Beatrix Novy: Otto Gerstenberg, geboren 1848, gründete eine große Versicherung, die jeder kennt, und er sammelte Kunst. Von dieser wertvollen Sammlung überstand nur ein Teil den Krieg. Gemälde und Grafiken wurden, wenn sie nicht zerstört waren, nach Russland abtransportiert und sind heute zum Beispiel in Petersburg zu sehen.
Aber Otto Gerstenberg hatte seine Leidenschaft vererbt, nämlich an den Enkel Dieter Scharf. Und der pflegte eine eigene Passion und baute, ausgehend von den Goyas seines Großvaters, eine Sammlung des Surrealen auf. "Surreale Welten" heißt folglich die Ausstellung, die heute im östlichen Stülerbau von Schloss Charlottenburg in Berlin eröffnet wird, da, wo vor Kurzem noch die Nofretete residierte. Stefan Koldehoff hat die neue Ausstellung in Berlin gesehen. Was hat es auf sich mit diesen 250 Werken?
Stefan Koldehoff: "Surreale Welten" heißt dieses Museum, und es geht tatsächlich um die Kunst des Surrealismus, also um das, was sich jenseits der sichtbaren Welt bewegen könnte, was Künstler herausgefunden haben, indem sie Drogen genommen haben, indem sie die sogenannte "Écriture Automatic", das automatische Schreiben und Zeichnen, weiterentwickelt haben, aber auch Künstler wie Paul Klee oder George Grosz, die ganz bewusst eine andere Welt dargestellt haben, ohne sich dafür irgendetwas einflößen zu müssen.
Sie haben es gerade schon gesagt, rund 250 Werke von 51 Künstlern. Das ist ein Rückgriff in die Kunstgeschichte. Also, man fängt durchaus an bei Künstlern wie Goya oder Edouard Manet, die in Verbindung mit Edgar Allan Poe beispielsweise Illustrationen geschaffen haben, die schon in surreale Bildwelten hineinführen, geht dann weiter über Piranesi und seine Kerkerzeichnungen, über Victor Hugo, der gezeichnet hat, über den Symbolismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis dann hin ins 20. Jahrhundert zu solchen Größen wie Max Ernst, Salvador Dali, René Magritte, Dubuffet ist zu sehen und aber auch Künstler des 20. Jahrhunderts der Nachkriegszeit, wie beispielsweise Gerhard Altenbourg.
Novy: Weiß man, was den Sammler Dieter Scharf dazu bewogen hat, sich just dieser Kunstrichtung zuzuwenden?
Koldehoff: Er ist Chemiker gewesen. Jetzt könnte man natürlich mutmaßen, dass er vielleicht mit halluzinogenen Substanzen durchaus seine Erfahrung hatte. Nein, es war schlicht das Interesse an diesen etwas düsteren, etwas merkwürdigen Bildwelten.
Peter-Klaus Schuster, der Generaldirektor der Berliner Museen, hat heute gesagt, gegenüber sieht man die hellen Seiten der Modernen in der Sammlung Berggruen, das Arkadische, das Heitere. Und in diesem neuen Museum, in dem Museum Scharf-Gerstenberg, das eher Dunkle, Beunruhigende.
Novy: Für diese Sammlung wurde der östliche Stülerbau eigens umgebaut. Ist das gelungen?
Koldehoff: Ja, absolut. Und das liegt daran, dass die Architekten wirklich einen großen Wurf versucht haben, der ihnen auch gelungen ist. Man hat sich anders als bei Berggruen gegenüber dafür entschieden, nicht den ursprünglichen Haupteingang des Stülerbaus wieder zu benutzen, sondern man hat sich eigentlich auf die Querseite begeben, hat dort einen neuen Bau aus Cortenstahl und großen Glaswänden geschaffen, durchaus zurückgesetzt von der Straße, sodass an der Stelle auch ein kleiner Platz, eine Piazza entsteht, auf der ein Restaurant beispielsweise sein wird, und hat mit diesem Glasbau den alten Stülerbau und den dahinterstehenden Marstall miteinander verbunden, sozusagen aus der Not eine Fuge gemacht.
