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Suppenkueche Inc.

Dies ist ein Erstlingsroman, der nichts mit Berlin zu tun hat, aber sehr viel mit Drogen. Vor allem mit traditionellen Drogen. Die Menge bayerisches Bier und sonstige Alkoholika, Gebratenes, Gekochtes, Gedünstetes, die hier vertilgt wird, geht auf keine Kuhhaut, wie der Bayer zu sagen pflegt. Ein Alptraum für Frauen- und Fitness-Magazine.

Franz Dobler |
    "Tu was du willst, wenn es nur Ekstase erzeugt." Diese Forderung von Henry Miller könnte das Motto des Romans "Suppenkueche Inc." von Thomas Klausmann, Jahrgang 1957, sein. Dessen Romanheld Thomas lässt sich von Millers Poesiealbum-Satz anfeuern. Nachdem er von einer visionären Todeserfahrung geschockt wurde, beschließt er, seine ungeliebte Tätigkeit als Standfotograph beim Film zu beenden. Der Mann Mitte 30 glaubt, genug Zeit verschwendet und seine wahre Berufung ignoriert zu haben. In seiner eigentlichen Heimat, einer ganz altmodischen bayerischen, geradezu religiös verehrten Wirtschaft, hat der leidenschaftliche Koch und Genussmensch eine weitere Vision, diesmal buchstäblich eine Schnapsidee: nach diesem Vorbild will er in den USA eine Wirtschaft eröffnen, mit echt bayerischem Bier und Essen. Die Ekstase in ein unromantisches Land bringen, ist also die Mission des Träumers – und ein Geldgeber und Partner ist schnell gefunden, ein Kiffer mit reichen Eltern. Passender Zielort: Californien, San Francisco.

    Umgeben von Cracksüchtigen, schrillen Homosexuellen und afroamerikanischen, Alkohol bekämpfenden Christen starten die beiden naiven Glücksritter ihren Irrlauf. Wohnung und Unterstützung finden sie bei den dubiosen Betreibern eines kaum bewohnten, schwulen Altersheims mit Beziehungen zur Mafia. Die erträumte Suppenküche Incorporated wird ein Fall für die ganze Altersheim-Familie, die sich aus Moslems persischer Abstammung und irisch-schottischen Katholiken zusammensetzt. Eine skurrile Fress&Trink-Truppe im Kampf gegen immer neue bürokratische Hindernisse, die von den beiden undeutschen, weil dermaßen geschäftsuntüchtigen Bayern ohne diese schlitzohrig-sachkundige Hilfe nicht genommen werden könnten. Ihr Interesse gilt eher den tollen Gelagen, mit denen jeder kleine Fortschritt gefeiert wird. Tatsächlich, irgendwann habe ich das weitergelesen wie einen Kriminalroman: Werden es diese Verrückten schaffen? Auch gegen den hundertfachen Protest aus der Nachbarschaft? Und wie sie´s schaffen. Und schon bald ist ihre Suppenküche sogar ein In-Lokal.

    Der erste Teil des 300-Seiten-Romans beschreibt mit viel Komik die Aufbauarbeit, und im zweiten erleben wir den Romantiker par excellence bei der Arbeit – dem Thomas schmeckt sein Leben schon wieder nicht:

    "Wir bekamen noch bessere Kritiken und waren oft für Tage ausgebucht. Nichts, so schien es, konnte das Erfolgskonzept, die Amerikaner mit zwanzig Sorten deutschem Bier vom Fass und wirklichem Essen abzufüllen, mehr aufhalten. Suppenkueche Inc. wurde ein Money Maker, eine Geldmaschine. Ich mochte aber nicht mehr hingehen. Es war viel zu voll, viel zu laut, viel zu erfolgreich, als dass ich mich dort noch wohl gefühlt hätte."

    Die professionelle Küche ist der Feind des genialen Hobbykochs. Schon bald ist Ich-Erzähler Thomas nur noch mit banalen Vorbereitungen beschäftigt, dann mit nichts weiter als dem täglichen Gang zur Bank. Die Abende verbringt er "auf meinem Platz in der Ecke an der Bar neben meinem geliebten Oskar Maria Graf", dessen Foto dort hängt. Die Liebe seines Lebens, eine geheimnisvolle vampirhafte Frau, verschwindet nach einem exzessiven Wochenende, ohne die Adresse zu hinterlassen. Das treibt ihn vollends aus seinem Lokal. Er pflegt seinen Hang zur Einsamkeit. Wie alle wahren Romantiker ist er Winnetou-Fan, und als er nach Jahren zum ersten Mal eine Indianerkneipe in einem Reservat betritt, ist er "begeistert" und "froh, endlich ein Volk gefunden zu haben, das wie ich alles falsch machte." Er sieht sie als Verbündete, die wie er selbst keinen Platz in der modernen Zivilisation finden können.

    Thomas Klausmanns Roman ist eine Tragikomödie mit stark dokumentarischen und stark romantischen Bezügen. Seitenweise Beschreibungen von Gerichten und Zubereitungen und von San Francisco und seinen Szenen beweisen, dass der Autor seinen Stoff nicht suchen musste, und auch der Klappentext sagt: der Mann war tatsächlich Standfotograph und dann Betreiber eines Lokals in San Francisco. Seine Abenteuer erzählt er durchaus in der Tradition seines geliebten Oskar Maria Graf, mit viel Witz, Detailverliebtheit und Sinn für Dramaturgie. Was die schöne Geschichte für meinen Geschmack etwas zu sehr belastet, ist das Romantische. Die Zitate von Liedern aus der Romantik, von Robert Walser, Henry Miller, Cyrano de Bergerac oder was immer, auch die Verwendung von "unendlich" ("unendlich traurig/unendlich zärtlich/unendlich köstlich" usw) – damit wurde zu viel gewürzt.

    Zwei Tage vor Thomas´ Abreise in die alte Heimat betritt der, schon vom Tod gezeichnete, Dramatiker Heiner Müller das Wirtshaus. "Als ich ihn erkannte, sagte ich ihm, dass ich seine Gesammelten Irrtümer schon seit Jahren mit mir herumschleppe. Er erwiderte nur, dass er dies schon sein ganzes Leben lang täte." Mit einem weit verbreiteten Irrtum räumt der Roman auf: dass Essen und Trinken Leib und Seele zusammen hält.