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Synonym für philosophischen Tiefsinn

Es gibt kaum ein philosophisches Werk, das so sperrig erscheint wie das von Martin Heidegger. Auch gibt es wenige, die so umstritten sind, wie der Denker aus dem Hochschwarzwald, der mit seiner zurückgezogenen Lebensweise allerlei Mythenbildung Vorschub leistete. Doch wird Heideggers Philosophie heute in aller Welt rezipiert. Vor 30 Jahren ist er gestorben.

Von Robert Schurz | 26.05.2006
    In der deutschen Kultur gibt es ein Synonym für philosophischen Tiefsinn, das, je nach eigenem Standpunkt, mal ehrerbietig genannt, mal als Inbegriff hohler Wortakrobatik belächelt wird. Dieses Synonym für Tiefsinn ist Martin Heidegger. Einig ist man sich aber darüber, dass er, insbesondere mit seiner Kritik der technischen Zivilisation, Neuland betrat.

    "Durch diese Vorstellung vom Ganzen der technischen Welt, schraubt man alles auf den Menschen zurück und gelangt, wenn es hochkommt, zur Forderung einer Ethik der technischen Welt. In dieser Vorstellung befangen, bestärkt man sich selber in der Meinung, die Technik sei nur eine Sache des Menschen. Man überhört den Anspruch des Seins, der im Wesen der Technik spricht."

    Geboren 1889 im württembergischen Meßkirchen und unter eher unspektakulären Umständen aufgewachsen, studierte Heidegger Theologie und Philosophie in Freiburg bei Edmund Husserl, der ihn wohl entscheidend beeinflusst hat. Er promovierte und habilitierte zügig und beschritt, begabt und von sich überzeugt wie er war, zielstrebig eine akademische Karriere. 1927 erschien "Sein und Zeit", ein Werk, das Heidegger mit einem Schlag berühmt machen sollte. Es handelte sich dabei um das Projekt, die Welt nicht mehr vom Menschen her zu denken, sondern die Tatsache, dass der Mensch in der Welt immer nur sich selbst vorfindet, zum Ausgangspunkt jeder Überlegung zu machen. Dabei ergeben sich radikale Fragen wie etwa die, warum überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts oder auch die, was es mit dem menschlichen Drang, die Dinge um sich herum zu beherrschen, auf sich hat.

    "Was spricht in dieser Herausforderung? Entspringt sie nur einer selbstgemachten Laune des Menschen, oder geht uns dabei schon das Seiende selbst an, und zwar so, dass es uns auf seine Planbarkeit und Berechenbarkeit hin anspricht? - Dann stünde also gar das Sein unter der Herausforderung, das Seiende im Gesichtskreis der Berechenbarkeit und Planbarkeit erscheinen zu lassen."

    Etwa in die Zeit um 1930 fällt das, was Heidegger selbst die Kehre seines Denkens nannte: seine Wendung hin zu einer universellen Sprachphilosophie. Heidegger wurde populär. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 stellte er sich zunächst in deren Diensten und wurde auch bald zum Rektor der Freiburger Universität bestellt. In seiner berühmt-berüchtigen Rektoratsrede "Über die Selbstbehauptung der deutschen Universität" legte er ein Bekenntnis zum Führer ab. Zwar gab er ein Jahr später sein Amt wieder auf, und man war geneigt, diese Kollaboration als kurzfristigen Irrtum auszugeben, doch Jacques Derrida, selbst von Heidegger beeinflusst, hat überzeugend nachgewiesen, dass dessen Denken eine genuine Nähe zum deutschen Faschismus hatte.

    Nach dem Krieg wurde Heidegger mit einem Lehrverbot belegt. Von nun an lehrte und wirkte er in privaten Kreisen, aber seine Popularität wuchs weiter. Dazu trug auch insbesondere die Rezeption seines Werks durch Jean-Paul Sartre bei, auf den die Modeströmung des Existenzialismus zurückging. In den 60er Jahren übte sich ein großer Teil der deutschen Geisteswissenschaft im so genannten heideggern. Ohne sein Werk wäre der französische Strukturalismus und der neueste so genannte Dekonstruktivismus kaum denkbar, und selbst die neuere ökologische Philosophie und Kritik an der Naturauffassung der Wissenschaften weisen deutliche Spuren seiner Fundamentalontologie auf.

    "Allein, wo ist entschieden, dass die Natur also solche, für alle Zukunft die Natur der modernen Physik bleiben müsse; wir dürfen aber noch weniger der Meinung nachhängen, die technische Welt sei von einer Art, die einen Absprung aus ihr schlechthin verwehrt."

    Heidegger starb am 26. Mai 1976.