Mein Taxifahrer steuert einen uralten Straßenkreuzer durch Hamra, das Beiruter Geschäftsviertel. Es ist vier Uhr nachts und ich möchte ans andere Ende der Stadt zum Nachtclub B018 fahren. In Beirut eine aufwändige Sache: Die Regierung hält nichts von öffentlichen Verkehrsmitteln - und so gibt es eben keine in dieser Nahost-Metropole mit ihren weit über eine Million Einwohnern.
"Wenn ich in einen Nachtklub möchte, gehe ich immer ins 'Goldrausch' oder in die 'Goldene Maid'. Dort sage ich: Ich möchte eine Frau für eine Stunde! Morgen gehe ich wieder hin. Da könnten wir doch gemeinsam hingehen - du und ich."
Überall anders im Nahen Osten - zwischen Kairo und Istanbul - gibt man sich entschieden zugeknöpfter. Und die Taxifahrer plaudern nicht so routiniert auf englisch und französisch. Aber in Beirut sind viele Religionen und Lebensstile zu Hause: Die konservativen Muslime sind stark vertreten, aber auch Liberale und Hedonisten. Gerade fuhren wir an italienischen Boutiquen und französischen Cafes vorbei. Jetzt könnten wir gerade durch Nizza oder Monaco fahren. Beirut wechselt sein Gesicht von Viertel zu Viertel.
Zuletzt nehmen wir eine Abkürzung: Als Geisterfahrer in die falsche Richtung, auf einer dreispurigen Stadtautobahn durch eine Unterführung. Der Straßenverkehr ist heute größte Gefahrenquelle für die meisten Bürger und Besucher: "Fortsetzung des Bürgerkriegs mit anderen Mitteln", schreibt mein Reiseführer. Wir fahren eine Runde um einen runden Betondeckel, dessen Durchmesser mindestens 25 Meter beträgt. Unter der Bunkerplatte liegt der Nachtclub B018 - der flotteste Nachtklub des Nahen Ostens. Ich gehe hinein durch eine schwere Metalltür:
Auf Tischen tanzt die Jeunesse dorée des Libanon, angefeuert von Musik, dicken, qualmenden Tüten und Getränken in vielerlei Farben. Blondierte Teeniegirls in falschen Tigerfellen hopsen muskulöse Jungmänner an, dass es nur so funkt. 250 Gäste mögen es sein und es tanzen fast alle. Die Druckwelle der Musik geht direkt aufs Brustbein und versetzt selbst massive Möbel in Schwingungen. Auch die Inneneinrichtung ist exzentrisch: Särge, Imitate von Raketenteilen, blutrote Vorhänge. In anderen Städten des Nahen Ostens wäre längst die Polizei gekommen. Hier hebt ein hydraulischer Arm den Betondeckel nach oben. Nun kann man hinausschauen: Draußen leuchtet eine rote Morgensonne zwischen Wolkenkratzern und Hochstraßen. Ich spreche die Besucher des Nachtclubs an:
Warum kommst Du hierher?
" Hier erinnert alles an einen Bunker. Und an den libanesischen Bürgerkrieg. Die ganzen Särge, die Erinnerungsstücke und das. " -
Was fühlen Sie, wenn Sie dieses Interieur sehen?
" Es sieht einfach nur gut aus und ist ein hübsches Design - nicht mehr und nicht weniger. "
Welche Rolle spielt der Bürgerkrieg heute bei jungen Leuten?
" Der Krieg steckt natürlich in jedem. Aber jeder versucht, zu vergessen und weiterzumachen. "
Gegen sechs Uhr morgens fahren die jungen Beirutis müde nach Hause: Durch Vororte wie Karantina, in denen die Mörder des Bürgerkriegs bis heute ungestört schlummern. Vorbei an den Checkpoints, Boutiquen und Cafes in Downtown. Dahinter dann bewohnte Kriegsruinen - Hochburgen der Hisbollah. Nach den bürgerlichen Wohnvierteln von Hamra dann weiter über die neue Stadt-Autobahn, vorbei an Palästinensercamps. Neben den Camps unmarkierte Massengräber mit den Opfern israelischer Luftangriffe. Dies ist Beirut.
