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Symphonische Musik aus Kuba
Ingredienzien aus Europa, Afrika und der Karibik

Die Rumba gilt als Inbegriff kubanischer Musik, doch das musikalische Idiom des Landes ist um ein Vielfaches reicher. Nun vermittelt das Orquesta Sinfónica Nacional de Cuba unter seinem Chefdirigenten Enrique Pérez erstmals einen repräsentativen Einblick in die Vielfalt kubanischer Musiktradition des 20. Jahrhunderts.

Von Dieter David Scholz | 21.12.2014
    Die kubanische Flagge weht an einem Fahnenmast.
    Kubas Einflüsse in der Musik kommen aus allen Kontinenten der Welt. (imago/blickwinkel)
    Kubas Musik als Rhythmus ist allgegenwärtig. Wer kennt sie nicht, die Rumba, im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts beliebter modischer Gesellschaftstanz der Ballsäle in aller Welt, auch wenn seine Wurzeln in dem spontanen, improvisierten und lebendigen Tanz der Hafenarbeiter von Havanna und Matanzas liegen. Und spätestens durch Wim Wenders berühmtem Film ist der Buena Vista Social Club zum Inbegriff kubanischer Musik geworden. Doch die kubanische Musik ist um ein Vielfaches reicher.
    Seit der Ankunft von Christoph Columbus hat sich auf Kuba eine durch die Spanier importierte und geförderte Kirchenmusikkultur entfaltet. Aber es entwickelte sich daneben auch eine spezifisch kubanische Orchestermusik.
    Kubanische Musik hat ihre wichtigsten Wurzeln in Spanien und Westafrika, aber im Verlaufe der Zeit sind auch Einflüsse anderer Länder hinzugekommen, etwa aus Frankreich, den USA und Jamaika. Umgekehrt hatte die kubanische Musik auch entscheidenden Einfluss auf die Musik in anderen Ländern, nicht nur auf die Entwicklung des Jazz und der Salsamusik, auch auf den argentinischen Tango, die ghanaische High Life, den westafrikanischen Afrobeat und den spanischen "Flamenco Nuevo".
    Nach wie vor ist auf dem CD-Markt kubanische Musik im symphonischen Bereich unterrepräsentiert. Auf einer soeben erschienen CD des Labels Dabringhaus und Grimm vermittelt das Orquesta Sinfónica Nacional de Kuba unter seinem Chefdirigenten Enrique Pérez Mesa jetzt erstmals einen repräsentativen Einblick in die Vielfalt kubanischer Musiktradition des 20. Jahrhundert, in der europäische Einflüsse mit exotischer, karibischer Lebenslust und afroamerikanischen Ingredienzien zu einem faszinierend unverwechselbaren Idiom verschmelzen.
    Das erste Stück der CD ist eine Trilogie kubanischer Tänze, komponiert 1927 von Alejandro García Caturla.
    Alejandro García Caturla (1906-1940)
    CD, Tr. 1 Trois danses Kubaines
    Danza del tambor - Allegro molto vivo
    Orquesta Sinfónica Nacional de Kuba, EnriquePérez Mesa
    LC 06768, Dabinghaus und Grimm MDG 6011973-2
    Bei diesem ersten der drei kubanischen Tänze von Alejandro García Caturla, der 1906 geboren wurde und schon mit 34 Jahren starb, hat man den Eindruck, als ob Claude Debussy und Maurice Ravel Pate gestanden hätten. Der Impressionismus des Stücks ist unüberhörbar. Kein Wunder, die Kompositionslehrerin des Komponisten war Nadia Boulanger in Paris. Sie nannte den Kubaner "eine Naturkraft". Diese beweist er insbe¬sondere im "Danza lucumi", dem dritten und letzten Tanz.
    Alejandro García Caturla (1906-1940)
    CD, Tr.3 Trois danses Kubaines
    Danza lucumi - Allegro salvaje
    LC 06768, Dabinghaus und Grimm MDG 6011973-2
    Das "Orquesta Sinfónica Nacional de Kuba" spielte unter Enrique Pérez Mesa den Danza Racumin von Alejandro García Caturla.
    Das "Orquesta Sinfónica Nacional de Kuba"wurde 1959 gegründet und spielt seither eine große Rolle in der Entwicklung der Musik der Region als auch in der Präsentation des symphonischen und Kammer-Repertoires klassischer Musik vom Barock bis zur Gegenwart in Kuba. Auch Mischformen vom "karibischen symphonischen Salsa" bis zum "afroamerikanischen und hemmungslosen Habanera im Bigband-Stil" stehen beim Orchester auf dem Programm. Mehr als einhundert Dirigenten führten das Orchester seit seiner Gründung, die bekanntesten sind wohl Claudio Abbado, Hans Werner Henze und Yoshikazu Fukumura. Mit gut 3.000 Konzerten können die Musiker auf eine mittler¬weile lange Aufführungstradition zurückblicken. Die Emotionalität, der spezielle Sound und das spieltechnische Niveau des Orchesters sind respektabel.
