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Suren und Paragraphen

Wir treffen uns in einem Restaurant in BerliDer Deutsche Fazli Altin hat Arabisch erst für sein Studium der islamischen Theologie gelernt: Parallel zu seinem Jurastudium an der Freien Universität Berlin hat er in Chateau Chinos in Frankreich ein Fernstudium zum Islam absolviert. Der Vorbeter in einer Berliner Moschee ist überzeugt, die Friedensbotschaft des Islam richtig verstanden zu haben - und will sie weitergeben.

Von Gerald Beyrodt |
    n-Kreuzberg. Fazli Altin bestellt auf Arabisch Tee. Die Sprache hat der Deutsche mit türkischen Eltern erst für sein Studium der islamischen Theologie gelernt: Parallel zu seinem Jurastudium an der Freien Universität Berlin hat er in Chateau Chinos in Frankreich ein Fernstudium zum Islam absolviert.
    Also ich hab ja türkische Eltern, die vor vierzig Jahren nach Deutschland gekommen sind, also ich hab islamische Wurzeln, und ich hab mich einfach für meine Wurzeln interessiert.

    Neben dem Koran, dem Leben des Propheten und den Glaubensgrundlagen lernte Altin auch Regeln für den Alltag kennen:

    Der Islam regelt jeden Teil des Lebens, auch den Toilettenbesuch oder den Ablauf der Geschehnisse im Schlafzimmer, den Ehevertrag, wie man isst, wie man trinkt, jedes kleinste Detail ist geregelt, das heißt, dass das Studium auch bestimmte, also unterschiedliche Bereiche umfassen muss.

    Zum Studium der islamischen Theologie gehörten Wirtschafts- und Vertragsrecht sowie viele andere Rechtsgebiete: eine Parallele zu seinem deutschen Jurastudium. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Islam allein reichte Altin nicht: Er ist auch Vorbeter in einer Berliner Moschee.

    Ich bin auch Imam geworden, weil ich glaube, dass ich die Friedensbotschaft des Islam richtig erfasst habe, und wenn wir das nicht tun, als diejenigen die den Islam richtig verstanden haben, dann tun das andere, um ihre Ideologie durchzusetzen, und dann bringt das nichts Gutes.
    Mit "anderen" meint Altin gewaltbereite islamistische Gruppen. Deren Einfluss bekommt der Vorbeter häufig zu spüren. Sogar Kinder trifft er bei seiner Arbeit, die glauben, dass Moslems mit der Waffe in der Hand gegen die westliche Welt kämpfen müssten. Doch Kinder könne man wenigstens noch vom Gegenteil überzeugen. Wer Bomben wirft oder Selbstmordattentate verübt, habe den Koran nicht richtig verstanden.

    Palästina ist das beste Beispiel, der Irak, andere Länder, in denen man glaubt, wenn man Nicht-Muslime umbringt, sich selber dafür opfert, für deren Tod, dass einem der Garten Eden garantiert sei. Also, das wird den Menschen leider auch eingeflößt, und von vielen Gelehrten aus der islamischen Welt hört man eben das Gegenteil, dass so etwas nicht geduldet und für legitim erklärt werden kann aus islamischer Seite.

    Der Islam sei im Kern eine friedliebende Religion, die dazu aufrufe, andere Völker und Religionen zu achten. Sicher gebe es Koranverse, die von den Islamisten anders verstanden werden. Aber:

    Wenn man Koranverse aus ihrem Kontext reißt, kann man sie, wie man möchte, interpretieren.

    Wenn im Koran zum Beispiel vor vielen hundert Jahren nach der Eroberung Mekkas dazu aufgefordert wird, eine Gruppe von Polytheisten zu töten, von Menschen, die an viele Götter glaubten, machen Islamisten daraus umumwunden eine Aufforderung zum Morden an allen Andersgläubigen heute. Dass weder Christen noch Juden Polytheisten sind, wird geflissentlich übersehen. Fazli Altin pflegt den Kontakt mit Andersgläuigen, führt manchmal jüdische Gruppen durch die Moschee und hat dabei viel über die Ähnlichkeiten zwischen beiden Religionen gelernt. Über viele Ängste in der arabischen Welt, etwa vor der geheimen jüdischen Weltregierung, kann er nur den Kopf schütteln. Doch den Grund für die Ängste kennt er auch.

    Der Mensch hat vor dem Angst, was er nicht kennt. Und diese Angst besteht auf beiden Seiten. Die Muslime haben Angst vor den Juden, die Juden haben Angst vor den Muslimen. Diese Angst beruht einfach auf der Unwissenheit, dass wir uns meiden oder dass wir uns selten begegnen.