Das ist architektonisch hervorragend gelungen, respektiert die alte Bausubstanz, respektiert aber auch, dass man nun durchaus mit größeren Menschenmassen zurechtkommen muss. Man betritt das Museum über das Café, über einen Museumsshop, wird dann, nicht mittig, sondern links herum in die Ausstellungsräume geführt und kann sich da sofort entscheiden, ob man mal erst nach links in die ursprünglichen Stülerbau geht und da sozusagen auf zwei Etagen die Kunstgeschichte der surrealen Welten abläuft - wie ich vorhin schon gesagt habe, von Goya über Piranesi bis hin zu Klee -, oder ob man nach rechts geht, wo dann dieser langgestreckte ehemalige Marstall steht mit variablen Trennwänden, wo dann die richtig großen Meisterwerke hängen, wichtige Bilder von Odilon Redon und von Max Ernst und von Dali und Magritte und Tanguy und anderen. Also, beides ergänzt sich durch diese Architektur ganz hervorragend.
Novy: Dieser ganze Aufwand ist ja für einen sehr kurzen Zeitraum getrieben worden. Für zehn Jahre, solange ist die Leihgabe ist festgelegt.
Koldehoff: Das ist mal erst so im gemeinsamen Vertrag vorgesehen. Aber der Wunsch des Sammlers Dieter Scharf war tatsächlich, so hat er es in seinem Stiftungsvertrag festgelegt, die Sammlung dauerhaft der Öffentlichkeit und der Forschung zugänglich zu machen. Und seine Enkelin Julietta Scharf, die heute der Stiftung vorsitzt, hat vorhin in der Pressekonferenz gesagt, sie ist vollends zufrieden, sie ist absolut begeistert davon, dass es jetzt dieses Haus gibt. Man kann sich auf beiden Seiten sowohl aufseiten der Berliner Museen als auch aufseiten der Familie Scharf vorstellen, dass das eine Lösung für die Ewigkeit bleibt und es ist eine gute Lösung.
Novy: Gute Aussichten für das neue Museum "Surreale Welten". Das war Stefan Koldehoff.
Aber Otto Gerstenberg hatte seine Leidenschaft vererbt, nämlich an den Enkel Dieter Scharf. Und der pflegte eine eigene Passion und baute, ausgehend von den Goyas seines Großvaters, eine Sammlung des Surrealen auf. "Surreale Welten" heißt folglich die Ausstellung, die heute im östlichen Stülerbau von Schloss Charlottenburg in Berlin eröffnet wird, da, wo vor Kurzem noch die Nofretete residierte. Stefan Koldehoff hat die neue Ausstellung in Berlin gesehen. Was hat es auf sich mit diesen 250 Werken?
Stefan Koldehoff: "Surreale Welten" heißt dieses Museum, und es geht tatsächlich um die Kunst des Surrealismus, also um das, was sich jenseits der sichtbaren Welt bewegen könnte, was Künstler herausgefunden haben, indem sie Drogen genommen haben, indem sie die sogenannte "Écriture Automatic", das automatische Schreiben und Zeichnen, weiterentwickelt haben, aber auch Künstler wie Paul Klee oder George Grosz, die ganz bewusst eine andere Welt dargestellt haben, ohne sich dafür irgendetwas einflößen zu müssen.
Sie haben es gerade schon gesagt, rund 250 Werke von 51 Künstlern. Das ist ein Rückgriff in die Kunstgeschichte. Also, man fängt durchaus an bei Künstlern wie Goya oder Edouard Manet, die in Verbindung mit Edgar Allan Poe beispielsweise Illustrationen geschaffen haben, die schon in surreale Bildwelten hineinführen, geht dann weiter über Piranesi und seine Kerkerzeichnungen, über Victor Hugo, der gezeichnet hat, über den Symbolismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis dann hin ins 20. Jahrhundert zu solchen Größen wie Max Ernst, Salvador Dali, René Magritte, Dubuffet ist zu sehen und aber auch Künstler des 20. Jahrhunderts der Nachkriegszeit, wie beispielsweise Gerhard Altenbourg.
