie an den Küsten von Australien, Südafrika oder auch Kasachstan. Riesige Bagger fahren über den Strand und sieben das Erz aus dem Sand.

    Weniger als 10 Prozent des Erzes wird zu Metall verarbeitet. Das meiste wandert in die Farbenindustrie. Sie braucht Titanoxid als Pigment für weiße Farbe. Alles was weiß ist, enthält Titanoxid.

    Das Erz, das später zu Metall werden soll, durchwandert eine ziemlich komplexe Prozedur.

    Die Erze durchlaufen einige Prozesse zur Reinigung und zur Konzentration. Dann behandeln wir sie mit Kohlenstoff und Chlor. Dabei entsteht eine Titan-Chlor-Verbindung. Die lassen wir bei großer Hitze mit flüssigem Magnesium reagieren. Da darf dann keine Luft drankommen, sonst würde das Titan oxidieren. Kroll-Prozess, so nennt sich das Verfahren. Erfunden wurde es bereits Ende der 40er Jahre.

    Das Ergebnis sind Bröckchen aus Metall, durch und durch porös - Titanschwamm, so der Fachbegriff. Mit diesem Schwamm lässt sich aber noch nichts anfangen. Man kann weder Flugzeuge daraus bauen noch künstliche Hüftgelenke. Zuerst muss man den Schwamm umschmelzen zu einem reinen, massiven Metall. Schwammherstellung und Umschmelzen. Das sind die beiden wesentlichen Schritte der Titanproduktion.

    Industriestadt Essen, die Werkshallen der Deutschen Titan, einer Tochter von Thyssen-Krupp. Sie ist die einzige Titanschmelze in der Bundesrepublik. Der Leiter der Forschung und Entwicklung heißt Heinz Sibum. Er führt mich durch die ausgedehnten Hallen, die meisten gebaut in den späten 40er Jahren. Sibum bleibt stehen und zeigt auf Dutzende von blauen Plastikfässern, bis zum Rand voll mit etwas, das aussieht wie graue Schottersteine auf dem Bahndamm.

    Das ist also der Titanschwamm, den wir aus GUS-Staaten bekommen. Hauptsächlich Kasachstan, Russland und der Ukraine. Der hat schon einige Geschichten hinter sich. Irgendwo am Strand hat er gelegen, ist dann durch Hochofenprozesse dazu gebracht worden, dass er jetzt hier als Schwamm vorliegt.

    Jetzt hebe ich eines der vermeintlichen Steinchen hoch und schaue es mir genauer an. Es ist relativ leicht, glänzt matt metallisch und - tatsächlich: Es hat winzige Poren, wie ein Naturschwamm. Wertvoll sieht das Zeug nicht gerade aus. Doch ein Kilogramm kostet immerhin sieben Euro, sagt Heinz Sibum. Ein Fass, so wie es vor uns steht, rund 1700 Euro. Damit der Schwamm zu einem richtigen, kompakten Metall wird, muss er umgeschmolzen werden. Genau das passiert in den Hallen der Deutschen Titan - und zwar mit einigem Aufwand.

    Das Material wird in einer Portion von ungefähr 80kg in einem kleinen Wagen transportiert. Dieser Wagen nimmt dann den weiteren Transport zu unserer nächsten Arbeitsstelle vor. Da gehen wir jetzt hin.

    In der Halle nebenan steht eine Hydraulikpresse, groß wie ein Haus.

    Mit einem Gewicht von 8000 Tonnen presst sie die Schwammstückchen zu Blöcken zusammen, Compacts genannt. Jeder dieser Compacts wiegt 80 Kilogramm. Dann beginnt eine Art 3-D-Puzzle. Mit einem Kran schichten zwei Männer die Compacts auf ein langes Gestell. Möglichst nahtlos sollen sie daliegen. Leichte Hammerschläge schließen die Lücken.

    Ein Einspanngestell, wo diese losen Bausteine zusammengebaut werden zu der großen Elektrode. Das ist einer der wenigen Schritte, wo man sehr viel handwerklich noch zutun muss. Fast alles andere läuft automatisiert.

