Ich glaube, dass das Auto heute das genaue Äquivalent der großen gotischen Kathedralen ist. Ich meine damit: eine große Schöpfung der Epoche, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde und die in ihrem Bild, wenn nicht überhaupt im Gebrauch von einem ganzen Volk benutzt wurde, das sich in ihr ein magisches Objekt zurüstet und aneignet.
Jeder Gegenstand konnte für Roland Barthes zum Mythos werden - vorrausgesetzt es gibt eine Art von gesellschaftlicher Übereinkunft, die einem Objekt ein "Mehr" an Bedeutung zumisst. Im Beefsteak erkannte er den Mythos der kraftspendenden Blutübertragung und Plastik war für ihn weniger eine Substanz, als vielmehr die Idee ihrer endlosen Umwandlung. Er begeisterte sich für dieses neue Material, das in den Verbrauchermessen der 50er Jahre als wahrer Wunderstoff präsentiert wurde, aus dem man ebenso gut Eimer wie Schmuckstücke fertigen konnte. Barthes sah im Plastik die erste magische Materie, die zur Alltäglichkeit bereit war.
Plastikblumen, Bilder von der Tour de France, Reiseführer - In den Vitrinen rund um die schwarze DS sind die Objekte versammelt, die Roland Barthes in den Mythen des Alltags auf ihre tiefere Bedeutung und Struktur untersuchte.
Marianne Alphant: Wir sind, was das betrifft, alle Kinder von Barthes. Diese entmystifizierende, analysierende Sichtweise, die Barthes in den sechziger Jahren vorführte, ist bei uns Gemeingut geworden. Denken wir an seine Arbeiten über gewisse Bilder in der Werbung - etwa für eine Nudelmarke - das gehört heute zum Rüstzeug jeder Werbeagentur. Die Ideen von Barthes sind heute so weit verbreitet, dass man gar nicht mehr weiß, was man ihm alles zu verdanken hat.
Marianne Alphant, die zusammen mit Nathalie Léger die Ausstellung gestaltete, hat ihrem ehemaligen Professor ein multimediales Denkmal geschaffen. Aus Computerinstallationen, die seine Theorien des Strukturalismus darstellen, einem Klangkorridor, der seine Vorliebe für romantische Musik wiedergeben soll, sowie Gemälden von Künstlern wie Paul Klee, Piet Mondrian und Cy Twombly, die Barthes verehrte.
Ende der sechziger Jahre studierte ich Philosophie an der Sorbonne. Damals herrschte dort unter den Professoren ein unerträglicher Akademismus und Dogmatismus. Als ich dann das Seminar von Roland Barthes besuchte, war ich begeistert von der Leichtigkeit und Feinheit der Gedanken, die er vortrug - ohne Herrschergestus, ohne den Wunsch Macht auszuüben. Er war brillant in seinen fein ziselierten Formulierungen - aber eben gänzlich undogmatisch.
Die Handschrift der erfahrenen Radiojournalistin des Programms France Culture, Marianne Alphant, ist deutlich spürbar: Überall spricht es in dieser Ausstellung. Doch die Überfülle von simultan ertönenden Tondokumenten verschmilzt zu einem verwirrenden Klangteppich, dem man nur unter den Kopfhörern des Leskabinetts entfliehen kann. Kollegen, Freunde und Schüler sprechen über Roland Barthes. An einer anderen Stelle sieht man Szenen aus Brecht's "Mutter Courage" und gleich daneben hört man aus einem Lautsprecher Barthes selbst über Racine sprechen.
Roland Barthes: Ich habe versucht, denn das macht ja den Essayisten aus, also versucht, die Werke von Racine in ihrer Unbestimmtheit und Offenheit mit einer Sprache zu beschreiben, die aus meiner Gegenwart stammt.
Prunkstück der Schau ist sicherlich eine Wand mit knapp zweitausend Karteiblättern, die Roland Barthes in selbstgebastelten Karteikästen aus Pappe sortierte. Der Blick in das Arbeitszimmer, in seine Bibliothek neben der das berühmte Bild des Bibliothekars von Giuseppe Arcimboldo hängt - hinter allem steht der Wunsch dem Entstehungsprozess von Gedanken auf die Spur zu kommen. Lesen, Schreiben und Malen, das waren Barthes Leidenschaften. Doch als Maler blieb er Amateur, das dokumentieren die Bilder an den Wänden seines gemütlich eingerichteten und hier rekonstruierten Lesekabinetts. Als Schriftsteller träumte er in den letzten Jahren intensiv von einem Roman - von einer "Vita Nova" als Erzähler. Ein Traum, der im Frühjahr 1980 ein jähes und geradezu banales Ende fand - ein Wäschereilieferwagen überfuhr Roland Barthes, als er aus seinem Seminar im Collège de France kam.