Am nächsten Morgen gehe ich entlang der Grünen Linie: Hier verlief früher die Grenze zwischen dem muslimischen Westen und dem christlichen Osten der Stadt. Die meisten Kamerateams drehten hier ihre Bilder vom Bürgerkrieg. Nahe dem Platz der Martyrer steht nun ein nagelneuer, vierstöckiger Virgin Mega Store, daneben ein kugeldurchsiebtes Theater und ein Kirchenschiff ohne Dach. Hinter einem Werbeplakat mit dem Slogan "Kaufe jetzt, bezahle später" beginnt die Downtown, das neue Stadt- und Geschäftszentrum. Es wird gerade komplett wiederaufgebaut: Boutiquen, marmorierte Bürogebäude und Restaurants internationaler Ketten - absolut perfekt, keimfrei und glatt. Handwerker bringen an einem klassisch-italienisch getrimmten Geschäftshaus ein geschwungenes Balkongitter an. An der Hauswand zeigt eine Fotoserie das Gebäude vor dem Bürgerkrieg, die Hausruine nach Kriegsende und den heutigen Bau: Jetzt steht hier eine perfekte Kopie des ursprünglichen Gebäudes, rekonstruiert aus modernen, industriell hergestellten Fertigteilen. Nun betrete ich ein Showroom mit einem riesigen Stadtmodell voller klassischer Villen, moderner Wolkenkratzer, Stadtautobahnen und einem Jachthafen: PR-Mann Nabil Rached erwartet mich bereits und legt gleich los.
" Wir haben einen Plan, ein Ziel und eine Vision. Die Vision ist: Wir möchten den Mythos von Beirut wiederbeleben und die Innenstadt wieder zu einem Treffpunkt machen für alle Menschen. Unser Plan: Wir wollen viele alte Gebäude erhalten, aber gleichzeitig eine supermoderne Infrastruktur errichten. Unser Ziel: Beirut im regionalen und internationalen Wettbewerb wieder zu einem Geschäftszentrum machen und zu einem Ziel für Touristen. Und zu einer erstklassigen Wohnadresse. Der Wiederaufbau des Stadtzentrums ist mit einer Fläche von 720.000 Quadratmetern das bedeutendste zusammenhängende Stadtsanierungsprojekt der Welt. "
Rached arbeitet für die Aktiengesellschaft Solidere, die gerade 600 von 900 kriegsbeschädigten Innenstadtgebäuden abreißt und nach alten Fotos und Plänen wiedererrichtet. Zwischen die perfekt rekonstruierten Fassaden werden hohe Türme für Fünf-Sterne-Hotels und Büros mit unterirdischen Parkhäusern gebaut. Fehlt dieser Retortenstadt nicht irgendeine Erinnerung an den Bürgerkrieg? Der Solidere-Showroom ist schließlich nur etwa hundert Meter von dem weltberühmten Grenzstreifen zwischen Ost- und West-Beirut entfernt.
" Aber nein. Wir möchten ja gerade eine Innenstadt schaffen, wo die Libanesen diesen Bürgerkrieg vergessen können. Stattdessen werden wir einen "Garten der Vergebung" errichten. Dort können die Bürger nachdenken und versuchen, einander zu verstehen: Um unsere nationale Koexistenz zu bekräftigen und unsere Einheit. Um über Frieden und Toleranz nachzudenken, die traditionell der wirkliche Ursprung der libanesischen Geschichte sind. "
Vor dem Bürgerkrieg galt Beirut als das "Paris des Nahen Ostens". Heute wirkt die Stadt wie ein Flickenkissen aus Vierteln, Nachbarschaften und einzelnen Häusern. Ich stehe auf einer Terrasse des neuen Virgin Mega Store und lasse den Blick schweifen: Nördlich - auf Solidere-Gebiet am Hafen - stehen funkelnde neue Wolkenkratzer aus Glas neben schimmeligen alten Betonhäusern, in deren Fassaden Einschusskrater in Lastwagen-Größe klaffen. Nach Süden und Westen versperren Mietskasernen den Blick auf die Traditionsviertel Hamra und Mazraa. Vor allem im Osten stehen nur vereinzelt Häuser zwischen öden Brachflächen, auf denen Gestrüpp wuchert.
