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Surfende Teilchen

Physik. - Die kosmische Strahlung, auch Höhenstrahlung genannt, ist überall. Sie trifft Raumfahrzeuge und Flugzeuge, produziert Störsignale in technischen Geräten, bedeutet ein Langzeitrisiko für Stewardessen und Piloten und dringt in abgeschwächter Form bis zum Erdboden vor. Woher die Strahlung aber kommt, ist ein großes Rätsel der Wissenschaft. In jüngster Zeit sind Teilchenphysiker und Astronomen einer Antwort ein gutes Stück näher gekommen.

Von Jan Lublinski |
    Es sind geladene Teilchen, vornehmlich Protonen, die mit hohem Tempo durchs Weltall jagen. Manche von ihnen erreichen quasi Lichtgeschwindigkeit und damit erstaunlich hohe Energien, erklärt Thomas Schweizer vom Max-Planck-Institut für Physik in München.

    "10 hoch 20 Elektronenvolt - das ist die kinetische Energie von einer Gewehrkugel - das ist die Energie von diesen subatomaren Teilchen."

    Gefährlich sind diese Rekordpartikel jedoch nicht. Bei Kollisionen übertragen sie nur sehr wenig von ihrer Energie. Seit dem Jahr 1912, seit der österreichische Physiker Viktor Hess diese kosmische Strahlung erstmals nachwies, mit Experimenten an Bord von Heißluftballons, sind diese rasenden Partikel den Astronomen ein Rätsel. Sie wissen nicht, woher diese Teilchen kommen und wie sie auf diese hohen Geschwindigkeiten beschleunigt werden.
    Zwar steht schon seit langem steht fest, dass vergleichsweise langsame Teilchen direkt von der Sonne auf die Erde kommen. Doch diese Bummler im All bilden nur einen kleinen Anteil. Die Physiker unterscheiden darüber hinaus noch zwei weitere Geschwindigkeitsklassen: Die Teilchen mit mittlerer Geschwindigkeit und die Teilchen mit sehr hoher Geschwindigkeit. Quasi die Cruiser und die Raser im Weltall. Für die Cruiser zeichnet sich jetzt eine Lösung des Rätsels ab, meinen Thomas Schweizer und sein Kollege Razmick Mirzoyan:

    "Man wagt noch nicht, es laut zu sagen, aber man denkt, dass es gelöst ist. Man vermutet sehr stark, dass man es verstanden hat."

    Die beiden Physiker arbeiten mit einem Spezialteleskop namens Magic, das auf Teneriffa steht. Sie suchen von dort aus den Himmel nach hochenergetischer elektromagnetischer Strahlung ab, so genannte Gammastrahlung, die von den rasenden Teilchen erzeugt wird. Schweizer, Mirzoyan und ihre Kollegen kommen nach den Datenauswertungen der vergangenen Jahre zu dem Schluss, dass ein großer Teil der rasenden Teilchen mit mittlerer Geschwindigkeit von Supernovas herrührt, also von explodierenden Sternen. Und zwar weniger von den Explosionen selbst, als vielmehr von der Schockwelle die sich nach einer Explosion ausbreitet. Die Schockwelle quetscht Wasserstoffatome, die sich in der Umgebung des Sterns befinden, zusammen und beschleunigt dabei Teilchen, die wiederum Gammastrahlen aussenden.

    "Nach der Supernova-Explosion können Sie sich vorstellen, dass diese Front pusht, sie drückt diese Atome zusammen, das geschieht 300 Jahre und irgendwann sammelt sich eine große Masse an. Und wenn die Masse vergleichbar wird mit Masse der Schockwelle, dann entsteht dieser Beschleunigungsmechanismus und dann entstehen die Gammastrahlen."

    Gammastrahlen, die die Astronomen mit ihren Spezial-Teleskopen sehen können.
    Dieser Teil Rätsels ist also gelöst: Es sind Teilchen die quasi auf der Schockwelle einer Supernova-Explosion surfen, die dann durch die Milchstraße fliegen. Als galaktische Cruiser sorgen sie für einen großen Teil der kosmischen Strahlung. Und auch für die Teilchen mit den allerhöchsten Energien, den Rasern im Weltall, hegen die Physiker schon seit längerem eine Vermutung, die durch jüngste Messungen am Pierre Auger Observatorium in Argentinien bestätigt wird: Die Raser kommen aus fernen aktiven Galaxie zu uns, auf die Reise geschickt von Schwarzen Löchern. Werner Hofmann vom Max Planck Institut für Kernphysik in Heidelberg:

    "Schwarze Löcher, wie sie im Zentrum unserer Galaxis sind, aber auch im Zentrum vieler anderer Galaxien, wo Materie in dieses Schwarze Loch einfällt, dabei aber der einfallende Strom so groß ist, dass nicht all diese Materie in dieses schwarze Loch einfällt, sondern ein Teil wird als gebündelter Strahl wieder aus diesem schwarzen Loch wieder abgestoßen, mit sehr hohen Geschwindigkeiten, praktisch mit Lichtgeschwindigkeit, und der erzeugt dann wieder Schockwellen in diesem interstellaren Medium, und da kann man Teilchen zu noch höheren Energien beschleunigen. Das ist im Moment wie extragalaktische Teilchenbeschleuniger, von denen wir jetzt auch die ersten sehen, funktionieren."

    Hofmann arbeitet mit einem Teleskop namens H.E.S.S. in Namibia. Mit diesem Gerät, aber auch mit Magic und anderen, haben die Physiker neuerdings die hochenergetische Strahlung von so genannten "BL Lac"-Objekten vermessen können: Dabei handelt es sich um Schwarze Löcher inmitten von Galaxien, die ihre Teilchen in Richtung der Erde spucken. Mit ihren Teleskopen können die Wissenschaftler direkt in diese hochenergetische kosmische Strahlung hineinschauen und erkunden, was sich alles in diesen fernen Galaxien abspielt.