    Eine ganze Zeit dauert es, dann sind knappe 100 Compacts zu einem Zylinder zusammengelegt. Er hat die Ausmaße eines kräftigen Baumstamms - etwa fünf Meter lang und 7,5 Tonnen schwer. Das soll die Elektrode werden, erläutert Sibum. Bislang wird sie einzig durch das Einspanngestell in Form gehalten. Nun sollen die 100 Klötze, die Compacts, miteinander verschweißt werden.

    Wir nutzen es in einigen der Landeklappen. Die Hydraulikröhren sind aus Titan. Stützen und Träger auch, und auch die Bereiche, wo es Korrosionsgefahr gibt, etwa bei den Toiletten. Sogar die Türstopper bestehen aus Titan. Eigentlich ist Titan über das ganze Flugzeug verteilt.

    Rod Boyer, Ingenieur bei Boeing in Seattle, US-Bundesstaat Washington. Pro Jahr werden auf der Welt 50.000 Tonnen Titan produziert. Die Hälfte davon wandert in den Flugzeugbau.

    Wäre das Titan billiger, dann würden wir bestimmt noch mehr davon in unsere Flugzeuge einbauen.

    Auch das Triebwerk eines Passagierjets besteht zu etwa einem Drittel aus Titan, genauer gesagt aus Titanlegierungen. Denn mischt man dem Titan andere Metalle bei wie Vanadium oder Aluminium, so wird es noch fester oder hitzebeständiger.

    Jeder, der in ein Flugzeug steigt und vorne ins Triebwerk reinguckt, sieht dort die silbernen Schaufeln. Die bestehen alle aus Titanwerkstoffen.

    Dietmar Helm vom Triebwerkhersteller MTU Aero Engines, München.

    Im Triebwerksbau sind es überwiegend Titanlegierungen. Da gibt es unterschiedliche Richtungen: für den Niedrigtemperaturbereich sog. hochfeste Werkstoffe, und für den Hochtemperaturbereich hochwarmfeste Werkstoffe, die sich von den Legierungszusätzen und auch von der Mikrostruktur her unterscheiden.

    Im hinteren Teil des Triebwerks steigen die Temperaturen auf über 500 Grad. Zu heiß für das Titan, und die Ingenieure müssen Nickellegierungen einbauen. Die sind hitzebeständiger, aber fast doppelt so schwer. Also versuchen es Forscher mit einer neuen Variante - einer Speziallegierung aus 50% Titan und 50% Aluminium. Sie soll Temperaturen bis zu 800 Grad trotzen und könnte das schwere Nickel weitgehend aus dem Triebwerk verdrängen.

    Diese Art von Werkstoffen haben aber zum jetzigen Zeitpunkt noch keine technische Reife. Und es ist nicht ganz sicher, ob sie zum Einsatz kommen, weil sie andere Nachteile haben wie relativ hohe Sprödigkeit. Die weiteren Forschungsarbeiten werden zeigen, ob ein Einsatz im Triebwerk möglich ist.

    Und wie viel Gewicht ließe sich durch die neue Legierung einsparen?

    Aufs Gesamttriebwerk bezogen sind das sicherlich nur einige Kilogramm. Aber wenn man weiß, wie ausgereizt jede Komponente in einem Triebwerk ist, dann tun 100 Gramm schon gut.

    Titan hat die beste spezifische Festigkeit von allen Werkstoffen, also das beste Verhältnis Festigkeit zu Gewicht und ist deswegen in Bereichen interessant, in denen man hochfeste Stähle ersetzen kann durch Titan und dadurch rund 40 bis 50 Prozent Gewicht einsparen kann.

    Oliver Schauerte, Ingenieur bei VW in Wolfsburg.

    Besonders attraktive Bauteile wären Achsfederungen, wo Gewichtsreduzierungen um 50% möglich sind. Dann natürlich der Motorbereich, z.B. Ventile oder Pleuel. Die Abgasanlage ist mit Sicherheit ein sehr interessantes, im Auto sehr schweres Bauteil, das man ersetzen kann. Und dann sind es noch eine ganze Reihe Bauteile, die man sich vorstellen kann, wie z.B. Verschraubungen, wie Dekorationselemente.

    Seit längerem schon trimmen Titanventile die Motoren der Formel 1 auf Höchstleistung. Mittlerweile sind auch Seriensportwagen damit ausgerüstet, etwa die von Porsche, Ferrari oder Bugatti.