Ich gehe die Rue de Damas nach Süden. Nur 300 Meter vom Martyrerplatz entfernt markiert das luxuriöse Sushi-Restaurant "Yabani" eine erste unsichtbare Grenze: ein 15 Meter hohes, zahnförmiges Gebilde aus Edelstahl, ohne jede Bindung an die Umgebung, in dem Gerichte ab 35 Dollar serviert werden. Hinter dem edlen Gebäude steht die erste zerschossene Kriegsruine, garniert mit Plakaten für Champagner, Seidenunterwäsche und einen "Marlboro-Grand-Prix" mit dem Slogan "Enter the winning zone". So was findet in Beirut keiner ironisch, sondern jeder ganz normal. Die Hausruine ist bewohnt: Ein junges Mädchen kommt heraus, holt sich nebenan im Sushi-Palast Zigaretten und kehrt zurück in die Ruine. Beiruter Momente. Das Haus muss vor dem Krieg sehr schön ausgesehen haben: Tragende Steinsäulen griechischen Stils halten bis heute Balkongitter, doch den Balkonen fehlt der Boden. Die Metall-Gatter vor den Eingängen im Erdgeschoss sind zu unförmigen Klumpen geschmolzen. Ein uraltes Mercedestaxi hält neben mir.
" Ich mache ihnen einen guten Preis. Ich habe drei Kinder. Mein Freund: Bei der Heiligen Maria! Bei Gott und Jesus. Dies ist die Art, wie ich Geschäfte machen muss - und in Arabien musst du auf meiner Seite sein. Verstehst du das nicht? Damals haben wir gekämpft. Und die andere Seite lebt gleich da drüben in dem Viertel. Ich bin nicht wie jeder. Dies hier ist ein Klasse-Taxi. Ich bin ein katholischer Christ. Bitte helfen Sie mir. "
Beirut ist mir bisher multikulturell und weltoffen erschienen. Doch jetzt sind sie deutlich zu vernehmen: die libanesischen "Konflikte zwischen den Religionsgruppen".
" Die muslimischen Taxifahrer kommen zu meinem Autofenster und fragen: 'Nun, heißt du vielleicht Josef?' Ich sage 'nein'. Sie fragen: 'Bist du Muslim?' 'Ja', sage ich. Dann meinen Sie: 'Oh, da sind wir zufrieden.' Verflucht seien sie alle! Nun fahre bitte mit mir. Wegen des Kriegs haben wir alles verloren: Haus, Land, Geld. Ich habe drei Kinder: Paul, Rita und Claude. Ich lebe in den Bergen. "
Ich flüchte vor dem Taxifahrer, immer weiter Richtung Süden entlang der "Grüne Linie", der heutigen Rue de Damas: Östlich stehen nun die Gebäude der Christenviertel, manche immer noch durchlöchert von Kugeln und kleineren Raketen. Getrennt durch Gebüsch und Bauschutt stehen auf der Westseite die Häuser und Ruinen der muslimischen Viertel - viel stärker zerstört vor allem durch Flugzeug-Bomben. Plötzlich schlägt etwa fünf Meter vor mir ein Müllsack auf und zerplatzt. Ich schaue hinauf und sehe gerade noch, wie jemand schnell den Kopf zurückzieht. Das ehemalige Bürogebäude ist trotz riesiger Einschusslöcher offensichtlich bewohnt: Aus mehreren Fenstern hängen Wäschestücke an Besenstielen zum Trocknen. Mit Herzklopfen steige ich über eine freischwebende Treppe ohne Geländer in das 3. Stockwerk hinauf. Dieses Wohnviertel sollte man früher überhaupt nicht unbewaffnet betreten, weil sich Deserteure mitsamt ihren Waffen hier niedergelassen hatten. Jetzt soll das Viertel angeblich sicher sein. Ich klopfe an einer Tür ohne Schild und Klingel.
