"Und die Dichter - die Irrenden folgen ihnen. Hast du nicht gesehen, wie sie verwirrt in jedem Wadi umherwandern, und dass sie sagen, was sie nicht tun?"
Trotz aller Forderungen orthodoxer Gelehrsamkeit, muslimischer wie nicht-muslimischer, gelten weite Teile des Korans als Dichtung. Einige davon sind es nach formalen Kriterien auch. Dass Muslime dies beharrlich ablehnen, hat weniger mit der Dichtung an sich zu tun, sondern mehr mit den Dichtern.
In Mekka gab es sogar einen Tempel, eine Art Kapelle für die Dschinnen. Auch war der Name Abd al-Dschinn damals unter den Arabern nicht unbekannt. Er bedeutet, Diener der Dschinnen und erinnert an den heute verbreiteten Namen Abdullah, was Diener Gottes heißt. Ferner kannten die Araber eine Örtlichkeit namens 'Abqar. Man hielt sie für den Wohnsitz der Dschinn. Von diesem Wort ist der arabische Begriff abqarî abgeleitet - zu deutsch: Genie.

Während der ersten Jahre der Prophetenschaft Mohammeds in Mekka gab es Spannungen zwischen ihm und einigen mekkanischen Dichtern. Diese schrieben und verbreiteten Spottgedichte auf ihn und den neuen Glauben.
Diese Spannungen gipfelten in den eingangs zitierten drei Koranversen. Die Dichter und jene, die ihnen anhängen, werden darin verdammt. Indem er die Dichter verketzert, profiliert sich Mohammed als Prophet. Seine Offenbarung kommen von Gott, die Inspiration der Dicht von Dämonen.
Trotz dieser Verurteilung von Dichtern und ihren Werken, wandten sich die Araber und die Muslime von der Dichtung niemals ab. Im Gegenteil. Die Dichtung blieb die wichtigste Ausdrucksform der arabischen und muslimischen Zivilisation.
Wie lässt sich dieser Widerspruch zwischen der koranischen Verdammnis von Dichtung und ihrer allgemeinen Beliebtheit in allen Schichten der arabischen Gesellschaft nun auflösen? Und vor allem wie ist es zu verstehen, dass sich Mohammed sogar selbst mit Dichtern umgab. Der wichtigste unter ihnen war Hassân Ibn Thâbit. Vor allem ihn benutzte der Prophet, um die neue Religion zu verteidigen und seine Gegenspieler anzugreifen.
Muslimische Gelehrte sind sich uneinig über die genaue Interpretation der hier thematisierten Verse. Einige suchten nach einem Kompromiss, indem sie erklärten, nicht alle Genres der Dichtung seien verdammt. Verdammt seien nur solche, die einen davon ablenkten, ein guter Muslim zu sein - zum Beispiel Rachedichtung oder erotische Kunstformen.
Andere Gelehrte vertraten die Auffassung, die Verurteilung in diesen drei Versen ziele nur auf jene Dichter in Mekka ab, die Mohammed und seinen Gefährten feindlich gesinnt gewesen seien. Außerdem meinten sie, der nachfolgende Vers 227, der wesentlich später offenbart wurde, habe das Verbot von Dichtung aufgehoben, indem er jenen die Erlaubnis zum Dichten erteilt, die "glauben und gute Werke tun und Gottes oft gedenken und die sich nur verteidigen, nachdem ihnen Unrecht widerfuhr."
Um den Koran, als Wort Gottes, sicher von jeglicher Form der literarischen Produktion des Menschen zu trennen, stellten muslimische Gelehrte eine dritte Kategorie von Textsorten auf: Neben Dichtung und Prosa erklärten sie den Koran zu einem eigenständigen literarischen Genre. Der Koran ist demnach weder Dichtung noch Prosa und besteht aus einer einzigartigen sowie unnachahmlichen literarischen Offenbarung Gottes, zu der weder Dämonen noch Musen Dichter inspirieren konnten.
Bei der Audioversion handelt es sich um eine aus Gründen der Sendezeit leicht gekürzte Fassung dieses Textes.