    In den unteren Preisregionen ist es seit einigen Jahren der Lupo FSI von Volkswagen, der auf der Hinterachse erstmalig Titanachsfedern im Einsatz hat. Und es ist seit letztem Jahr auch auf dem US-Markt die neue Corvette, die eine Titan-Abgasanlage erstmalig in Serie hat.

    Gewichtsersparnis alleine reicht aber nicht, damit sich der Einsatz von Titan rentiert. Es muss noch ein zweiter Nutzen dazukommen. Beim Auspuff ist es die längere Lebensdauer, bei der Achsfeder der höhere Fahrkomfort.

    Am Ende geht's um Regionen je nach Fahrzeug, wo man zwischen fünf und 30 Kilo pro Fahrzeug realisieren könnte.

    In den nächsten Jahren, meint Oliver Schauerte, wird man Titan wohl nur in sehr teuren oder sehr leichten Autos finden. Das Potenzial aber ist beträchtlich.

    Wenn wir in jedem Auto auf der Welt auch nur 1 Kilogramm Titan verbauen würden, dann würde sich die Welttitanproduktion um 50 bis 100% erhöhen. Und wir hoffen, dass wir durch einen steigenden Einsatz von Titanwerkstoffen dazu beitragen können, dass die Titanwerkstoffe billiger werden.

    Erst wenn Titan deutlich billiger wird, dürfte es in der Automobilindustrie eine reelle Chance bekommen - ähnlich wie in anderen Branchen. Billiges Titan nämlich taugt durchaus als Massengut: als Kochtopf im Haushalt, als Gehäuse für Elektronikgeräte, oder auch als Schläger auf dem Golfplatz.

    Bei der Deutschen Titan in Essen sollen die 100 Klötze, die Compacts, nun zu einer Elektrode zusammengeschweißt werden. Das passiert in einem grünen Tank mit kleinen Bullaugen, was ihn ein wenig wie ein U-Boot aussehen lässt.

    Dieser Behälter wird geöffnet. Es wird mehrfach evakuiert, damit aus den Poren des Schwamms die Restgase rauskommen können. Bei Niedrigdruck werden die Bausteine zusammengeschweißt. Das passiert hier durch drei große Plasmaschweißanlagen.

    Aus den Bullaugen scheint grelles Licht. Mit bloßem Auge darf man da nicht reinschauen, warnt Sibum. Um uns eine Sichtblende zu holen, gehen wir nach nebenan in eine kleine Schallschutzhütte. Hier wacht ein Mitarbeiter über das Geschehen.

    Ja klar, ich kontrolliere die Sache. Das Schweißen muss ich hier von Hand regulieren.

    Er zeigt auf Regler, Monitore, Kontrolllämpchen. Seine Hand ruht, wie bei einem Computerspiel, auf einem Joystick.

    Da kann ich rauf und runter mit fahren, links und rechts...

    Das Gestell fährt unter den Schweißköpfen hin und her und wird gedreht wie ein Grillhähnchen.

    Ich schnappe mir eine Sichtblende, schaue durchs Bullauge ins grelle Licht, sehe eine grünliche Flamme - und erkenne Tropfen aus flüssigem Metall, die um die Schweißstelle herumlaufen wie Regen auf der Windschutzscheibe. Sechs Stunden dauert die Prozedur, dann sind die Compacts bei 3000 Grad Celsius zu einer Elektrode verschweißt, einem Baumstamm aus zusammengepresstem Titanschwamm.

    Stunden später ist die Elektrode abgekühlt. Teile der matt-silbrigen Oberfläche sind beim Schweißen angelaufen; sie haben sich mit Sauerstoff verbunden. Ein Arbeiter hat sich einen Borstenschleifer genommen und schleift die schillernden Flecken gründlich ab. Jetzt verlassen wir die Halle. Was folgt, ist der letzte, der entscheidende Arbeitsschritt.

    Das gute Skelett, bei dem wir verschiedenste Metallimplantate montiert haben, heißt Fritz und ist das Prachtstück unserer Ausstellung.