Ein Mann von etwa 35 Jahren öffnet die Tür, in Trainingsanzug und mit Badeschlappen an den Füßen. Gemeinsam mit seiner Frau starrt er auf den merkwürdigen Überraschungsgast. Sie legt schnell ein großes Blümchen-Kopftuch an. Sohn und Tochter - beide keine zehn Jahre alt - schauen begeistert auf mein langes Mikrofon. Anscheinend bemüht sich die Familie sehr, ihr Heim in Schuss zu halten: Draußen im Flur schimmeln die feuchten Wände, aber hier drinnen wirkt alles frisch gestrichen, glatt und gepflegt. Sicher hat eben ein anderer den Müllsack auf die Strasse geschmissen. Auf einem Schrank sitzt ein riesiger, orangefarbener Teddybär neben einem Segelschiffmodell aus Plastik. Seit acht Jahren wohnt die Familie nun in der Ruine, erzählt die Frau, die energisch wirkt. Ihren Namen möchte sie lieber nicht nennen.
" Die Regierenden fragen sich überhaupt nicht, wie die armen Menschen leben können. Die meisten verdienen wie mein Mann monatlich so um die 300 Dollar in libanesischen Pfund. Und 100 Dollar kostet allein der Strom. Die Regierung hat immer wieder versucht, uns mit Soldaten gewaltsam aus dem Haus zu holen. Wir können nur von Glück sagen, dass die Milizen der Hisbollah uns unterstützen. Die Regierung, die guckt immer nur auf die Kleinen - was die noch zu futtern haben. Und dann nehmen sie uns das auch noch weg. "
Das Gebäude war früher das libanesische Hauptquartier des Unternehmens Toshiba, erzählen die beiden Erwachsenen. Zu Beginn des Bürgerkriegs flüchteten die Japaner. Zur gleichen Zeit mussten unsere Gastgeber aus einem zerstörten Dorf im Südlibanon nach Beirut fliehen. Mit anderen besetzten sie das halbzerstörte Gebäude und richteten sich ein, so gut es eben ging. In zwei Rahmen fehlen die Fenster, sie sind mit Plastikfolien abgeklebt. Draußen auf der anderen Straßenseite erkenne ich durch die Folie schemenhaft Baukräne mit Logos der Solidere AG.
" Die Innenstadt gehört den Bossen und ihren Leuten. Die haben sich das alles geklaut , die Großen im Libanon. Die bauen gerade so, dass jemand, der von außen kommt, denkt: Libanon ist toll. Libanon sieht super aus. Aber wenn man wirklich hinter die Kulissen schaut, dann sieht das ganz anders aus. "
"Wenn ich in einen Nachtklub möchte, gehe ich immer ins 'Goldrausch' oder in die 'Goldene Maid'. Dort sage ich: Ich möchte eine Frau für eine Stunde! Morgen gehe ich wieder hin. Da könnten wir doch gemeinsam hingehen - du und ich."
Überall anders im Nahen Osten - zwischen Kairo und Istanbul - gibt man sich entschieden zugeknöpfter. Und die Taxifahrer plaudern nicht so routiniert auf englisch und französisch. Aber in Beirut sind viele Religionen und Lebensstile zu Hause: Die konservativen Muslime sind stark vertreten, aber auch Liberale und Hedonisten. Gerade fuhren wir an italienischen Boutiquen und französischen Cafes vorbei. Jetzt könnten wir gerade durch Nizza oder Monaco fahren. Beirut wechselt sein Gesicht von Viertel zu Viertel.
Zuletzt nehmen wir eine Abkürzung: Als Geisterfahrer in die falsche Richtung, auf einer dreispurigen Stadtautobahn durch eine Unterführung. Der Straßenverkehr ist heute größte Gefahrenquelle für die meisten Bürger und Besucher: "Fortsetzung des Bürgerkriegs mit anderen Mitteln", schreibt mein Reiseführer. Wir fahren eine Runde um einen runden Betondeckel, dessen Durchmesser mindestens 25 Meter beträgt. Unter der Bunkerplatte liegt der Nachtclub B018 - der flotteste Nachtklub des Nahen Ostens. Ich gehe hinein durch eine schwere Metalltür:
Auf Tischen tanzt die Jeunesse dorée des Libanon, angefeuert von Musik, dicken, qualmenden Tüten und Getränken in vielerlei Farben. Blondierte Teeniegirls in falschen Tigerfellen hopsen muskulöse Jungmänner an, dass es nur so funkt. 250 Gäste mögen es sein und es tanzen fast alle. Die Druckwelle der Musik geht direkt aufs Brustbein und versetzt selbst massive Möbel in Schwingungen. Auch die Inneneinrichtung ist exzentrisch: Särge, Imitate von Raketenteilen, blutrote Vorhänge. In anderen Städten des Nahen Ostens wäre längst die Polizei gekommen. Hier hebt ein hydraulischer Arm den Betondeckel nach oben. Nun kann man hinausschauen: Draußen leuchtet eine rote Morgensonne zwischen Wolkenkratzern und Hochstraßen. Ich spreche die Besucher des Nachtclubs an:
Warum kommst Du hierher?
