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Sure 5 Vers 60
Antisemitismus? Warum Sünder zu Affen und Schweinen werden

Im Koran wird ein Fluch erwähnt, der aus Sündern Affen, Schweine und Götzendiener werden lässt. Viele beziehen ihn speziell auf Juden, weswegen im Kontext des Antisemitismus immer wieder darauf verwiesen wird.

Von Dr. Holger Zellentin, University of Cambridge, Großbritannien | 29.09.2017
    "Sag: ‚Soll ich euch von etwas Schlimmerem prophezeien, von Gottes Vergeltung? Von dem, den Gott verflucht hat, und auf den er zornig ist; und aus ihnen hat er Affen und Schweine und Götzendiener gemacht. Die sind schlimmer dran und weiter vom rechten Weg abgeirrt.’"
    In diesem Vers wird der Prophet angewiesen, den Leuten des Buches, das heißt den Juden und den Christen unter seinen Zuhörern, eine schlimme Strafe anzudrohen. Wer Gottes Fluch verdient, werde zu Affen, Schweinen und Götzendienern gemacht.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Den Fluch Gottes verdient man, so lernen wir im Folgenden, indem man seinen Glauben an die Offenbarung des Propheten nur heuchelt oder indem man besonders schwer sündigt - zum Beispiel durch die Veruntreuung von Gemeindefinanzen.
    Die dann folgenden Verse verdammen jüdische Sünder und deren Gemeindeleiter. Wie auch die hebräische Bibel - der Tanach - oder das Neue Testament spart der Koran nicht damit, schwere Vorwürfe an die Juden zu richten und dabei Sprachbilder zu verwenden, die in unserer Zeit so schwer erträglich wie schwer verständlich geworden sind.
    Holger Zellentin im Porträt
    Dr. Holger Zellentin (priv.)
    Freilich sind die in dem Vers gemachten Vorwürfe klar auf den historischen Kontext Mohammeds bezogen. Diese geschichtliche Kontextualisierung erklärt nicht nur die Schärfe des hier vermittelten Anti-Judaismus, sondern auch dessen Bildsprache.
    Schon im Mathäus-Evangelium im 1. Jahrhundert und in der für den Koran besonders relevanten Strömung der spätantiken christlichen Tradition, werden Schweine mit Dämonen und Götzendienst assoziiert. Selbiges tut nun der Koran zur Wende des 7. Jahrhunderts, wenn er androht, die Heuchler zu "Affen, Schweinen und Götzendienern" zu machen.
    Schweine sind hier unreine Tiere. Dämonen und Götzen sind unreine Wesen. Die Grenze zwischen mangelnder Hygiene, kultischer Unreinheit und der Beschmutzung durch Götzendienst sind in dieser Tradition zumindest auf der symbolischen Ebene sehr durchlässig.
    Der Gedanke, Sünder zu Affen zu machen, findet sich auch anderswo im Koran (Sure 7 Vers 166). Zugleich findet sich ein Widerklang in der rabbinischen Tradition.
    Im Babylonischen Talmud, der Sammlung jüdischer Gesetze und Überlieferungen, werden die Frevler damit bestraft, in Affen oder Dämonen verwandelt zu werden. Ein palästinischer Midrasch, also ein jüdischer Exegesetext, weist sogar darauf hin, die gesamte Menschheit sei erst durch Sünde so verändert worden, dass unsere Gesichter denen der Affen ähneln, und erst unser Götzendienst habe uns für Dämonen verwundbar gemacht.
    Der Koran dreht diese Überlieferungen zweimal um. Zum einen verwandelt er den Götzendienst, der im Rabbinischen die Straftat darstellt, in eine Strafe: die Sünder werden zu "Affen, Schweinen, und Götzendienern" gemacht. Zum anderen wendet der Koran die Polemik, die sich im Rabbinischen auf die Sünder der Vergangenheit bezieht, auf Juden seiner Gegenwart an.
    Sure 5 Vers 60 droht also jüdischen Heuchlern und Verschwendern aus der Zeit Mohammeds dasselbe Schicksal an, das schon vormals Sünder getroffen hatte.
    Diese spezifische Drohung belegt, dass sich der Vers nicht auf Juden generell bezieht. Er ist allein an die Sünder unter den Juden gerichtet.
    Zudem wird deutlich, dass der Anti-Judaismus des Korans keinesfalls virulenter ist als der der Christen, oder als die rigorose Selbstkritik, die wir selbst in der jüdischen Tradition finden. Vielmehr verwendet der Koran jüdische Bilder gegen einige jüdische Sünder und überträgt das abrahamitische Erbe auf die besonderen Umstände in Arabien zu Lebzeiten Mohammeds.
    Bei der Audioversion handelt es sich um eine aus Gründen der Sendezeit leicht gekürzte Fassung dieses Textes.