Donnerstag, 28. März 2024

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Sure 50 Vers 6
Der Koran als Motor der Wissenschaft

Die islamische Welt war einst eine fortschrittliche Weltregion - nicht trotz des Korans, sondern wegen ihm: Forschungen zufolge wurde das Heilige Buch der Muslime damals nicht nur genutzt, um Naturwissenschaften zu rechtfertigen, sondern auch um diese anzustoßen.

Von Prof. Dr. George Saliba, Columbia University, New York | 31.08.2018
    "Schauten sie denn nicht zum Himmel, der über ihnen ist, empor, wie wir ihn erbauten und verzierten, so dass er keine Spalten hat?"
    Von den vielen Versen im Koran, die unmittelbar wissenschaftliche Betätigungen anstoßen, ist dies der auffälligste. Er schilt die Ungläubigen, um sie letztlich dazu zu drängen, ihre Umgebung zu beobachten, damit sie zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die ganze Schöpfung nicht umsonst war (siehe auch Sure 3 Vers 191).
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Verse wie dieser enthalten folgende Annahme: Man kann sich das Wissen des Schöpfers aneignen, indem man sein Tun in der Schöpfung beobachtet. Der perfekte Himmel und die Zierde aus Sternen und Planeten sind nichts anderes als Aushängeschilder für sein Handwerk. Sie sind immer da und für jeden sichtbar.
    Astronome wie al-Schîrâzî im 13. Jahrhundert und Khafrî im 16. Jahrhundert verwendeten Sure 50 Vers 6 auf jeweils eigene Weise, um ihre Hingabe ans Studium der Astronomie zu rechtfertigen. al-Schîrâzî dankte dem Herrn, der Himmel und Sterne so äußerst genau geschaffen habe, dass ihr Anblick dazu inspiriere, über die Vollkommenheit des Machers nachzudenken. Khafrî betrachtete das Studium der Astronomie sogar als Antwort auf Gottes Drängen in dem Vers.
    Porträt von George Saliba
    George Saliba lehrt an der renommierten Columbia University in New York Islamische Naturwissenschaften. (priv.)
    Der Gelehrte al-Qazwînî ist im 13. Jahrhundert Autor des Buchs "Wunder der Schöpfung". Er führt aus, das Wort "schauen" bedeute hier nicht, dass man seine Augen bloß gen Himmel richten solle, um ihn abzusuchen und seine Bläue zu bemerken. Das könnten selbst einfältige Tiere. Es bedeute vielmehr, über die Weisheit hinter der Schöpfung nachzudenken und angemessene Lehren daraus zu ziehen - als da wäre die Existenz des Schöpfers.
    Der Gelehrte al-Battânî aus dem 10. Jahrhundert ist Autor eines berühmten astronomischen Handbuchs: al-Zîdsch al-Sâbî’. Kopernikus kannte ihn im 16. Jahrhundert unter dem latinisierten Namen Albategnius oder unter Machometus Aratensis - der lateinischen Form seines Vornamens Muhammad kombiniert mit dem lateinischen Namen der nordsyrischen Stadt ar-Raqqa, wo er gewirkt hatte. Laut al-Battânî begreift Gott alle Dinge (Sure 65:12) und zieht alle Dinge in Betracht (72:28). Nicht das kleinste Atom auf der Welt entgeht ihm; alles ist in einer deutlichen Schrift verzeichnet (34:3).
    al-Battânî fährt fort und erklärt, die edelste Wissenschaft nach der religiösen sei die von den Sternen. Sie liefere Nutzen sowohl hinsichtlich des Wissens über Jahre, Monate und Ritualzeiten als auch über die Länge der Tage und Nächte, über die Position der beiden hellsten Sterne Sonne und Mond sowie die verschiedenen Planetenbewegungen. All das, so al-Battânî, führe hin zu einer tiefen Betrachtung der Einheit des Schöpfers, des Wesens seiner Herrlichkeit, seiner Weisheit und seiner enormen Kraft sowie der Vorzüglichkeit seiner Handwerkskunst.
    al-Battânî belegt seine Aussagen mit drei Koranversen: Sure 3 Vers 190: "In der Erschaffung der Himmel und der Erde und im Wechsel von Tag und Nacht sind Zeichen für diejenigen, die Verstand haben", Sure 10 Vers 5: "Er ist es, der die Sonne zur Helligkeit (am Tag) und den Mond zu Licht (bei Nacht) gemacht hat; ihm hat er Stationen bestimmt, damit ihr die Zahl der Jahre und das Errechnen (der Zeit) kennenlernt." Und Sure 55 Vers 5: "Die Sonne und der Mond folgen ihrem exakt berechneten Kurs."
    Die unmittelbare Bedeutung solcher Verse, die Menschen dazu drängen, das Buch der Natur zu betrachten (wie Galileo es ausgedrückt hätte), bestand darin, fast jede Art von Wissenschaft damit zu begründen, dass es darum gehe, besser über Gott Bescheid zu wissen.
    So kann man diese Verse als Triebfeder für empirische, wissenschaftliche Tätigkeiten verstehen - neu definiert als religiöses Handeln.