" Hier erinnert alles an einen Bunker. Und an den libanesischen Bürgerkrieg. Die ganzen Särge, die Erinnerungsstücke und das. " -
Was fühlen Sie, wenn Sie dieses Interieur sehen?
" Es sieht einfach nur gut aus und ist ein hübsches Design - nicht mehr und nicht weniger. "
Welche Rolle spielt der Bürgerkrieg heute bei jungen Leuten?
" Der Krieg steckt natürlich in jedem. Aber jeder versucht, zu vergessen und weiterzumachen. "
Gegen sechs Uhr morgens fahren die jungen Beirutis müde nach Hause: Durch Vororte wie Karantina, in denen die Mörder des Bürgerkriegs bis heute ungestört schlummern. Vorbei an den Checkpoints, Boutiquen und Cafes in Downtown. Dahinter dann bewohnte Kriegsruinen - Hochburgen der Hisbollah. Nach den bürgerlichen Wohnvierteln von Hamra dann weiter über die neue Stadt-Autobahn, vorbei an Palästinensercamps. Neben den Camps unmarkierte Massengräber mit den Opfern israelischer Luftangriffe. Dies ist Beirut.
Am nächsten Morgen gehe ich entlang der Grünen Linie: Hier verlief früher die Grenze zwischen dem muslimischen Westen und dem christlichen Osten der Stadt. Die meisten Kamerateams drehten hier ihre Bilder vom Bürgerkrieg. Nahe dem Platz der Martyrer steht nun ein nagelneuer, vierstöckiger Virgin Mega Store, daneben ein kugeldurchsiebtes Theater und ein Kirchenschiff ohne Dach. Hinter einem Werbeplakat mit dem Slogan "Kaufe jetzt, bezahle später" beginnt die Downtown, das neue Stadt- und Geschäftszentrum. Es wird gerade komplett wiederaufgebaut: Boutiquen, marmorierte Bürogebäude und Restaurants internationaler Ketten - absolut perfekt, keimfrei und glatt. Handwerker bringen an einem klassisch-italienisch getrimmten Geschäftshaus ein geschwungenes Balkongitter an. An der Hauswand zeigt eine Fotoserie das Gebäude vor dem Bürgerkrieg, die Hausruine nach Kriegsende und den heutigen Bau: Jetzt steht hier eine perfekte Kopie des ursprünglichen Gebäudes, rekonstruiert aus modernen, industriell hergestellten Fertigteilen. Nun betrete ich ein Showroom mit einem riesigen Stadtmodell voller klassischer Villen, moderner Wolkenkratzer, Stadtautobahnen und einem Jachthafen: PR-Mann Nabil Rached erwartet mich bereits und legt gleich los.
" Wir haben einen Plan, ein Ziel und eine Vision. Die Vision ist: Wir möchten den Mythos von Beirut wiederbeleben und die Innenstadt wieder zu einem Treffpunkt machen für alle Menschen. Unser Plan: Wir wollen viele alte Gebäude erhalten, aber gleichzeitig eine supermoderne Infrastruktur errichten. Unser Ziel: Beirut im regionalen und internationalen Wettbewerb wieder zu einem Geschäftszentrum machen und zu einem Ziel für Touristen. Und zu einer erstklassigen Wohnadresse. Der Wiederaufbau des Stadtzentrums ist mit einer Fläche von 720.000 Quadratmetern das bedeutendste zusammenhängende Stadtsanierungsprojekt der Welt. "
Rached arbeitet für die Aktiengesellschaft Solidere, die gerade 600 von 900 kriegsbeschädigten Innenstadtgebäuden abreißt und nach alten Fotos und Plänen wiedererrichtet. Zwischen die perfekt rekonstruierten Fassaden werden hohe Türme für Fünf-Sterne-Hotels und Büros mit unterirdischen Parkhäusern gebaut. Fehlt dieser Retortenstadt nicht irgendeine Erinnerung an den Bürgerkrieg? Der Solidere-Showroom ist schließlich nur etwa hundert Meter von dem weltberühmten Grenzstreifen zwischen Ost- und West-Beirut entfernt.