Novy: Weiß man, was den Sammler Dieter Scharf dazu bewogen hat, sich just dieser Kunstrichtung zuzuwenden?
Koldehoff: Er ist Chemiker gewesen. Jetzt könnte man natürlich mutmaßen, dass er vielleicht mit halluzinogenen Substanzen durchaus seine Erfahrung hatte. Nein, es war schlicht das Interesse an diesen etwas düsteren, etwas merkwürdigen Bildwelten.
Peter-Klaus Schuster, der Generaldirektor der Berliner Museen, hat heute gesagt, gegenüber sieht man die hellen Seiten der Modernen in der Sammlung Berggruen, das Arkadische, das Heitere. Und in diesem neuen Museum, in dem Museum Scharf-Gerstenberg, das eher Dunkle, Beunruhigende.
Novy: Für diese Sammlung wurde der östliche Stülerbau eigens umgebaut. Ist das gelungen?
Koldehoff: Ja, absolut. Und das liegt daran, dass die Architekten wirklich einen großen Wurf versucht haben, der ihnen auch gelungen ist. Man hat sich anders als bei Berggruen gegenüber dafür entschieden, nicht den ursprünglichen Haupteingang des Stülerbaus wieder zu benutzen, sondern man hat sich eigentlich auf die Querseite begeben, hat dort einen neuen Bau aus Cortenstahl und großen Glaswänden geschaffen, durchaus zurückgesetzt von der Straße, sodass an der Stelle auch ein kleiner Platz, eine Piazza entsteht, auf der ein Restaurant beispielsweise sein wird, und hat mit diesem Glasbau den alten Stülerbau und den dahinterstehenden Marstall miteinander verbunden, sozusagen aus der Not eine Fuge gemacht.
Das ist architektonisch hervorragend gelungen, respektiert die alte Bausubstanz, respektiert aber auch, dass man nun durchaus mit größeren Menschenmassen zurechtkommen muss. Man betritt das Museum über das Café, über einen Museumsshop, wird dann, nicht mittig, sondern links herum in die Ausstellungsräume geführt und kann sich da sofort entscheiden, ob man mal erst nach links in die ursprünglichen Stülerbau geht und da sozusagen auf zwei Etagen die Kunstgeschichte der surrealen Welten abläuft - wie ich vorhin schon gesagt habe, von Goya über Piranesi bis hin zu Klee -, oder ob man nach rechts geht, wo dann dieser langgestreckte ehemalige Marstall steht mit variablen Trennwänden, wo dann die richtig großen Meisterwerke hängen, wichtige Bilder von Odilon Redon und von Max Ernst und von Dali und Magritte und Tanguy und anderen. Also, beides ergänzt sich durch diese Architektur ganz hervorragend.
Novy: Dieser ganze Aufwand ist ja für einen sehr kurzen Zeitraum getrieben worden. Für zehn Jahre, solange ist die Leihgabe ist festgelegt.
Koldehoff: Das ist mal erst so im gemeinsamen Vertrag vorgesehen. Aber der Wunsch des Sammlers Dieter Scharf war tatsächlich, so hat er es in seinem Stiftungsvertrag festgelegt, die Sammlung dauerhaft der Öffentlichkeit und der Forschung zugänglich zu machen. Und seine Enkelin Julietta Scharf, die heute der Stiftung vorsitzt, hat vorhin in der Pressekonferenz gesagt, sie ist vollends zufrieden, sie ist absolut begeistert davon, dass es jetzt dieses Haus gibt. Man kann sich auf beiden Seiten sowohl aufseiten der Berliner Museen als auch aufseiten der Familie Scharf vorstellen, dass das eine Lösung für die Ewigkeit bleibt und es ist eine gute Lösung.
Novy: Gute Aussichten für das neue Museum "Surreale Welten". Das war Stefan Koldehoff.