    Eine der profiliertesten und charakteristischsten Persönlichkeiten der kubanischen Musikszene ist der 1934 geborene, 2002 verstorbene Carlos Fariñas'. Sein Penthesilea-Vorspiel aus dem Jahre 1977 besticht durch unablässiges, rhythmisches Schlagwerk und konstante expressive Stimmung. Es bedient sowohl die Heftigkeit des Kampfes als auch die turbulenten Gefühle der beiden Widersacher Penthesilea und Achilles. Fariñas bezieht seine Komposition auf jene Penthesilea von Heinrich von Kleist, denn sein Werk war ein Auftrag der Stadt Frankfurt/Oder zum 200. Geburtstags des Dramatikers.
    Carlos Fariñas
    CD, Tr. 4 Preludio para Penthesilea (1977)
    Orquesta Sinfónica Nacional de Kuba, EnriquePérez Mesa
    LC 06768, Dabinghaus und Grimm MDG 6011973-2
    Neben Carlos Farinas ist der Dirigent, Geiger und Komponist Enrique González Mán¬tici, er war bis 1961 viele Jahre Dirigent des Orquesta Sinfónica Nacional de Kuba, ebenfalls auf dieser CD vertreten, mit einer wundervoll ausdrucksstarken, ebenfalls im¬pres¬sionistische anmutenden Komposition: "Pregón y Danza" aus dem Jahre 1956. In diesem Schlüsselwerk seines Oeuvres haben neben den Streichern und Quer¬flöten, Per¬kussions- und Blechblasinstrumente ihre besonderen Rollen, indem sie die Gefühlswelt des Publikums auf verführerische Weise jenseits afrikanischer Elemente, die die Kompo¬sition durchdringen, stimulieren, ja verzaubern.
    Enrique González Mántici
    CD, Tr. 5 Pregón y Danza Lento – Moderato
    Orquesta Sinfónica Nacional de Kuba, EnriquePérez Mesa
    LC 06768, Dabinghaus und Grimm MDG 6011973-2
    Ein bemerkenswerter kubanischer Komponist ist auch der 1944 geborene Guido López-Gavilán del Rosario. Er war sehr produktiv. Sein umfangreiches Werk hatte zwar eine stark lyrische Prägung, aber auch Parodie und Humor waren ihm nicht fremd. Über sein Stück "Ritmotiv", das auf dieser Dabringhaus und Grimm-CD ebenfalls eingespielt ist, ein Stück, das er beim Festival lateinamerikanischer Musik in Caracas uraufführte, sagte er einmal: "Ritmotiv thematisiert die Bedeutung sich ergänzender rhythmischer Motive. Übereinandergelegt geben sie die Handlung meiner Komposition vor, die ich als Konversation ‚a la Kubana' bezeichnen könnte."
    Guido López-Gavilán del Rosario (* 1944
    CD, Tr.6 Rítmotiv. Orquesta Sinfónica Nacional de Kuba; EnriquePérez Mesa
    LC 06768, Dabinghaus und Grimm MDG 6011973-2
    Die knapp fünfzigminütige CD mit kubanischer symphonischer Musik – eine lohnende Entdeckungsreise durch ein wenig bekanntes Musikland - endet mit einem ruhigen, spirituellen Stück: "In Memorian. A mi esposa Lilian Acosta" von Alfredo Diez Nieto aus dem Jahre 2010. Nieto gilt als Grandseigneur und graue Eminenz des kubanischen Musiklebens. Als Lehrer hat er Generationen von Kubanern unterrichtet in Komponieren und Dirigieren. Das mit der Tempobezeichnung Adagio versehene Stück ist in seiner wundervoll einfühlsamen Ausdruckskraft eine tönende Trauer um die Ehefrau des Komponisten. Eine außerordentlich berührende musikalische Elegie zwischen pianissimo und fortissimo. Eingewoben sind Elemente aus anderen Kompositionen Nietos , die er im Laufe seines Tuns ihr gewidmet hat. Alles kreist in dem Stück um die beiden Silben Lilian, die schon zu Beginn des Werks als Leit-Thema zu hören sind und immer wieder variiert werden, durch alle Stimmen und Instrumente wandern, und, aus denen das gesamte Werk entwickelt wird.
    Alfredo Diez Nieto
    CD, Tr.7 In Memoriam. A mi esposa Lilian Acosta
    Orquesta Sinfónica Nacional de Kuba, Enrique Pérez Mesa
    LC 06768, Dabinghaus und Grimm MDG 6011973-2
    In der Sendung "Die neuen Platte" an diesem Sonntagmorgen haben wir Ihnen eine CD mit Orchestermusik des 20. und 21. Jahrhunderts von fünf Komponisten aus Kuba vorgestellt:
    Alejandro García Caturla, Carlos Fariñas, Enrique González Mántici, Guido López-Gavilán del Rosario sowie Alfredo Diez Nieto. Das "Orquesta Sinfónica Nacional de Kuba" spielte unter Leitung von Enrique Pérez Mesa. Erschienen ist die CD beim Label Dabringhaus und Grimm.
    Werke von: Caturla, Farinas, Gonzalez Mantici, Lopez-Gavilan del Rosario und Nieto
    Orquesta Sinfónica Nacional de Kuba, Enrique Pérez Mesa
    Label: MDG 760623187327