Montag, 29. April 2024

Archiv

Sure 16 Vers 126
Bestrafung vs. Vergebung

Insbesondere der Koran steht bei manchen Menschen in dem Ruf, von Gläubigen Härte zu verlangen. Und tatsächlich gibt es diese Verse, die auf Strenge dringen. Aber es gibt eben auch Verse, die der Sanftmut das Wort reden. Wie können Gläubige damit umgehen? Wann handeln sie gerecht?

Von Dr. Mahmoud Abdallah, Universität Tübingen | 10.03.2017
    "Und wenn ihr bestraft, so bestraft im gleichen Maß, wie euch Unrecht zugefügt wurde. Wenn ihr aber geduldig seid, so ist das wahrlich besser für die Geduldigen."
    Dieser Vers thematisiert zwei Aspekte, die ein friedliches Zusammenleben unter den Menschen garantieren sollen. Der erste Versteil spricht von Gerechtigkeit, eine wichtige Voraussetzung für das Besehen einer Gesellschaft. Das Versende aber überrascht mit der Information, dass Gerechtigkeit eigentlich keine Stärke sei, da starke beziehungsweise standhafte Menschen eher dem Schuldigen vergäben und verziehen.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Der Anlass für die Offenbarung, über den sich die Exegeten allerdings nicht einig sind, eröffnet eine weitere Dimension. Es wird überliefert, dass es hier um die Muslime nach der Niederlage in der berühmten Schlacht von ͗Uhud 625 nach Christus geht. Dort waren der Onkel des Propheten und viele weitere Muslime getötet und ihre Leichname geschändet worden.
    Vor lauter Trauer und Wut schworen die Muslime dem Feind Rache im Übermaß. Das ist nun ein Gedanke, den der Koran ablehnt. Deshalb erinnert der Vers an die Gerechtigkeit – selbst im Kriegszustand.
    Mahmoud Abdallah mit einer aufgeschlagenen Koran-Übersetzung in der Hand vor einem Bücherregal mit arabischen Büchern.
    Dr. Mahmoud Abdallah lehrt am Zentrum für Islamische Theologie der Universität Tübingen. (priv. )
    Mit Bestrafung - arabisch: "'uqûba" - und Vergebung - arabisch: " ͑ afû" - thematisiert der Vers einige Hauptaspekte im Verhältnis der Menschen zueinander.
    Das Wort "'afû" leitet sich vom Verb "'afâ" ab und bedeutet, einen Fehler vergeben beziehungsweise wegradieren, ausblenden. Das Verb wird zum Beispiel in dem arabischen Ausspruch: "Der Wind verweht die Spuren" benutzt und meint, dass sie nicht mehr erkennbar sind.
    Das Wort "'afû" kann aber auch für ein Terrain stehen, welches noch nie betreten wurde, also noch unberührt und "unschuldig" ist. Eine weitere Meinung besagt, "'afû" bedeute, dass das Opfer dem Täter von sich aus Vergebung anbietet, ohne zu erwarten, dass der Täter darum bittet.
    Der tunesische Islamgelehrte Ibn 'Âschûr vertrat im 20. Jahrhundert die Meinung, dass dieser Vers im Zusammenhang mit dem vorangehenden zu verstehen ist. Dieser besagt: "Ruf zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung, und streite mit ihnen in bester Weise."
    Ibn 'Âschûr zufolge bietet diese Koranpassage eine Erläuterung für einen (pragmatisch abgestuften) Umgang mit anderen Menschen an. Demnach kann man Menschen in drei Gruppen unterteilen: Zunächst in jene, die man zum Islam rufen möchte. Für sie gelten Weisheit und schöne Ermahnung.
    Was mit Weisheit gemeint ist, wird nicht explizit erläutert. Eine rationale, reflektierende Methode wird aber auch nicht ausgeschlossen.
    Dann gibt es die Gruppe der Menschen, die sich in Diskussionen mit Muslimen befinden. Dieser Austausch soll in bester Art und Weise geführt werden.
    Die dritte Gruppe umfasst diejenigen, die feindselig sind und Straftaten begehen. Für diese soll die Gerechtigkeit nach dem Prinzip "Auge um Auge und Zahn um Zahn" gelten.
    Obwohl Gerechtigkeit für das Aufrechterhalten jeder Gesellschaft entscheidend ist, betont der Vers Vergebung und Verzeihung. Das gilt vor allem, wenn es sich um eine persönliche Angelegenheit handelt.
    Mit Vergebung kommt der Mensch nicht nur Gott näher, wie das Versende sagt, sondern auch den Mitmenschen. Sure 41:34 besagt: "Nicht gleich sind die gute Tat und die schlechte Tat. Wehre mit einer Tat, die besser ist, (die schlechte) ab, dann wird derjenige, zwischen dem und dir Feindschaft besteht, so, als wäre er ein warmherziger Freund."
    Vers 16:126 widerlegt mithin die weitverbreitete Vorstellung, dass im Islam die Strafe im Vordergrund stehe. Er betont ganz im Gegenteil Vergebung und Verzeihung. Er ist ein Aufruf zur Milde – selbst bei Kritik.