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Symposium zum Jahr des Lichts
Kein Licht ohne Schatten

"Ins Licht gerückt" - so hieß ein interdisziplinäres Symposium der Berlin-Brandenburgischen Akademie zum Auftakt des "Internationalen Jahr des Lichts" der UNESCO. Kunsthistoriker, Philosophen, Literatur- sowie Naturwissenschaftler diskutierten nicht nur die Bedeutung des Lichts, sondern auch dessen Abstraktion: den Schatten.

Von Cornelius Wüllenkemper | 26.01.2015
    Die al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg in der Jerusalemer Altstadt im Abendlicht.
    Die al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg in der Jerusalemer Altstadt. (imago/Eibner Europa)
    Bereits im Foyer der Akademie wurden die Lichtbedürftigen von einer Installation des Lichtkünstlers Mischa Kuball empfangen. Auf rotierenden Plateaus befestigte Diaprojektoren warfen Zahlenreihen auf die gewölbte Wandoberfläche und schienen allein durch den Titel "En Light En" bereits zentrale Themen der Veranstaltung anzukündigen: Erhellung, Erleuchtung, Erkenntnis und Aufklärung. Im Eingangsgespräch wurde schnell klar: Beim Thema Licht geht es um Grundlegendes, Selbstverständliches und deswegen umso härter Umstrittenes. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp bezeichnete Platons Höhlengleichnis als "Sündenfall der abendländischen Philosophie". Dadurch, dass der Mensch sich damit abfinde, nicht die Realität, sondern nur deren Schatten zu sehen, degradiere er auch die Kunst zum bloßen Spiegelbild der Wirklichkeit und spreche dem Künstler den kreativen Schaffensprozess ab. Die Philosophin Sybille Krämer hingegen hob die Bedeutung des zweidimensionalen Schattens gegenüber dem dreidimensional erleuchteten Bild hervor:
    "Der Umstand, dass wir in der Lage sind, die Dreidimensionalität unserer Wirklichkeit zu projizieren in die Zweidimensionalität und so tun, als ob es nur um eine Fläche geht, die überblickbar oder sogar kontrollierbar ist in Form des Touch-Screen, des Blattes, des beschriebenen Papyrus - diese Verflachung ist ein unglaublicher Schlüssel zur Produktivität."
    Der Mensch orientiert sich und sein Umfeld nicht nur in der Zweidimensionalität des Schattens. Schatten ist auch unerlässlich für die Erkenntnis. Wer in gleißendes Licht starrt, sieht gar nichts. Dass nicht nur das Licht, sondern auch dessen Abstraktion, der Gebrauch des Schattens, eine grundlegende Rolle in der Kunstgeschichte spielt, wollte auch der stets skeptische Kunsthistoriker Horst Bredekamp nicht abstreiten:
    "Künstler haben sich seit jeher, wie sonst vielleicht nur Astronomen, mit dem Licht und der Finsternis zugleich beschäftigt und haben das dialektische Denken des Verhältnisses von Licht und Dunkelheit, das Spannungsverhältnis von Licht und Dunkelheit zum Hauptthema gemacht."
    Keine Utopie ohne Dystopie
    Die Kunstgeschichte sei die Geschichte der Gestaltung des Lichts, so Bredekamp, von den Fenstern der gotischen Kathedralen über das schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch bis hin zu den kalifornischen "Light and Space"- Wahrnehmungskünstlern der 1960er-Jahre. Auch in der Naturwissenschaft sei Erkenntnis ohne die Abwesenheit von Schatten nicht möglich, erklärte in der Berliner Akademie der Wissenschaften der Astrophysiker Matthias Steinmetz. Schwarze Löcher verschluckten zwar das Licht, brächten dadurch aber ihre Umgebung derart zum Strahlen, dass nur so Erkenntnisse über das Weltall und die Geschichte des Lichts möglich seien. Kein Licht ohne Schatten, diese Regel gilt auch in symbolischer Hinsicht im Sinne der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Keine Utopie ohne Dystopie, so der Literaturwissenschaftler Wilhelm Voßkamp. Wer sich von Erkenntnis und Fortschritt den Glückszustand verspreche, dürfe deren negative Folgen wie menschliche Selbstzweifel oder ausgefeilte Waffentechnologien nicht vergessen. Für diese Wechselwirkung von Licht und Schatten, von Utopie und Dystopie, seien mehr als alles sonst die Literatur und Kunst zuständig, meinte der Schriftsteller Thomas Lehr:
    "In meiner eigenen Literatur, im eigenen Schreiben ist eigentlich immer die Idee, Aufklärung, also Konflikte und Probleme aufzuklären und darzulegen, dass der Einzelne immer die Möglichkeit hat, sie in die Zukunft zu projizieren. Das heißt, die Dinge so beschreiben, dass sie von einem erzählerischen Licht durchleuchtet werden, transzendent gemacht werden, und dass sich der Leser auch die Frage stellt, ist da ein Entwicklungspotenzial für die Gesellschaft und das Individuum zu sehen."
    Immerhin schrieb der Franzose Louis-Sébastien Mercier in seinem Roman "Das Jahr 2440: ein Traum aller Träume" bereits 1771 von einem zwar sauberen und geräuscharmen Paris, in dem aber gleichwohl schreckliche Waffen zum Einsatz kämen. Licht und Dunkel sind so wie Fortschritt und Rückschritt nicht getrennt zu denken, so könnte eine verkürzte Bilanz des äußerst erhellenden Abends in der Akademie der Wissenschaften lauten. Wer auf Sicht fahre, so merkte am späten Abend der Literaturwissenschaftler Wilhelm Voßkamp als Seitenhieb gegen die die politische Klasse an, vergesse, dass in jeder Wirklichkeit auch eine zukünftige Möglichkeit stecke.