" Aber nein. Wir möchten ja gerade eine Innenstadt schaffen, wo die Libanesen diesen Bürgerkrieg vergessen können. Stattdessen werden wir einen "Garten der Vergebung" errichten. Dort können die Bürger nachdenken und versuchen, einander zu verstehen: Um unsere nationale Koexistenz zu bekräftigen und unsere Einheit. Um über Frieden und Toleranz nachzudenken, die traditionell der wirkliche Ursprung der libanesischen Geschichte sind. "
Vor dem Bürgerkrieg galt Beirut als das "Paris des Nahen Ostens". Heute wirkt die Stadt wie ein Flickenkissen aus Vierteln, Nachbarschaften und einzelnen Häusern. Ich stehe auf einer Terrasse des neuen Virgin Mega Store und lasse den Blick schweifen: Nördlich - auf Solidere-Gebiet am Hafen - stehen funkelnde neue Wolkenkratzer aus Glas neben schimmeligen alten Betonhäusern, in deren Fassaden Einschusskrater in Lastwagen-Größe klaffen. Nach Süden und Westen versperren Mietskasernen den Blick auf die Traditionsviertel Hamra und Mazraa. Vor allem im Osten stehen nur vereinzelt Häuser zwischen öden Brachflächen, auf denen Gestrüpp wuchert.
Ich gehe die Rue de Damas nach Süden. Nur 300 Meter vom Martyrerplatz entfernt markiert das luxuriöse Sushi-Restaurant "Yabani" eine erste unsichtbare Grenze: ein 15 Meter hohes, zahnförmiges Gebilde aus Edelstahl, ohne jede Bindung an die Umgebung, in dem Gerichte ab 35 Dollar serviert werden. Hinter dem edlen Gebäude steht die erste zerschossene Kriegsruine, garniert mit Plakaten für Champagner, Seidenunterwäsche und einen "Marlboro-Grand-Prix" mit dem Slogan "Enter the winning zone". So was findet in Beirut keiner ironisch, sondern jeder ganz normal. Die Hausruine ist bewohnt: Ein junges Mädchen kommt heraus, holt sich nebenan im Sushi-Palast Zigaretten und kehrt zurück in die Ruine. Beiruter Momente. Das Haus muss vor dem Krieg sehr schön ausgesehen haben: Tragende Steinsäulen griechischen Stils halten bis heute Balkongitter, doch den Balkonen fehlt der Boden. Die Metall-Gatter vor den Eingängen im Erdgeschoss sind zu unförmigen Klumpen geschmolzen. Ein uraltes Mercedestaxi hält neben mir.
" Ich mache ihnen einen guten Preis. Ich habe drei Kinder. Mein Freund: Bei der Heiligen Maria! Bei Gott und Jesus. Dies ist die Art, wie ich Geschäfte machen muss - und in Arabien musst du auf meiner Seite sein. Verstehst du das nicht? Damals haben wir gekämpft. Und die andere Seite lebt gleich da drüben in dem Viertel. Ich bin nicht wie jeder. Dies hier ist ein Klasse-Taxi. Ich bin ein katholischer Christ. Bitte helfen Sie mir. "
Beirut ist mir bisher multikulturell und weltoffen erschienen. Doch jetzt sind sie deutlich zu vernehmen: die libanesischen "Konflikte zwischen den Religionsgruppen".