    Markus Bindler von der Firma Centerpulse, Winterthur, Schweiz. Er ist hörbar stolz auf Fritz, das Skelett. Dem Betrachter aber kann Fritz eher Leid tun: die Hüftgelenke sind ersetzt durch Prothesen, ebenso das rechte Knie. Eine Klammer stützt die Lendenwirbel, eine Metallstange hält den Oberschenkelknochen zusammen. Selbst das Gebiss ist nicht verschont: Fritzens Zähne sind nicht echt, sondern bestehen wie die anderen Implantate aus Titan.

    Titan hat einen sehr hohen Korrosionswiderstand und ist hochfest. Es ist daher sehr gut geeignet für Implantate, die sehr hohen mechanischen Belastungen ausgesetzt werden.

    Titan ist von einer dünnen Oxidschicht bedeckt. Sie fungiert als Schutzmantel. Deshalb rostet Titan im Körper nicht und bleibt über Jahre beständig. Und es ist biokompatibel; es ist ungiftig und löst nach heutigem Kenntnisstand weder Allergien aus noch Krebs.

    Für Implantate ist Titan der Werkstoff 1. Wahl.

    Jürgen Breme, Professor für metallische Werkstoffe an der Universität Saarbrücken.

    Dann kommt ein weiterer Vorteil dazu, dass diese Titanoxidschicht, das weiß man erst seit neustem, an der Oberfläche freie OH-Gruppen hat. An diese OH-Gruppen können z.B. Aminosäuren angelagert werden. Die Zellen reagieren damit. Und deshalb verwächst dieses Titan mit der Umgebung, d.h. mit dem Knochen und mit dem Weichgewebe.

    Ein überaus erwünschter Effekt. Durch ihn wird aus dem Fremdkörper der Prothese fast so etwas wie ein Körperteil. Von den bis zu 100.000 Hüftgelenken, die Jahr für Jahr in Deutschland implantiert werden, besteht mittlerweile jedes zweite aus Titan. Doch das Metall hat auch ungünstige Eigenschaften - und zwar in punkto Verschleiß.

    Es kommt zu vermehrtem Abrieb. Deshalb wird bei den heutigen Hüftgelenksimplantaten noch eine Zwischenschicht von einem Polymer eingesetzt. Aber das ist eindeutig der Schwachpunkt.

    Das Polymer, also eine dünne Kunststoffschicht, wird dort eingesetzt, wo im Gelenk die Bewegung stattfindet - wo der Knochen in der Gelenkpfanne reibt. Aus Verschleißgründen würden Experten wie Jürgen Breme gern auf den Kunststoff verzichten - etwa indem sie das Titan mit Diamant beschichten. Eine andere Möglichkeit:

    Es sind auch neu entwickelt worden Titanwerkstoffe, die verstärkende Keramikpartikel enthalten wie z.B. Titanborid. Mit diesen Partikeln schafft man es auch, den Verschleiß praktisch gegen null zu bringen. Da könnte man sich vorstellen, dass man diese Werkstoffe auch direkt gegeneinander laufen lassen kann, ohne diese Zwischenlage aus Kunststoff.

    Auch Zahnärzte wissen das Titan immer mehr zu schätzen. Seit längerem hat es sich als Implantat durchgesetzt, als künstliche Zahnwurzel. Schon werden auch erste Brücken, Kronen und Inlays aus Titanlegierungen angeboten. Das Problem:

    Kronen und Inlays werden mit Präzisions-Gießverfahren hergestellt. Bislang aber ist es schwierig, das Titan ausreichend genau zu gießen und mechanisch zu bearbeiten. Kronen und Inlays aber sollten bis auf einige Mikrometer passgenau sein. Schließlich kann die menschliche Zunge Unterschiede bis auf zehn Mikrometer genau erspüren.

    Mitsuo Niinomi, Professor für medizinische Werkstoffe an der Toyohashi Universität, Japan. Die Experten arbeiten bereits an besseren, an genaueren Verfahren für die Titanbearbeitung. Sollten sie Erfolg haben könnte sich Titan in unseren Mündern einen festen Platz erobern - und zwar aus einem simplen Grund.

    Titan gilt zwar als ein sehr teueres Metall. In der Zahnheilkunde aber hat man es mit Materialien zu tun wie Gold, Silber oder Palladium. Im Vergleich dazu ist Titan geradezu billig.