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Jeder Gegenstand konnte für Roland Barthes zum Mythos werden - vorrausgesetzt es gibt eine Art von gesellschaftlicher Übereinkunft, die einem Objekt ein "Mehr" an Bedeutung zumisst. Im Beefsteak erkannte er den Mythos der kraftspendenden Blutübertragung und Plastik war für ihn weniger eine Substanz, als vielmehr die Idee ihrer endlosen Umwandlung. Er begeisterte sich für dieses neue Material, das in den Verbrauchermessen der 50er Jahre als wahrer Wunderstoff präsentiert wurde, aus dem man ebenso gut Eimer wie Schmuckstücke fertigen konnte. Barthes sah im Plastik die erste magische Materie, die zur Alltäglichkeit bereit war.
Plastikblumen, Bilder von der Tour de France, Reiseführer - In den Vitrinen rund um die schwarze DS sind die Objekte versammelt, die Roland Barthes in den Mythen des Alltags auf ihre tiefere Bedeutung und Struktur untersuchte.
Marianne Alphant: Wir sind, was das betrifft, alle Kinder von Barthes. Diese entmystifizierende, analysierende Sichtweise, die Barthes in den sechziger Jahren vorführte, ist bei uns Gemeingut geworden. Denken wir an seine Arbeiten über gewisse Bilder in der Werbung - etwa für eine Nudelmarke - das gehört heute zum Rüstzeug jeder Werbeagentur. Die Ideen von Barthes sind heute so weit verbreitet, dass man gar nicht mehr weiß, was man ihm alles zu verdanken hat.
Marianne Alphant, die zusammen mit Nathalie Léger die Ausstellung gestaltete, hat ihrem ehemaligen Professor ein multimediales Denkmal geschaffen. Aus Computerinstallationen, die seine Theorien des Strukturalismus darstellen, einem Klangkorridor, der seine Vorliebe für romantische Musik wiedergeben soll, sowie Gemälden von Künstlern wie Paul Klee, Piet Mondrian und Cy Twombly, die Barthes verehrte.
Ende der sechziger Jahre studierte ich Philosophie an der Sorbonne. Damals herrschte dort unter den Professoren ein unerträglicher Akademismus und Dogmatismus. Als ich dann das Seminar von Roland Barthes besuchte, war ich begeistert von der Leichtigkeit und Feinheit der Gedanken, die er vortrug - ohne Herrschergestus, ohne den Wunsch Macht auszuüben. Er war brillant in seinen fein ziselierten Formulierungen - aber eben gänzlich undogmatisch.
Die Handschrift der erfahrenen Radiojournalistin des Programms France Culture, Marianne Alphant, ist deutlich spürbar: Überall spricht es in dieser Ausstellung. Doch die Überfülle von simultan ertönenden Tondokumenten verschmilzt zu einem verwirrenden Klangteppich, dem man nur unter den Kopfhörern des Leskabinetts entfliehen kann. Kollegen, Freunde und Schüler sprechen über Roland Barthes. An einer anderen Stelle sieht man Szenen aus Brecht's "Mutter Courage" und gleich daneben hört man aus einem Lautsprecher Barthes selbst über Racine sprechen.
Roland Barthes: Ich habe versucht, denn das macht ja den Essayisten aus, also versucht, die Werke von Racine in ihrer Unbestimmtheit und Offenheit mit einer Sprache zu beschreiben, die aus meiner Gegenwart stammt.
Prunkstück der Schau ist sicherlich eine Wand mit knapp zweitausend Karteiblättern, die Roland Barthes in selbstgebastelten Karteikästen aus Pappe sortierte. Der Blick in das Arbeitszimmer, in seine Bibliothek neben der das berühmte Bild des Bibliothekars von Giuseppe Arcimboldo hängt - hinter allem steht der Wunsch dem Entstehungsprozess von Gedanken auf die Spur zu kommen. Lesen, Schreiben und Malen, das waren Barthes Leidenschaften. Doch als Maler blieb er Amateur, das dokumentieren die Bilder an den Wänden seines gemütlich eingerichteten und hier rekonstruierten Lesekabinetts. Als Schriftsteller träumte er in den letzten Jahren intensiv von einem Roman - von einer "Vita Nova" als Erzähler. Ein Traum, der im Frühjahr 1980 ein jähes und geradezu banales Ende fand - ein Wäschereilieferwagen überfuhr Roland Barthes, als er aus seinem Seminar im Collège de France kam.
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