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Sure 2 Vers 186
Warum Koranverse im historischen Kontext zu lesen sind

Die Sprache des Koran mag für Nicht-Korankundige fremd wirken und deplatziert, ähnlich wie Passagen in der Bibel. Die Offenbarungen Gottes an den Propheten Mohammed sind daher immer in einen historischen Kontext zu setzen. Eine Praxis, die von Islamwissenschaftlern seit dem Jahr 850 angewandt wird.

Von Dr. Tuba Isik, Universität Paderborn | 20.03.2015
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    "Und wenn dich meine Diener nach mir fragen, siehe, ich bin nahe; ich will antworten dem Ruf des Rufenden, so er mich ruft. Doch sollen sie auch auf mich hören und sollen an mich glauben; vielleicht wandeln sie recht."
    Der Koran ist eine göttliche Rede und eine direkte Ansprache an den Propheten Muhammed. Und als Offenbarungsempfänger ist Muhammed das Sprachrohr Gottes. Der Koran stellt folglich keinen göttlichen Monolog dar. Vielmehr spricht Gott in einen ganz bestimmten Raum und in einer ganz bestimmten Weise zu seinem Gesandten und dessen Umfeld.
    Die Sendereihe "Koran erklärt" als Multimediapräsentation
    Bei jeder Koran-Lektüre ist daher zu fragen, was zum Zeitpunkt einer Offenbarung um Muhammed herum geschah, was Gott Muhammed und dessen Zuhörern sagen wollte. Kurz gesagt: Es gibt konkrete Anlässe für Offenbarungen und diesen Anlässen muss man zum Verständnis vieler Koranverse nachspüren.
    Die historische Kontextualisierung ist in der islamischen Wissenschaftstradition seit dem Jahr 850 eine etablierte und bis heute übliche Praxis bei der Auslegung des Koran. So ist auch der eingangs zitiert Vers erst einmal historisch zu kontextualisieren.
    Dr. Tuba Isik, Universität Paderborn in einem Hörfunkstudio des Deutschlandradio
    Dr. Tuba Isik, Universität Paderborn (Deutschlandradio/Bettina Fürst-Fastré)
    Aus den Biografien des Propheten beispielsweise wissen wir, dass er die Antwort auf die Frage eines Beduinen ist. Dieser Mann kam zu Muhammed und fragte ihn: "Ist der Herr uns nah oder fern? Wenn er uns fern ist, so sollten wir ihn schreiend anrufen, doch wenn er uns nah ist, sollten wir ihn flüsternd anrufen."
    Auf diese Frage hin bekam Muhammed den Vers offenbart. Gott macht darin einerseits deutlich, dass er dem Menschen immer nahe ist. Vers 16 der Sure 50 präzisiert diese Nähe mit einem Bild. Dort sagt Gott: "Wir erschufen den Menschen, und wir wissen, was ihm seine Seele einflüstert, denn wir sind ihm näher als die Halsader."
    Das Nahesein, um das es hier geht, ist nicht im Sinne einer konkreten Entfernung oder eines konkreten Ortes zu verstehen. Vielmehr ist mit Nahesein gemeint, dass Gott die Sorgen und Bedürfnisse seiner Geschöpfe kennt. Da Gott außerhalb von Raum und Zeit ewig und allgegenwärtig ist, reichen die menschlichen Kategorien von Nähe und Entfernung nicht aus, um das Gemeinte zu beschreiben.
    "Ich will antworten dem Ruf des Rufenden, so er mich ruft", heißt es in dem Koranvers. Der Gläubige soll seinen Herrn anbeten, egal ob durch Herz oder Geist, ob gemurmelt oder weinend ausgerufen. Gott möchte, dass der Mensch ausspricht, was er ihn umtreibt. Er initiiert dadurch sozusagen einen selbstreflexiven Prozess. Das aktive Aussprechen führt dazu, dass man seine Gedanken besser sammeln, zuordnen, ja sie sich besser bewusst machen kann.
    Gott verspricht, dass er den Ruf, das Gebet und die Bitte des Gläubigen hört. Diese Zusicherung beschreibt die unmittelbare Beziehung zwischen Gott und Mensch. Es bedarf im Islam keiner Mittlerpersonen, nicht der Fürsprache eines Propheten oder Heiligen. Niemand muss die Bitte eines anderen an Gott herantragen oder sich bei ihm für einen Gläubigen einsetzen. Nein. Gott sagt dem Menschen: Wende dich unmittelbar an mich – ich werde dich hören.