    Wir gehen jetzt in den Ofenraum. Da sind mehrere Öfen nebeneinander aufgestellt.

    Bei der Deutschen Titan in Essen hat ein Kran die Elektrode in einen der riesigen Öfen gehoben. Dort steht sie nun - oder genauer gesagt: hängt sie, wenige Millimeter über einem Tiegel.

    Zwischen dem Elektrodenboden und dem Tiegelgrund zündet man einen Funken. Und dieser Lichtbogen sorgt dafür, dass dieses Material abgeschmolzen wird. Das ist der Prozess, der in den Elektroöfen stattfindet. Und das Ganze nennt man Lichtbogenverfahren. Und weil das Ganze auch unter Vakuum stattfindet, ist es ein Lichtbogenvakuumofen.

    Jetzt sollten wir uns am Steuerstand erkunden, wie weit der Schmelzprozess stattgefunden hat.

    Der Mitarbeiter am Steuerstand überwacht den Prozess und blickt auf einen Monitor. Das Bild kommt direkt aus dem Ofen - ein helles, nervöses Flackern vom elektrischen Lichtbogen und vom flüssigen Titan. Wie lange dauert die Prozedur?

    Kommt drauf an. Richtet sich nach dem Material. Ich sag mal: sechs Stunden bis zehn Stunden.

    Und was hat er zu tun während seiner Schicht?

    Die Werte verändern, Spannungswerte. Näher heran fahren oder weiter weg, wenn er zuviel taucht. Dass man einen gleichmäßigen Schmelzverlauf hat, einen kontinuierlichen.

    Das ist die Kunst des Anfahrens und auch der Automatik, die das so genau einregeln muss. Wenn das zu eng wird, ist der direkte Kontakt zwischen Schmelze und Elektrode da. Dann haben Sie keinen Funken mehr. Wenn der Abstand zu groß wird, dann erlischt der Funke auch, weil kein Überschlag mehr möglich ist.

    Nun darf ich einen Blick auf den Ofen werfen. Nur: Bloß keinen Kugelschreiber mitnehmen, bittet Heinz Sibum.

    Es gibt Zeiten, da sind die Behälter geöffnet. Sie beugen sich rüber, ein Kugelschreiber fällt unten rein. Der verschwindet im Schmelzbereich. Nur die vordere Spitze, die aus Wolframkarbid sein könnte, wird nicht aufgeschmolzen. Die ist als Teilchen in dem Material drin und könnte nachher bei Titan-Turbinenscheiben als Rissursprung gelten und würde eine Scheibe zum Platzen bringen. Das ist passiert, und das ist auch nachgewiesen, dass aus dem Grund schon mal ein Flugzeugabsturz stattgefunden hat.

    Ich habe keinen Kugelschreiber dabei. Also gehen wir auf eine dicke, massive Betonmauer zu.

    Jetzt öffnen wir eine ziemlich dicke Tür, damit wir in den Ofenraum rein können. Sie sehen jetzt von oben auf das Schmelzaggregat, das zurzeit auch im Betrieb ist. Man sieht das an dem Flackern der Lichtbogenscheiben.

    Der Ofen ist ein blaues Stahlgestell, knapp zehn Meter hoch. Entfernt erinnert er an einen riesigen Korkenzieher, an das Luxusmodell mit Drehgewinde.

    Das, was Sie als Korkenzieher bezeichnen, sorgt dafür, dass die Elektrode, die ja von unten abschmilzt, immer auf der Höhe gehalten wird, wie die Schmelze es verlangt. Die Schmelze wächst von unten natürlich hoch. Man muss sehen, dass man den Abstand beibehält. Das wird über diese Gewindestange erreicht.

    Im Prinzip, sagt Sibum, funktioniert das Ganze wie eine brennende Kerze, die man hartnäckig nach unten hält, und das Wachs tropft in eine Form, wo es dann wieder erstarrt.

    Die Titanschmelze erstarrt im Tiegel zu einem zylinderförmigen Block aus massivem Metall - 2,5 Meter hoch, 1 Meter Durchmesser, 7,5 Tonnen schwer. Ein paar Meter entfernt lagern zwei fertige Blöcke. Sie sind heiß wie eingeschaltete Herdplatten.