" Die muslimischen Taxifahrer kommen zu meinem Autofenster und fragen: 'Nun, heißt du vielleicht Josef?' Ich sage 'nein'. Sie fragen: 'Bist du Muslim?' 'Ja', sage ich. Dann meinen Sie: 'Oh, da sind wir zufrieden.' Verflucht seien sie alle! Nun fahre bitte mit mir. Wegen des Kriegs haben wir alles verloren: Haus, Land, Geld. Ich habe drei Kinder: Paul, Rita und Claude. Ich lebe in den Bergen. "
Ich flüchte vor dem Taxifahrer, immer weiter Richtung Süden entlang der "Grüne Linie", der heutigen Rue de Damas: Östlich stehen nun die Gebäude der Christenviertel, manche immer noch durchlöchert von Kugeln und kleineren Raketen. Getrennt durch Gebüsch und Bauschutt stehen auf der Westseite die Häuser und Ruinen der muslimischen Viertel - viel stärker zerstört vor allem durch Flugzeug-Bomben. Plötzlich schlägt etwa fünf Meter vor mir ein Müllsack auf und zerplatzt. Ich schaue hinauf und sehe gerade noch, wie jemand schnell den Kopf zurückzieht. Das ehemalige Bürogebäude ist trotz riesiger Einschusslöcher offensichtlich bewohnt: Aus mehreren Fenstern hängen Wäschestücke an Besenstielen zum Trocknen. Mit Herzklopfen steige ich über eine freischwebende Treppe ohne Geländer in das 3. Stockwerk hinauf. Dieses Wohnviertel sollte man früher überhaupt nicht unbewaffnet betreten, weil sich Deserteure mitsamt ihren Waffen hier niedergelassen hatten. Jetzt soll das Viertel angeblich sicher sein. Ich klopfe an einer Tür ohne Schild und Klingel.
Ein Mann von etwa 35 Jahren öffnet die Tür, in Trainingsanzug und mit Badeschlappen an den Füßen. Gemeinsam mit seiner Frau starrt er auf den merkwürdigen Überraschungsgast. Sie legt schnell ein großes Blümchen-Kopftuch an. Sohn und Tochter - beide keine zehn Jahre alt - schauen begeistert auf mein langes Mikrofon. Anscheinend bemüht sich die Familie sehr, ihr Heim in Schuss zu halten: Draußen im Flur schimmeln die feuchten Wände, aber hier drinnen wirkt alles frisch gestrichen, glatt und gepflegt. Sicher hat eben ein anderer den Müllsack auf die Strasse geschmissen. Auf einem Schrank sitzt ein riesiger, orangefarbener Teddybär neben einem Segelschiffmodell aus Plastik. Seit acht Jahren wohnt die Familie nun in der Ruine, erzählt die Frau, die energisch wirkt. Ihren Namen möchte sie lieber nicht nennen.
" Die Regierenden fragen sich überhaupt nicht, wie die armen Menschen leben können. Die meisten verdienen wie mein Mann monatlich so um die 300 Dollar in libanesischen Pfund. Und 100 Dollar kostet allein der Strom. Die Regierung hat immer wieder versucht, uns mit Soldaten gewaltsam aus dem Haus zu holen. Wir können nur von Glück sagen, dass die Milizen der Hisbollah uns unterstützen. Die Regierung, die guckt immer nur auf die Kleinen - was die noch zu futtern haben. Und dann nehmen sie uns das auch noch weg. "
Das Gebäude war früher das libanesische Hauptquartier des Unternehmens Toshiba, erzählen die beiden Erwachsenen. Zu Beginn des Bürgerkriegs flüchteten die Japaner. Zur gleichen Zeit mussten unsere Gastgeber aus einem zerstörten Dorf im Südlibanon nach Beirut fliehen. Mit anderen besetzten sie das halbzerstörte Gebäude und richteten sich ein, so gut es eben ging. In zwei Rahmen fehlen die Fenster, sie sind mit Plastikfolien abgeklebt. Draußen auf der anderen Straßenseite erkenne ich durch die Folie schemenhaft Baukräne mit Logos der Solidere AG.
" Die Innenstadt gehört den Bossen und ihren Leuten. Die haben sich das alles geklaut , die Großen im Libanon. Die bauen gerade so, dass jemand, der von außen kommt, denkt: Libanon ist toll. Libanon sieht super aus. Aber wenn man wirklich hinter die Kulissen schaut, dann sieht das ganz anders aus. "