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Sure 13 Vers 19
Glaube und Verstand im Koran

Der Koran ruft die Gläubigen in manchen Versen aktiv dazu auf, ihren Verstand zu benutzen. Das ist insofern interessant, als dass insbesondere konservativere Strömungen seit Jahrhunderten den menschlichen Verstand aus religiösen Angelegenheiten am liebsten verbannen würden - um nur auf den Wortlaut des Korans und die Überlieferungen Mohammeds zu setzen.

Von Prof. Dr. Sebastian Günther, Universität Göttingen |
    "Ist denn etwa einer, der erkennt, dass die von Deinem Herrn herabgesandte Offenbarung die Wahrheit ist, gleich einem, der blind ist? – (Doch) Nur diejenigen, die Verstand haben, lassen sich mahnen."
    Dieser Vers findet sich in Sure beziehungsweise Kapitel 13 des Korans. Die Sure trägt den Titel "Der Donner": bezogen auf eine in diesem Textabschnitt enthaltene Aussage, dass selbst Naturgewalten – wie Donner, Blitz und Regen – Gott preisen. Die Bekräftigung von Gottes Allmacht ist daher ein Hauptthema dieser Sure.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Ein zweiter Grundgedanke betrifft den prophetischen Anspruch Mohammeds. Es wird deutlich, dass Mohammed – der Prophet des Islams – zwar keine Wunder auf Verlangen vollbringen kann – wie dies einige frühere Propheten von sich behaupteten. Vielmehr wird Mohammed einmal mehr als der Prophet beschrieben, der ein "Wunder" ganz besonderer, das heißt göttlicher Art vollbringt, indem er der Menschheit das nach islamischem Verständnis "letzte und unverfälschte Gotteswort" überbringt: den Koran.
    Vers 19 der Sure 13 ist eingebettet in eindrucksvolle sprachliche Bilder zum Wirken Gottes in der Natur und im Universum. Gepriesen werden das Wachstum der Pflanzen und die Früchte des Feldes ebenso wie die Bewegungen der Gestirne und die Abfolge von Tag und Nacht, die Gott in den Dienst der Menschen stellte und die deutliche Zeichen seiner Macht sind.
    Sebastian Günther
    Prof. Sebastian Günther lehrt an der Uni Göttingen. (priv.)
    In diesem Kontext erfolgt dann der Aufruf, die Menschen sollten ihren Verstand benutzen, um Gottes Schöpfung wertzuschätzen und seine Botschaft zu begreifen: Die Menschen sollten doch erkennen, dass der Koran denjenigen, die den Islam annehmen, menschliche Erfüllung im Diesseits und ewiges Heil im Jenseits verheiße. Die Ungläubigen hingegen hätten nichts als die Strafen der Hölle zu erwarten.
    Dieser Mahnruf wird in diesem Vers der Sure 13 – wie auch an anderen Stellen im Koran – als rhetorische Frage formuliert: "Sind denn etwa jene Menschen, welche die Wahrheit der koranischen Offenbarung anerkennen und an Gott glauben, jenen gleich, die blind gegenüber seiner Schöpfung und ungläubig sind?" Die Antwort folgt umgehend: Nein, "nur diejenigen, die Verstand haben, lassen sich mahnen!"
    Der Kerngedanke, dass – neben der spirituellen Gotteserfahrung – der Verstand zum Erwerb religiöser Bildung unbedingt erforderlich ist, ist auch in Sure 59 Vers 2 evident. Hier heißt es: "Denkt nach, die ihr Einsicht habt!" Das ist übrigens ein koranischer Aufruf, der den mittelalterlichen muslimischen Theologen und Philosophen besonders nachdrückliche Denkanstöße gab.
    Unter anderem war es Ibn Ruschd – oder Averroes, wie der spanisch-arabische Philosoph des 12. Jahrhunderts in Europa heißt – der diese Betonung des rationalen Lernens im Koran als wichtige Grundlage für sein Verständnis von Religion und Philosophie erachtete: Denn Ibn Ruschd stellte prominent fest, dass im Islam das göttliche Gesetz "zum Studium der existenten Dinge mit Hilfe der Vernunft" nicht nur auffordere, sondern dass es das rationale Denken und die wissenschaftliche Erforschung der Welt ausdrücklich schütze.
    Die Bedeutung, die im Koran dem Verstand und der rationalen Erkenntnis zugemessen wird, war für muslimische Gelehrte in der Blütezeit des Islams, also vom 9. bis 13. Jahrhundert, intellektueller Anstoß und religiöse Verpflichtung zugleich. So ermöglichte die hohe koranische Wertschätzung des Intellekts, dass Gelehrte im Einflussbereich des Islams ihren Forschungen relativ frei von religiösen Restriktionen nachgehen konnten.
    Davon zeugen bis heute ihre beachtlichen Leistungen in den Geistes- und Naturwissenschaften sowie in den Bereichen der Medizin und der Technik – Errungenschaften, die nicht nur im Orient, sondern auch in Europa den wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklungen ganz entscheidende Impulse verliehen.