    Die sind gerade aus dem Ofen entfernt worden. Das dauert Tage, bis die wieder auf Raumtemperatur abgekühlt sind.

    Und die Zukunft? Sie hängt vor allem davon ab, ob es gelingt, Titan deutlich billiger herzustellen als bislang. Heute läuft die Produktion wie vor 50 Jahren, mit Chlor und Magnesium, bei Hitze und Druck. Doch nun zeichnet sich ein Durchbruch ab.

    Da gibt es eine sehr aufregende Entwicklung. Vor fünf Jahren machten Forscher der Universität Cambridge eine Entdeckung - eine Zufallsentdeckung, muss man sagen. Sie fanden heraus, wie man Titanoxid auf direktem Wege in Titanmetall umwandeln kann: durch einen elektrolytischen Prozess mit elektrischem Strom.

    Malcolm Ward-Close, Chefentwickler der Firma QuinetiQ, Farnborough, England.

    Der neue Prozess ist billig, sauber und schnell. Wir nehmen ein Tauchbad mit geschmolzenem Salz, etwa 1000 Grad heiß. Das klingt viel, ist aber Standard in der Industrie. In dieses Bad werden zwei Elektroden eingetaucht - die Anode aus Kohlenstoff, die Kathode aus Titanoxid. Dann schickt man da einen Strom durch. Dieser Strom bewirkt eine chemische Reaktion, bei der der Sauerstoff aus der Titanoxid-Kathode quasi herausgezogen wird. Übrig bleibt das Metall. Am Ende der Prozedur fahren wir ein Stück reines Titan aus dem Tauchbad.

    Das Titan ist zwar sehr rein, aber porös, und muss noch umgeschmolzen werden. Bislang haben Ward-Close und seine Leute nur Kilogrammmengen hergestellt. Bald sollen es Tonnen sein. Wann dieser Cambridge-Prozess in der Industrie Einzug halten könnte, ist noch nicht zu sagen.

    Das hängt ab vom Geld, das man investiert. Es könnte in fünf Jahren soweit sein, könnte aber auch noch mehr als zehn Jahre dauern. Langfristig aber hat die Methode das Potenzial, den Marktpreis für Titan mindestens zu halbieren.

    In der Werkshallen der Deutschen Titan machen wir uns auf den Rückweg zum Büro. Wir kommen an einem guten Dutzend Titanblöcken vorbei. Jeder von ihnen ist 7,5 Tonnen schwer und 100.000 Euro wert, sagt Heinz Sibum.

    Wenn Sie sich das angucken, ist das schon eine kleine Siedlung, die da an kleinen Häusern liegt.

    Entweder werden die Blöcke so verkauft wie sie sind. Oder sie gehen in die Schmiede und kommen zurück als Stäbe, Quader, Platten oder Folien. Dann werden die Teile noch oberflächenbehandelt - werden abgehobelt, mit Stahlkugeln gestrahlt, poliert und gereinigt. Und manches Teil landet auf der Drehbank. Sie macht die Oberfläche extrem glatt und glänzend.

    Im Prinzip bräuchte man diese glatte Oberfläche nicht. Aber wenn man sie nicht hätte, könnte man sie nicht ausreichend gut Ultraschall prüfen. Der ganze Aufwand wird betrieben, um eine bessere Prüfmöglichkeit zu haben.

    Stichproben, Prüfungen, Kontrollen. Wie ein roter Faden ziehen sie sich durch den gesamten Produktionsprozess. Besonders die Luft- und Raumfahrtindustrie hat höchste Ansprüche an das Material, sagt Sibum. Kein Wunder, schließlich geht es hier um die Sicherheit von Crew und Passagieren.

    Titan - ein Traummaterial, das seinen Preis hat. Bislang ist es vor allem für teure Hochtechnologien interessant: für die Luft- und Raumfahrt, für industrielle Spezialanlagen, für medizinische Implantate. Gern würden es die Ingenieure auch stärker im Alltag einsetzen: im Auto, im Haushalt, in der Unterhaltungselektronik. Daraus aber wird nur was, wenn der Industrie eines gelingt: Titan billiger herzustellen.